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INITIATIVE/244: Auf weiter Flur - Fehlentwicklungen und Ansätze für eine neue Agrarpolitik (WWF magazin)


WWF magazin, Ausgabe 3/2017
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Auf weiter Flur

von Martina Fleckenstein, WWF


Viel Platz für Äcker, der Natur bleiben nur kleine Inseln: Die Industrialisierung der Landwirtschaft fordert ihren Tribut. Die Bestände vieler Wildtiere und Wildpflanzen in offenen Landschaften sind dramatisch geschrumpft. Längst flüchten viele Tierarten in die Städte, weil dort die Lebensbedingungen für sie besser sind. Dabei müssen wir nicht mit dem Finger auf Politik und Landwirte zeigen. Als Verbraucher ernähren wir uns zunehmend auf Kosten der Natur. Höchste Zeit für eine Kurskorrektur. Unsere Landwirtschaft muss nachhaltig werden.


Was täten wir nur ohne sie? Landwirte sorgen für unsere wichtigsten Nahrungsmittel, gestalten mehr als die Hälfte unserer Landschaft und kümmern sich zunehmend auch um die Energieversorgung. Vor allem bei der Nahrungserzeugung hat sich die Landwirtschaft rasant entwickelt: Nach dem Zweiten Weltkrieg ernährte ein Bauer zehn Menschen, heute sind es 144.

Technologie hat die Landwirtschaft revolutioniert: mit Neuzüchtungen bei Pflanzen und Tieren, dem intensiven Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Mineraldünger sowie immer größeren Maschinen und Ställen. Erbrachte ein hektargroßes Weizenfeld 1950 nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums noch im Mittel 2580 Kilogramm Ernteertrag, waren es 2015 mehr als dreimal so viel (8090 kg). Auch die durchschnittliche Milchleistung einer einzigen Kuh verdreifachte sich von 2480 (1950) auf 7620 Kilogramm (2015).

Milchmaschinen
Die durchschnittliche Milchleistung einer Kuh hat sich in 65 Jahren verdreifacht. 1950 = 2480 kg 2015 = 7620 kg

Spezialisierung tat ein Übriges: Hielten Landwirte früher mehrere Tierarten und bauten gleichzeitig noch zahlreiche Getreide- und Gemüsesorten auf ihren Flächen an, sind heute 86 Prozent aller Agrarbetriebe ausschließlich auf Ackerbau oder eine Tierart spezialisiert. Zugleich bewirtschaften immer weniger Bauern immer größere Flächen. Allein seit 1991 schrumpfte die Zahl der Höfe um rund die Hälfte auf 276 000. Parallel verfünffachte sich die durchschnittlich bewirtschaftete Fläche pro Haupterwerbsbetrieb auf fast 66 Hektar.

Artenschwund auf Äckern

Diese Intensivierung der Landwirtschaft hat erhebliche Folgen für die Natur. Immer mehr Hecken, Bauminseln und Kleingewässer verschwinden, um vergrößerten Anbauflächen Platz zu machen. Allein zwischen 1990 und 2010 gingen in Deutschland zum Beispiel rund 650 000 Hektar Grünland verloren - fast die dreifache Fläche des Saarlandes.

Andere Dimensionen
Seit 1950 hat sich durch Dünger, Pflanzenschutzmittel und größere Maschinen der Ertrag eines Hektars Weizenfeld mehr als verdreifacht. 1950 = 2580 kg / 2015 = 8090 kg

Nur noch wenige Kulturen wie Weizen und Mais dominieren heute die Ackerfläche, als Tierfutter und Rohstoff für die Biogasanlage. Traditionelle Futterpflanzen wie Klee sind fast völlig verschwunden. Zudem werden Felder mit schwereren Maschinen immer öfter und tiefer bearbeitet, mit reichlich Stickstoffdünger gedopt und jeder Menge Unkrautvernichtungsmitteln behandelt. Darunter leiden viele Tier- und Pflanzenarten. Die Artenvielfalt an Ackerwildkräutern wie Kornblume, Mohn oder Feld-Rittersporn ist allein in Mittel- und Norddeutschland gegenüber den 1960er-Jahren um fast drei Viertel zurückgegangen.

