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KATASTROPHEN/076: Fischsterben in der Else (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1072, vom 22. Sept. 2015 - 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Grenzüberschreitendes Info-Debakel zum Fischsterben in der Else


Im RUNDBR. 1071 war über zwei große Fischsterben berichtet worden - in der baden-württembergischen Jagst in Folge eines Brandes in einem Düngemittellager und in der mecklenburg-pommerischen Peene auf Grund einer Havarie in einer Agrosprit-Fabrik. Nachdem der RUNDBR. 1062 die Fischsterben im Gefolge von Havarien in Güllelagern und Biogasanlagen thematisiert hatte, kommt hier ein Bericht über ein großes Fischsterben in der Else, einem Nebenfluss der Werre - die wiederum in die Weser mündet. Das Fischsterben hatte sich bereits im Mai 2015 ereignet. Ursache des Fischsterbens war ein Gemisch aus Silage und Rindergülle, das am 19.05.15 aus einer Biogasanlage im niedersächsischen Melle in den Violenbach ausgelaufen war. Über den Violenbach war die Gülleflut in die Else und damit in den nordrhein-westfälischen Kreis Herford gelangt. Der hatte heftige Kritik am benachbarten Landkreis Osnabrück geübt. Aus der dortigen Kreisverwaltung sei man viel zu spät von der Güllehavarie in Melle informiert worden. Wichtige Sofortmaßnahmen habe man deshalb nicht rechtzeitig in Angriff nehmen können. Der Landkreis Osnabrück entschuldigte sich damit, dass man Berechnungen auf Basis der angenommenen Güllemenge angestellt habe. Offenbar sei man vom Betreiber der Biogasanlage aber mit falschen Zahlen versorgt worden. Erst später habe man geblickt, dass 70 bis 140 Tonnen Gülle in den jetzt toten Violenbach gelaufen waren. Die Fachleute der Kreisverwaltung Osnabrück hatten zunächst angenommen, dass die Schmutzwelle bis nach NRW so verdünnt wäre, dass nichts mehr in Bünde ankomme, so der Sprecher des Landkreises. Das Schadensbild hätte zum Zeitpunkt der Alarmierung keinerlei Rückschlüsse auf eine massive Güllefront in der Else in Nordrhein-Westfalen zugelassen. Die tatsächliche Entwicklung habe man nicht kommen sehen und halte sie für bedauerlich.

Kreatives Kläranlagenteam verhinderte noch größeres Fischsterben

Als die Gülle in der Else das nordrhein-westfälische Bünde erreicht hatte, war dort von Mitarbeitern der Kommunalbetriebe in Windeseile eine gerade nicht gebrauchte Belüftungskerze aus der Kläranlage ausgebaut und in die Else eingesetzt worden. Durch das Eindüsen von Luftsauerstoff konnte das Kläranlagenteam verhindern, dass noch wesentlich mehr als die zunächst geborgenen 800 kg toten Fische durch die Sauerstoffzehrung der Gülle verendeten. 36 Stunden wartete die Kläranlagen-Crew das Notstromaggregat, das den Strom für die Pumpe zur Belüftungskerze lieferte. Die Fachleute aus der Kläranlage konnten auch gleich den Biochemischen Sauerstoffbedarf (BSB5) in der Else messen - das Maß für die in einem Labortest in fünf Tagen biologisch abbaubaren organischen Verbindungen. Der BSB5 in der Else lag bei 15.000 bis 18.000 mg/l. Demgegenüber liegt der BSB5 im Zulauf zur Kläranlage nur bei 300 mg/l. Die extrem hohe organische Belastung aus dem Silage-Gülle-Gemisch hätte ohne den cleveren Einsatz der Bünder Kläranlagen-Crew also ausgereicht, um noch bis in die Werre das Fischsterben fortzusetzen.

Wie die lokalen Medien berichteten, war das Einblasen von Luft in die Else an anderen Streckenabschnitten nicht möglich gewesen. Nur in Bünde war das Wasser genügend tief, um die Sauerstoffkerze mit Erfolg zu installieren. "Mit etwas mehr Vorlaufzeit hätten wir noch mehr erreichen können", zeigte sich der Leiter der Kläranlage in den Lokalmedien überzeugt. Ihre Erfahrungen möchte das Team aus der Bünder Kläranlage jetzt in Handbüchern oder Notfallplänen festhalten, um beim nächsten Mal schneller reagieren zu können. "Wir hatten erwogen, die Schmutzwelle in der Neuen Else einzuschließen und von dort abzupumpen", erklärte der Chef der Kläranlage, Guido Strathmann. Und weiter: "Das hätte zehn Tage langsam durch die Kläranlage fließen müssen und wäre dann wieder sauber in die Else gepumpt worden." Nur habe eben die Zeit dafür gefehlt. Flussabwärts wurde bei der Mündung der Else in die Werre zudem die Kühlwasserpumpen des Kraftwerkes Westfalen Weser Netz AG in Kirchlengern eingeschaltet. Sie pumpten Wasser aus der Werre in die Else. Das versorgte die Else zusätzlich mit Sauerstoff. Etwa 9.000 Kubikmeter werden in einer Stunde durch die Pumpen gedrückt. Das zusätzliche Wasser sollte außerdem die hohe Konzentration der Schmutzwelle verdünnen. Das Kraftwerk selbst wird nur zu Spitzenzeiten eingeschaltet und blieb während der Pump-Kampagne außer Betrieb.

