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FORSCHUNG/367: Komplizierte Austauschbedingungen in einem hohen Waldbestand (spektrum - Uni Bayreuth)


spektrum - Universität Bayreuth
Ausgabe 1, Mai 2011

Forschung lokal
Komplizierte Austauschbedingungen in einem hohen Waldbestand
Kohlenstoffsenke "Wald" nur mit erheblichem Aufwand quantifizierbar

von Thomas Foken


Wälder stellen eine Senke im Kohlenstoffkreislauf auf der Erde dar. Damit ermöglichen sie es, dass ein beachtlicher Teil des anthropogen in die Atmosphäre emittierten Kohlenstoffes nicht in der Atmosphäre bleibt und somit auch nicht zur Klimaerwärmung beträgt. Es besteht daher ein erhebliches politisches Interesse, diese Kohlendioxidmengen mit der gleichen Genauigkeit ermitteln zu können, wie die anthropogenen Emissionen bekannt sind. Dies ist aber eine erhebliche wissenschaftliche Herausforderung, da sich die Bestimmung des Kohlendioxidtransportes als außerordentlich kompliziert erweist. Die Abteilung Mikrometeorologie hat sich in den letzten mehr als 10 Jahren nicht nur um die Verbesserung der Messungen sondern auch um das genauere Verstehen des Transportprozesses bemüht. Um die komplizierten Bedingungen für den Austausch (Flüsse) von Energie und Stoffen - dies schließt auch Wasserdampf (Verdunstung) und Kohlendioxid (Assimilation, Atmung) ein - darstellen zu können, sind einige einführende Bemerkungen zum Transportprozess in der Atmosphäre nötig. Wie in anderen Medien gilt die generelle Gleichung:

Dabei kommt beispielsweise im Boden ein molekularer Diffusionskoeffizient zur Anwendung, der sehr klein ist. Im Gegensatz dazu sind die vertikalen Gradienten sehr groß. Beispielsweise ist die Kohlendioxidkonzentration in den Bodenporen erheblich größer als in der Atmosphäre. Derartige Bedingungen herrschen in der Atmosphäre nur im untersten Millimeter unmittelbar am Boden und an den Pflanzenteilen. Darüber findet der Austausch in turbulenten Wirbeln mit räumlichen Ausdehnungen von Zentimetern bis Dekametern statt. Dieser Austausch ist etwa 100.000fach effektiver als der molekulare Austausch. Somit ist es beispielsweise möglich, dass sich die Atmosphäre durch den fühlbaren Wärmestrom im Tagesgang bis zu einer Höhe von mehreren 100 m erwärmen kann, während der Jahresgang der Temperatur im Boden in 10-15 m Tiefe kaum noch feststellbar ist. Treibende Kräfte für diesen turbulenten Austausch sind der vertikale Windgradient, der den turbulenten Diffusionskoeffizenten bestimmt, und der vertikale Dichtegradient. Dieser wird nur unwesentlich durch die vertikale Verteilung von Spurenstoffen (Kohlendioxid) modifiziert sondern im Wesentlichen durch die Temperatur- und Feuchteverteilung bestimmt, wodurch jeder Stofftransport unmittelbar an den Wärme- und Feuchtetransport (fühlbarer und latenter Wärmestrom) gekoppelt ist. Die typischen Temperaturverteilungen im Wald sind in Abb. 1 dargestellt. Für den Austausch besonders effektiv ist labile (unten wärmer als oben) Schichtung am Tag über dem Waldbestand und in der Nacht schwach ausgeprägt im Stammraum. Bei stabiler Schichtung (unten kühler, oben wärmer) tritt hingegen kaum Austausch auf, und die emittierten Gase (z. B. Kohlendioxid aus Bodenatmung) können sich bodennah sehr hoch aufkonzentrieren. Dies hat zur Folge, dass der Gradient in der molekularen Schicht der Atmosphäre und im Boden abgeschwächt wird und somit der Austausch zum Erliegen kommt.