Stille Felder

Überdurchschnittlich stark gefährdet sind auch die Vögel der Agrarlandschaft: Dort hat sich nach einer Studie von BirdLife International die Zahl von 37 untersuchten europäischen Feldvogelarten innerhalb von 30 Jahren halbiert. Tragischer Rekordhalter ist das Rebhuhn: Sein Bestand ist seit 1980 europaweit um 94 Prozent geschrumpft. Selbst häufige Arten wie Feldlerche, Wiesenpieper oder Rauchschwalbe haben in den vergangenen Jahrzehnten rund die Hälfte ihrer Populationen verloren. Nicht nur, weil ihr Lebensraum schwindet, sondern es auch immer mehr an Insekten mangelt. Die sommerliche Autofahrt über Land beweist: Verklebte früher die Frontscheibe rasch mit lauter toten Hautflüglern, bleibt sie heute weitgehend insektenfrei. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise ist die Menge an Insekten - insbesondere Wildbienen und Schmetterlingen - seit 1995 um bis zu vier Fünftel zurückgegangen. Hauptursachen sind vermutlich immer weniger Nahrungsquellen und der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln.

Minus 94 % Rebhühner
Durchschnittlich 11 Feldhasen pro km²

Auch der Feldhase steht auf der Roten Liste. Er wird vor allem durch riesige Einheitsäcker ohne Verstecke sowie verstärkten Maschineneinsatz vertrieben: In Mitteldeutschland leben durchschnittlich gerade noch fünf Langohren auf 100 Hektar Fläche. Die intensive Landwirtschaft dezimiert selbst ihre wichtigsten Helfer, die Regenwürmer: Während auf wenig gepflügten Öko-Äckern über 450 Würmer pro Quadratmeter gezählt werden, sind es auf Feldern mit eintöniger Fruchtfolge und starkem Maschinen- und Chemieeinsatz mitunter weniger als 30 Tiere, stellte der WWF in einer im Januar 2017 veröffentlichten Studie fest.

Die Folgen: schlecht durchlüftete Böden, die zu wenig Wasser aufnehmen oder durchleiten. Um trotzdem noch gute Erträge zu bekommen, wird mit noch mehr Dünger und Pestiziden nachgeholfen, was der Natur noch mehr schadet. Ein Teufelskreis.

Zu wenig Geld für die Umwelt

Die Intensivierung der Landwirtschaft ist eine Folge der zunehmenden Technisierung und der EU-Agrarpolitik. Die Europäische Union steckt jährlich mehr als 56 Milliarden Euro in den Agrarsektor - das sind 37 Prozent ihres gesamten Budgets. Rund sieben Milliarden davon fließen nach Deutschland. Von dessen Löwenanteil wiederum, über fünf Milliarden Euro, werden vorwiegend Flächenprämien von aktuell bis zu 350 Euro pro Hektar an die Landwirte gezahlt, um deren Basiseinkommen zu sichern. Denn ohne diese Subventionen könnten viele von ihnen kaum existieren.

Doch diese Geldspritzen haben auch Nachteile: So werden sie hauptsächlich an die größten und durchrationalisiertesten Betriebe ausgeschüttet, denn rund ein Zehntel der Agrarbetriebe bewirtschaftet mehr als die Hälfte der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland. Das Nachsehen haben kleine und mittelgroße Bauernhöfe. Ihre wirtschaftliche Situation ist auch mit dieser Zuzahlung mitunter prekär. Außerdem ist diese Flächenprämie nicht in ausreichendem Umfang an soziale und ökologische Kriterien gekoppelt. Eine besonders umwelt- und tiergerechte Produktion wird so benachteiligt. Zwar finanziert Brüssel auch die Förderung des ländlichen Raumes. Das schließt konkrete Umweltleistungen ein wie zum Beispiel die Pflege des Schutzgebietssystems Natura 2000. Doch die Gaben aus diesem Geldtopf, rund 1,5 Milliarden Euro, genügen nicht, um den Niedergang der Natur auf dem Land aufzuhalten.

