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FORSCHUNG/273: Intelligentes Landschaftsmanagement für bedrohte Tiere und Pflanzen (UFZ-Spezial)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Spezial Dezember 2009: In Sachen Klimawandel

Perspektiven für Extremisten


Intelligentes Landschaftsmanagement könnte die Überlebenschancen von Tier- und Pflanzenarten verbessern, die durch den Klimawandel bedroht sind. Die Schaffung von wärme-gepufferten Kleinhabitaten sowie bessere Verbindungen zwischen Lebensräumen würden dann einer mäßigen Klimaerwärmung entgegenwirken und bedrohten Arten Gelegenheit geben, sich mit etwas mehr Zeit besser anzupassen und/oder in kühlere Regionen zu wandern. Das schlussfolgerten UFZ-Wissenschaftler aus einer britischen Studie über die Rettung des Thymian-Ameisenbläulings (Maculinea arion). Diese Schmetterlingsart war 1979 in Großbritannien ausgestorben und wurde dort vor 25 Jahren wieder angesiedelt. Seitdem gilt diese Art als Musterbeispiel für den Schutz bedrohter Insekten.

Der Thymian-Ameisenbläuling gehört zur Familie der Bläulinge, von denen die Raupen von über 75 Prozent der etwa 6.000 weltweit vorkommenden Arten mit Ameisen zusammenleben. Gegen das Verhalten der Ameisenbläulinge war die perfide Spitzfindigkeit des Trojanischen Pferdes harmlos: Die Falter sorgen dafür, dass ihre Raupen von bestimmten Ameisenarten als Angehörige des eigenen Nestes erkannt werden, von ihnen in ihre Nester geschleppt, als eigene Brut "adoptiert" und gefüttert werden oder sich ungestraft durchfressen dürfen. Schauplatz dieses Vorgangs sind Wiesen, auf denen diese Ameisenarten unter der Erde liegende Nester anlegen. "Ameisenbläulinge sind echte Extremisten unter den Schmetterlingen", stellt Dr. Josef Settele fest. Aus einer ursprünglichen Symbiose formte sich im Laufe der Evolution eine fast reine Parasitenrolle der Ameisenbläulinge. Alles in allem eine perfekte Überlebensstrategie.

Doch gerade ihre Spezialisierung scheint ihnen zum Verhängnis zu werden: Klimaerwärmung und veränderte Landnutzung bringen das sensible Zusammenspiel der Arten aus dem Gleichgewicht. Im europäischen Projekt CLIMIT (CLimate change impacts on Insects and their MITigation), das vom UFZ koordiniert wird, untersuchen Wissenschaftler diese Lebensräume und entwerfen Managementszenarien für die Zukunft. "Dabei können wir das Wissen aus vorangegangenen Projekten wie ALARM einfließen lassen", so Settele (siehe Seiten 14/15). "Schmetterlinge sind gute Indikatoren für den ökologischen Zustand von Wiesen und Weiden - sie reagieren unmittelbar auf Umweltveränderungen und lassen Rückschlüsse auf die Gesamtentwicklung zu", erklärt der Agrarökologe. Das werden sich die Forscher vom UFZ, aus Frankreich, Italien und Schweden einmal mehr zu Nutze machen: Sie untersuchen die Auswirkungen von Klimaveränderungen und Änderungen anderer Einflussfaktoren wie der Landnutzung bei einigen der in Europa am meisten bedrohten Insektenarten, die ein "Verhältnis" mit Ameisen eingegangen sind.

Welche Bedingungen sind für das Überleben von Arten notwendig? Wie weit können sie sich innerhalb ihrer Lebensräume anpassen und wie viel Zeit wird dafür benötigt? Welche Wanderungsbewegungen gibt es? Wo gibt es akute Bedrohung?

In einem nächsten Schritt werden in Modellen Szenarien für die nächsten Jahrzehnte entworfen und Handlungsempfehlungen für die Politik und die Naturschutzpraxis erarbeitet. Ziel ist es, zumindest keine Verschlechterung des Zustandes der Population zuzulassen. "Durch gezieltes Management kann der Klimaveränderung ein Schnippchen geschlagen werden, indem wir zum Beispiel Wiesen und Trockenrasen im Durchschnitt höher wachsen lassen und sich damit die mikroklimatischen Bedingungen für die Ameisen weniger gravierend ändern, als dies unter den zu erwartenden großklimatischen Bedingungen der Fall wäre", so Projektkoordinatorin Elisabeth Kühn. "Das klingt trivial, ist aber ein ganz einfaches Beispiel dafür, dass es durch modifiziertes Management möglich ist, Klimaveränderungen besser abzupuffern, um vielen Arten eine Atempause zum Anpassen oder Auswandern zu geben." Wenn dies gelingt, haben auch die Extremisten unter den Schmetterlingen eine gute Perspektive idealerweise bevor diese ausgestorben sind und wieder eingeführt werden müssen.    Gundula Lasch


UFZ-Ansprechpartner:
PD Dr. Josef Settele
Dept. Biozönosenforschung
e-mail: josef.settele@ufz.de

Elisabeth Kühn
Dept. Biozönoseforschung
Telefon: 0345/558-5263
e-mail: elisabeth.kuehn@ufz.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Exemplare des britischen Maculinea arion aus dem Archiv der Schmetterlingssammlung des Museums für Naturgeschichte in Oxford, England.


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Quelle:
UFZ-Spezial Dezember 2009: In Sachen Klimawandel, S. 16
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2009