Abb. 1: Typische Temperaturverteilung in einem Wald am Tag und in der Nacht - Graphik: © Autoren

Ein weiteres Phänomen intensiviert den Austausch über hoher Vegetation. Durch die hohe Rauigkeit der Wälder nimmt oberhalb der Kronenoberkante die Windgeschwindigkeit sehr stark zu, was zur Ausbildung einer Verwirbelungsschicht (Kelvin-Helmholtz-Instabilität) führt. Verwirbelungsschicht und labile Schichtung führen zu einer Abnahme aller Gradienten über dem Wald, obwohl der Stofffluss zunimmt. Somit muss obige Gleichung durch zwei Korrekturfunktionen, die kleiner 1 sind, modifiziert werden:

Im Gegensatz zu niedriger Vegetation ist die Energieumsatzfläche zwischen Atmosphäre und Ökosystem beim Wald nicht mehr als ebene Fläche approximierbar. Es muss vielmehr ein Volumenelement betrachtet werden. Die Mikrometeorologie ist mittels der sogenannten Eddy-Kovarianz-Methode in der Lage, Energie- und Stoffflüsse oberhalb des Bestandes zu messen. Dabei wird über alle Wirbel ("eddies") gemittelt, die innerhalb einer bestimmten Zeiteinheit (in der Regel 30 Minuten) das Messsystem passieren (siehe Beitrag Foken et al. im gleichen Heft). Somit wird ein größeres Gebiet (z.T. mehrere Quadratkilometer) erfasst, und man spricht hierbei vom sogenannten Footprintbereich, der ebenfalls von Windgeschwindigkeit und Stabilität abhängt und zur Lokalisierung der Messungen exakt bestimmt werden muss. Da im Wald und insbesondere im Stammraum keine Windstille herrscht, werden mit diesem Windfeld in das Volumenelement (Abb. 2) Gaskonzentrationen hinein oder heraus transportiert (Advektion). Ob dies zu einer Stoffanreicherung oder -abreicherung führt, hängt von der Konvergenz oder Divergenz des Windfeldes ab. Advektive Vorgänge konnten aus horizontalen Gradienten trotz umfangreicher Experimente nicht eindeutig bestimmt werden (Aubinet et al., 2008).

Abb. 2: Schematische Darstellung des Volumenelementes Wald, an dessen Oberkante die Assimilations- und Respirationsflüsse als Summe gemessen werden können - Graphik: © Autoren

Abb. 2: Schematische Darstellung des Volumenelementes Wald, an dessen
Oberkante die Assimilations- und Respirationsflüsse als Summe gemessen
werden können
Graphik: © Autoren

Nach diesen Betrachtungen wird offensichtlich, dass es am Tage wegen der vorhandenen stabilen Schichtung keinen Stofftransport im Stammraum und in der Nacht über der Krone geben müsste. Das ist allerdings nicht der Fall. Verantwortlich dafür sind die durch die Verwirbelungsschicht entstehenden kohärenten Strukturen. Dies sind ebenfalls turbulente Wirbel, die den Bestand recht schnell durchdringen können und mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftreten - im Gegensatz zu den sonst zufällig verteilten Wirbeln. Der Austausch über kohärente Strukturen kann in der Nacht bis 100% und am Tage etwa 20% Anteil am Gesamtaustausch haben (Thomas und Foken, 2007).

Abb. 3: a) Bodenbewuchs an der Messfläche Waldstein-Weidenbrunnen mit eingezeichneten Höhenlinien und Messpunkten (Darstellung von T. Behrendt, MPI Mainz), b) Pflanzenbedeckungsindex (Pflanzenoberfläche pro Bodenoberfläche) an der Messfläche Waldstein-Weidenbrunnen mit eingezeichneten Messpunkten im gleichen Maßstab wie a) (Quelle: Siebicke, L.: Advection at a forest site - an updated approach. PhD-Thesis, University of Bayreuth, 2011)