Viel Land für Fleisch

Neben Landwirten und EU-Politik beeinflussen auch wir Verbraucher unsere Landschaften. Mit jeder Mahlzeit entscheiden wir, wie Lebensmittel hergestellt und wie viele Ressourcen dafür benötigt werden - auch über Europas Grenzen hinaus. Denn längst reicht unsere eigene landwirtschaftliche Nutzfläche in Deutschland von rund 17 Millionen Hektar nicht mehr aus. Wir nutzen weitere sechs Millionen Hektar in anderen Teilen der Welt - für Lebensmittel, Futtermittel oder die Herstellung von Textilien, als Grundstoffe für die Industrie oder für Bioenergie.

Vor allem aber für Fleisch: Von der gesamten Ackerfläche, die wir in Deutschland aktuell für Lebensmittel benötigen, werden nach einer WWF-Berechnung fast 40 Prozent ausschließlich für die Erzeugung von Fleisch beansprucht. Dazu kommen noch mehr als zwei Millionen Hektar in Südamerika nur für die Erzeugung von Soja, als Futtermittel hauptsächlich für Schweine und Geflügel. Allein diese Fläche entspricht der Größe Sachsen-Anhalts.

Neben unserem Fleischkonsum ist auch die Verschwendung von Essen ein Grund für unseren riesigen Flächenbedarf. Allein in Deutschland werden einer WWF-Studie zufolge jährlich 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Das entspricht einer Ackerfläche von der Größe Mecklenburg-Vorpommerns und dem Saarland zusammen.

Wir könnten auch anders

All diese Fehlentwicklungen lassen sich korrigieren. Über Verbraucher, Landwirte und EU-Politik führen viele Wege zu einer besseren Landwirtschaft. Eine, die Boden und Wasser schont, die biologische Vielfalt erhält, die die Umsetzung der Klimaschutzziele verfolgt sowie faire Preise und ein gerechtes Einkommen für Landwirte garantiert. Dafür setzt sich der WWF bei der Bundesregierung, bei Bundestagsabgeordneten, EU-Parlamentariern und der EU-Kommission ein (siehe unten).

Vielfalt in unserer Hand

Nicht zuletzt von der Art und Weise, wie wir uns ernähren und wie wir unsere Nahrungsmittel anbauen, hängt das Schicksal der biologischen Vielfalt weltweit ab - vorn Braunkehlchen in Mecklenburg bis zum Ameisenbären in Brasilien.

Eine der großen Herausforderungen der Zukunft ist es daher, Flächen so zu bewirtschaften, dass sie wild lebenden Tier- und Pflanzenarten weiterhin ausreichend Lebensraum bieten. Außerdem müssen wir verloren gegangene Lebensräume wieder in die Landwirtschaft integrieren. Das verbessert auch unsere Zukunftsperspektive. Um mit gutem Beispiel voranzugehen, erprobt der WWF bereits in Projekten weltweit - in Südamerika ebenso wie in Ostdeutschland - neue Wege zu einer nachhaltigen Landwirtschaft. Diese Modellprojekte machen Gemeinden und politischen Entscheidungsträgern klar: Die Ernährung zu sichern, darf nie zulasten der Natur gehen.

Nachhaltiger essen

Was die Verbraucher betrifft, hat der WWF hat einen Sechs-Punkte-Plan entwickelt, der für jeden gelten kann. Zunächst ist es wichtig, dass nicht mehr so viele Lebensmittel im Müll landen. Am besten nur das einkaufen, was man wirklich braucht, und Essensreste weitgehend verwerten. Ganz wichtig: nach Möglichkeit weniger Fleisch essen und Produkten aus tiergerechter Bio- und Weidehaltung den Vorzug geben. Saisonale Produkte sparen Energie und Emissionen genauso wie Lebensmittel aus der Region, die zudem noch lokale Wirtschaftskreisläufe stärken. Wenn immer möglich, sollte man zertifizierte Lebensmittel aus ökologischem Landbau bevorzugen: Dies ist aktuell die nachhaltigste Form der Erzeugung von Lebensmitteln. Ist die Gurke ein bisschen krummer und die Kartoffel dellig, ist dies kein Zeichen von mangelnder Qualität. Seit 2009 ist ein Großteil der Qualitätsnormen der EU für landwirtschaftliche Erzeugnisse aufgehoben. Trotzdem hält sich der Handel seitdem an die ähnlichen Normen der UN- Wirtschaftskommission für Europa (Unece). Allein bei Kartoffeln werden in Deutschland noch immer jedes Jahr rund 750.000 Tonnen aussortiert, weil sie zu klein oder zu unförmig sind. Der WWF fordert Wirtschaft und Handel auf, ihre Anforderungen an landwirtschaftliche Erzeugnisse anzupassen. Wir als Verbraucher sind dabei genauso gefragt wie Landwirte, Einzelhandel und Politik. Eine nachhaltige Landwirtschaft für Mensch und Natur kann gelingen, wenn alle ihren Teil dazu beitragen.