Hohe Mängelquote bei Biogasanlagen

In diesem Jahr stellten Mitarbeiter des brandenburger Landesamts für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz (LUGV) bei fast der Hälfte der kontrollierten 55 Biogas-Anlagen Defizite fest. Dies geht aus einer Antwort von Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger (SPD) auf eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei hervor. In den vergangenen drei Jahren waren knapp ein Drittel der Anlagen mangelhaft, berichtete proplanta.de am 22.09.15. Auch in Baden-Württemberg war eine hohe Mängelquote bei Biogasanlagen festgestellt worden.

Darf man Biogasanlagen direkt neben Bäche und Flüsse bauen?

Angesichts von tausenden toten Fischen zeigten sich auch der BUND entsetzt. Sorgen machten sich die Naturschützer unter anderem um den in Europa besonders geschützten Steinbeißer, der genau im betroffenen Flussabschnitt heimisch war. Genau dieser - jetzt wahrscheinlich vernichtete Bestand - hatte zur Ausweisung der Else als FFH-Schutzgebiet geführt. Auch "um das einzige aktuell sicher belegte Vorkommen des Fischotters in Ostwestfalen, der sich nach 70 Jahren wieder hier angesiedelt hat, dürfte es nach diesem Desaster geschehen sein", so die Befürchtung der Naturschützer. Denn zum Fressen werde der Fischotter nach dem Fischsterben in der Else jetzt nicht mehr viel finden. Wegen der viel zu späten Information sei man "stinksauer" auf den Kreis Osnabrück und die niedersächsischen Behörden, so der BUND. Und die ersten Infos über die Güllewelle seien nicht vom Kreis Osnabrück, sondern von aufmerksamen Anglern nach Herford gemeldet worden.

"Eigentlich ist das eine Katastrophe mit Ansage gewesen", ärgerte man sich nicht nur beim BUND. Biogasanlagen wie diese sollten nicht neben offene Fließgewässer gebaut werden - "ganz offensichtlich ohne die notwendige Schutzmaßnahmen zu ergreifen". Zudem forderten die Naturschützer eine regelmäßige Kontrolle von Biogasanlagen im Abstand von zwei Jahren. Auch mangele es an größeren Auffangeinrichtungen für den Havariefall sowie einen grenzüberschreitenden Alarmplan für solche Umweltkatastrophen, bemängelt der BUND.

Trägt eine Kuh Schuld am Gülledesaster in der Else?

Bei allem Entsetzen über das Fischsterben hatte der Fischereiverein Melle den Betreiber der Biogasanlage zunächst in Schutz genommen: Die Katastrophe habe den Bauer "selbst unheimlich betroffen gemacht und es tut ihm unendlich leid. Die Technik hat dabei einfach versagt und der Betreiber hat, nachdem er das bemerkt hat, die Anlage sofort abgeschaltet, um Schlimmeres zu verhindern. Er hat den Vorfall dann auch selbst gemeldet", wurde der Vorsitzende des Meller Angelvereins in der NEUEN WESTFÄLISCHEN am 21.05.15 zitiert. Später war dann aber bekannt geworden, dass der Betreiber der Biogasanlage verschiedene Baumaßnahmen vorgenommen hatte, die nicht genehmigt waren. Insbesondere war zwar der Bau der Biogasanlage, nicht aber die Inbetriebnahme durch die Stadt Melle genehmigt worden. So hatte auch der Landkreis Osnabrück als Untere Wasserbehörde nach Bekanntwerden des Ausmaßes der Havarie Strafanzeige wegen des Verdachts der Gewässerverunreinigung gegen den Betreiber der Biogasanlage gestellt. Der Kreis Herford als Unterlieger hatte eine Kanzlei als Rechtsbeistand eingeschaltet. Die Behörde möchte die Kosten zur Rettung der Else vom Betreiber der Biogasanlage zurückfordern.

Am 29.05.15 meldete RADIO HERFORD, dass die Gülle-Katastrophe in der Bünder Else möglicherweise gar nichts mit einem zunächst vermuteten Leck in der Biogas-Anlage zu tun hatte. Denn nach Erkenntnissen der Stadt Melle soll im benachbarten Kuhstall aus Versehen eine Gülle-Pumpe angesprungen sein. Die Gülle-Pumpe fördert normalerweise die Gülle aus dem Güllekeller des Kuhstalls zur Biogas-Anlage. Als einige Rinder ausbrachen, könnte die Pumpe aktiviert worden sein. Inwieweit der Betreiber des Meller Hofs dafür haftbar gemacht werden kann, wird immer noch überprüft. Auch das WESTFALENBLATT berichtete am 29.05.15 über diese Hypothese: Eines der ausgebrochenen Rinder habe wahrscheinlich "durch Körperkontakt" den Schalter der Pumpe eingeschaltet. Ende Sept. - also vier Monate nach dem Desaster - liegt immer noch kein Endbericht der Behörden über die Unglücksursache vor.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1072
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2015

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