Im Jahre 2008 wurde an der BayCEER-Messfläche Waldstein-Weidenbrunnen der Versuch unternommen, kohärente Strukturen in die Betrachtung von advektiven Vorgängen einzubeziehen (Siebicke, 2011). Abbildung 3a zeigt für das unmittelbare Messfeld die Zusammensetzung der Bodenvegetation und Abb. 3b die dazugehörige Verteilung des Plant-Area-Index (Pflanzenoberfläche pro horizontales Flächenelement). Es zeigt sich eine starke Heterogenität in der Bestandesdichte, die sich an den lichten Stellen wiederum durch eine stärkere Bodenbedeckung ausdrückt. In diesem Bestand wurden an verschiedenen Stellen Turbulenzmessungen durchgeführt, sowohl auf gleicher Höhenlinie als auch in einem geneigten Profil, um katabatische Luftmassenbewegungen (Abfließen kalter Luft auf Grund der Schwerkraft) erfassen zu können. Im Ergebnis einer hier nicht näher erläuterten Analyse (Wavelet-Methode) konnte gezeigt werden, dass an den lichten Waldstellen kohärente Strukturen nicht nur kräftiger sind und tiefer in den Bestand eindringen sondern auch länger anhalten. An diesen Stellen wird Kohlendioxid in den Wald transportiert bzw. veratmetes Kohlendioxid wieder heraus transportiert. In den dichteren Waldbeständen sind dagegen durch die Atmung höhere Konzentrationen typisch. Die dadurch entstehenden horizontalen Gradienten sind also nicht advektiven Prozessen zuzuordnen sondern vertikalen Austauschprozessen durch kohärente Strukturen.

Abb. 4: Schlanker 36 m hoher Messturm am Messfeld Waldstein-Weidenbrunnen zur Ermittlung der Kopplungszustände zwischen Atmosphäre und Ökosystem - Foto: © Autoren


Abb. 4: Schlanker 36 m hoher Messturm am Messfeld Waldstein-Weidenbrunnen zur Ermittlung der Kopplungszustände zwischen Atmosphäre und Ökosystem
Foto: © Autoren

Wesentlich für diese Betrachtungsweise war eine in den letzten 10 Jahren in der Abteilung Mikrometeorologie entwickelte Klassifizierung der Kopplung zwischen Atmosphäre und Biosphäre (Thomas und Foken 2007). Es bedarf dazu Messungen über und innerhalb des Waldbestandes (Abb. 4). In der Nacht herrscht weitgehend keine Kopplung vor und nur wellenartige Zustände sind über dem Wald zu beobachten. Am Tage treten zunehmend kohärente Strukturen in den Bestand ein. Die Zeit mit völliger Kopplung zwischen allen Bestandesschichten und der Atmosphäre beträgt in der Regel jedoch nur wenige Stunden. Mit diesem Kopplungsschema war es in den letzten Jahren möglich, im Rahmen des EGER-Projektes (ExchanGE processes in mountainous Regions) auch den Transport von reaktiven Spurenstoffen im Wald zu untersuchen. Dadurch wurde es machbar, Perioden mit starker Entkopplung (chemische Reaktionen dominieren vor tubulentem Stoffaustausch) von gut durchmischten Perioden (turbulenter Transport erfolgt schneller als Reaktionschemie) eindeutig zu trennen. Um den Prozess der turbulenten Transporte in einem Wald komplett zu verstehen, muss auch die etwa 1 km starke atmosphärische Grenzschicht oberhalb des Waldes untersucht werden. Abbildung 5 zeigt gegen 23 Uhr eine Konzentrationszunahme von Ozon, die auf Schwerewellen zurückzuführen ist, welche an einem nahe gelegenen Berg entstanden sind. Eine weitere Konzentrationszunahme ist auf die Verstärkung des Windgradienten und damit des turbulenten Diffusionskoeffizienten nach Mitternacht zurück zu führen. Dieser ist mit einem Low-Level-Jet (LLJ, Starkwindband) in etwa 200-400 m Höhe gekoppelt. In etwa 20-30% aller Nächte dreht am Waldstein nach Mitternacht der Wind nach Osten (aus dem Weißenstädter Becken). In Folge kommt es in der stabil geschichteten Luftmasse zur Ausbildung dieses LLJ, der auch den bodennahen turbulenten Austausch maßgeblich beeinflusst. Ozon eignet sich als Tracer besonders gut, da es im Gegensatz zu Kohlendioxid keine Bodenquelle besitzt. Die Ozonzunahme ist jedoch eng gekoppelt mit einer Kohlendioxidkonzentrationsabnahme durch Einmischen von oberhalb des Bestandes befindender Luft.