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ARTENVIELFALT IM ÖKOLANDBAU

Vor allem im Ökolandbau lassen sich Flächen artenfreundlich bewirtschaften. Die Bauern verzichten hier unter anderem auf Pestizide und Mineraldünger. Daher entwickelten der WWF und der Unternehmensverbund EDEKA vor fünf Jahren mit dem Anbauverband Biopark und dem Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung einen Katalog mit 100 Maßnahmen zur Förderung der Artenvielfalt in der ökologischen Landwirtschaft. Daraus wählten Biopark-Landwirte die für sie passenden aus, wie Streifen im Grünland ungemäht zu lassen, um Vögeln und Amphibien Lebensraum zu geben. Der Vergleich zeigt: Im Ökolandbau ist die Artenvielfalt bis zu neunmal größer als im konventionellen Anbau! EDEKA unterstützt das Modellprojekt, garantiert die Abnahme der Erzeugnisse und zahlt teilweise einen Aufpreis. Verkauft werden sie bei EDEKA Nord unter dem Label "Landwirtschaft für Artenvielfalt". WE/MW



DIE WWF-FORDERUNGEN FÜR EINE NEUE AGRARPOLITIK

Die EU-Kommission hat bereits mit den Planungen für die EU-Agrarpolitik für 2021 bis 2027 begonnen. Die Vergabe von Fördermitteln muss dann an messbare soziale und ökologische Maßnahmen gebunden sein, für die die Landwirte entsprechend honoriert werden. Eine europäische Bodenschutz- Rahmenrichtlinie ist überfällig. Ausgelaugte Böden müssen wieder aufgebaut und Pflanzenschutzmittel reduziert werden. Wichtig ist es auch, mit der Fruchtfolge mehr Vielfalt auf den Acker zu bringen und dafür zu sorgen, dass in Agrarlandschaften wieder vermehrt natürliche Strukturen wie Hecken oder Tümpel entstehen. Dann können verdrängte Feldarten zurückkehren. Besonders gut gelingt das im ökologischen Landbau: Deshalb sollte dessen Anteil bis 2021 auf mindestens 20 Prozent erhöht werden.

Für alle importierten Agrarrohstoffe und -produkte müssen Mindeststandards für Nachhaltigkeit gelten. Heimische Eiweißfuttermittel wiederum gilt es zu fördern. Ausführlicher finden Sie die zehn WWF-Ziele auf
wwf.de/ziele-landwirtschaft.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Über die Verhältnisse
Art und Ausmaß der Landwirtschaft hängt maßgeblich von uns Verbrauchern ab. Lokal erzeugte Lebensmittel, die auch nur saisonal erhältlich sind, passen oft nicht in eine Zeit, in der immer alles gleich verfügbar sein muss.

Gesunder Wildwuchs
Ackerwildkräuter wie Kornblumen, Mohn oder Lämmersalat wachsen auf Öko-Äckern des Modellprojekts bis zu 20-mal häufiger als auf konventionellen Feldern.

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Quelle:
WWF Magazin 3/2017, Seite 10-15 und 17-18
Herausgeber:
WWF Deutschland
Reinhardtstraße 18, 10117 Berlin
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Internet: www.wwf.de
 
Die Zeitschrift für Fördermitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2017

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