Abb. 5: Verteilung der Ozonkonzentration in und über dem Wald (Höhe 25 m, Höhenachse im unteren Meter gestreckt) am Messpunkt Waldstein-Weidenbrunnen. Ozon wird aus der Atmosphäre in den Wald eingemischt durch brechende Schwerewellen (22-23 Uhr) und einen Low-Level-Jet (nach Mitternacht) -Quelle: Foken et al.: ExchanGE processes in mountainous Regions (EGER) - overview of design, methods, and first results, Atmospheric Chemistry and Physics, Discussion, 11, 26245-26345 (2011)

Abb. 5: Verteilung der Ozonkonzentration in und über dem Wald (Höhe 25 m, Höhenachse im unteren Meter gestreckt) am Messpunkt Waldstein-Weidenbrunnen. Ozon wird aus der Atmosphäre in den Wald eingemischt durch brechende Schwerewellen (22-23 Uhr) und einen Low-Level-Jet (nach Mitternacht)
Quelle: Foken et al.: ExchanGE processes in mountainous Regions (EGER) - overview of design, methods, and first results, Atmospheric Chemistry and Physics, Discussion, 11, 26245-26345 (2011)

Dieser Beitrag konnte nur einen ersten Eindruck über die sehr komplexen Austauschbedingungen in einem Waldökosystem bringen. Detailliertere Ausführungen können den zahlreichen Fachpublikationen und einer zweistündigen Vorlesung, welche zu dieser Thematik jeweils im Sommersemester im Masterstudiengang Geoökologie angeboten wird, entnommen werden. Da der Energie- und Stoffaustausch zwischen Atmosphäre und Biosphäre ein außerordentlich komplexes Problem ist und andererseits die Biosphäre eine wesentliche Rolle im Klimasystem im Hinblick auf eine mögliche Senkenfunktion für Treibhausgase spielt, setzen hier weltweit umfangreiche Forschungsprogramme an, die sehr gute Perspektiven für junge Wissenschaftler bieten.

Autoren

Prof. Dr. Thomas Foken
leitet die Abteilung Mikrometeorologie des BayCEER. Seit seiner Berufung vor fast 15 Jahren nach Bayreuth befasst sich Prof. Foken mit Fragen des Klimawandels und seinen Folgen speziell in Nordbayern. Lokalklima und Auswirkungen des Klimawandels auf Waldökosysteme sind sowohl Bestandteil der Lehre als auch ein Schwerpunkt der Forschungen.

Der Artikel wurde unter Mitwirkung folgender Co-Autoren erarbeitet:
• Dr. Andrei Serafimovich
• Dipl.-Geoökol. Lukas Siebicke
• Prof. Dr. Cornelius Zetzsch
• Prof. Dr. Franz X. Meixner


Info
Die Untersuchungen wurden im Forschungsprojekt EGER (www. bayceer.uni-bayreuth.de/eger/), gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (FO 226 16-1 und 21-1, ME 2100/4-1 und 5-1, ZE 792/4-1; PAK 446), durchgeführt.

Literatur
• Aubinet, M., 2008. Eddy covariance CO2 flux measurements in nocturnal conditions: An analysis of the problem. Ecological Application, 18: 1368-1378.
• Siebicke, L., 2011: Advection at a forest site - an updated approach, PhD-Thesis, Universität Bayreuth.
• Thomas, C. and Foken, T., 2007. Flux contribution of coherent structures and its implications for the exchange of energy and matter in a tall spruce canopy. Boundary-Layer Meteorology, 123: 317-337.


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Quelle:
spektrum, Ausgabe 1, Mai 2011, Seite 54-57
Herausgeber: Universität Bayreuth
Redaktion: Pressestelle der Universität Bayreuth, 95440 Bayreuth
Telefon: 0921/55-53 23, -53 24, Fax: 0921/55-53 25
E-Mail: pressestelle@uni-bayreuth.de
Internet: www.uni-bayreuth.de

"spektrum" erscheint dreimal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. November 2011