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FORSCHUNG/330: Interview - Driften Klimawissenschaft und Klimapolitik auseinander? (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter März 2010

Driften Klimawissenschaft und Klimapolitik auseinander?

Ein Interview mit Prof. Reimund Schwarze, der als Vertreter des UFZ und Mitglied der Delegation von Georgien bei der COP 15 in Kopenhagen war.


Die 15. Vertragsstaatenkonferenz der UN-Klimarahmenkonvention (COP15, UNFCCC) ist nach verbreiteter Meinung gescheitert. Sehen Sie das auch so?

Es war aus meiner Sicht die schlechteste je da gewesene COP. Schlecht vorbereitet durch die Vortreffen der Unterhändler in Bonn, Bangkok und Barcelona und unsensibel geführt durch die dänische Verhandlungsleitung wurde in der ersten Verhandlungswoche nicht nur nichts erreicht, vielmehr verhärteten sich die Positionen bis zu dem Punkt, dass die afrikanischen Staaten drohten, die Verhandlungen zu verlassen. Die Konvolute der Verhandlungstexte aus den Vortreffen wuchsen statt sich zu lichten, so dass der Vorsitzende der Arbeitsgruppe zu Langfristzielen und -aktivitäten (AWG-LCA), Michael Zammit Cutajar, eingestehen musste, dass keine beschlussfähigen Dokumente für das Plenum in der zweiten Woche vorlagen. Der schrittweise Ausschluss der Nichtregierungsorganisationen aus dem Verhandlungsumfeld in der zweiten Woche verlagerte den Druck vor die Tore des Bella Centers und gab der COP ein neues gespenstisches Gesicht. Wer etwas über politische Wirkungsketten in internationalen Umweltverhandlungen lernen möchte, findet hier einen reichen Fundus.

Bereits Wochen vorher prägte die COP15 die Berichterstattung der Medien und wurde so weltweit zum Gesprächsstoff. Weshalb wurde Kopenhagen zu einem Ereignis hoch stilisiert, auf dem über Untergang oder Fortbestand der Menschheit entschieden wird?

Die Wissenschaft hat neue Erkenntnisse erbracht, dass der Klimawandel schneller voran schreitet als erwartet und diese in mahnenden Appellen wie dem Kopenhagen-Konsens für Politiker verständlich zum Ausdruck gebracht. Allen Entscheidungsträgern war deshalb vor Kopenhagen klar, dass ein weiterer Aufschub von einschneidenden Änderungen bei der globalen Treibhausgasfreisetzung mit erheblichen Folgen verbunden wäre. Nicht immer wurde dabei aber hinreichend klar zwischen Überlebensfragen und Fragen der Überwälzung von Kosten auf zukünftige Generationen unterschieden. Um letztere ging es den Politikern, die in diesem Sinne auch nicht besser sind als wir, denn auch "Wir Klimaretter" dürften keine Stunde ruhen, wenn wir der Überzeugung wären, es ginge um das Überleben der Menschheit.

Dass es kein rechtlich verbindliches Abkommen geben würde, war einigen offenbar schon zuvor klar. Ruhte deshalb die Hoffnung auf dem politischen Handeln der Staatsoberhäupter?

Ja, nach dem offensichtlichen Scheitern des normalen Verhandlungsmodus musste die Hoffnung auf einer ad-hoc-Aktion der Staatsoberhäupter ruhen. Die waren zwar zahlreich in Kopenhagen erschienen, aber verstanden wenig von der komplexen Materie und zeigten sich unbeweglich. Der US-Präsident wollte - in eigenen Worten - "nichts versprechen, was er nicht auch halten könne" und bewegte sich fortan kein Jota in den gemachten Emissionsreduktionsversprechen. Und China zeigte sich bis zuletzt in der Frage der Kontrolle der nationalen Klimaschutzanstrengungen hart abwehrend. Dass sie nach der Nachtaktion des Donnerstag, die zur Kopenhagenübereinkunft führte, fast fluchtartig am Freitag abreisten, ermöglichte aus meiner Sicht erst den Aufstand der Kleinen und der sozialistischen Länder Lateinamerikas im Samstagsplenum, das den Abgesang auf den 'Copenhagen Accord' einläutete.

Was ist dieser so genannte "Copenhagen Accord", in dem zumindest schon einmal das Zweigradziel für den Klimaschutz vereinbart wurde, eigentlich wert?

Die Kopenhagenübereinkunft ist nicht mehr als eine politische Absichtserklärung einiger wichtiger Länder, die von der UN im Rahmen der eingeschlagenen Verhandlungspfade "zur Kenntnis genommen" wurde. Jede förmliche Verbindung zu diesen Pfaden wurde auf der Samstagssitzung gekappt. Die Inhalte dieser Erklärung sind darüber hinaus dünn. Das darin festgelegte Zweigradziel ist ein Schritt zur politischen Interpretation von Art. 2 der Klimarahmenkonvention. Es ist aber durch nichts hinterlegt. Alle Versuche, die Zielmarken des IPCC im "Copenhagen Accord" zu verankern, sind gescheitert. Die Übereinkunft enthält keine verbindlichen nationalen und globalen Reduktionsziele, keine zeitliche Festlegung zum Erreichen einer globalen Trendwende bei den Emissionen und keine Überwachungs- und Sanktionsmechanismen. Auch keinen Schritt in Richtung eines globalen Emissionshandels. Der Einstieg in ein System von Unterstützungsmaßnahmen für die Entwicklungsländer wurde mit dem "Kopenhagen-Fonds" zwar gefunden, aber bleibt weit hinter den Forderungen der Entwicklungsländer zurück. Der in einer Vorfassung vorgesehene Zeitplan für Nachverhandlungen im nächsten Jahr wurde gestrichen. Jetzt gibt es - anders als im Bali-Aktionsplan - nicht einmal ein bindendes Mandat für die Unterhändler in diesem Jahr.

Stehen wir damit vor einem Scherbenhaufen?

Hier hilft zunächst ein kühler Blick auf die Fakten. Die Kopenhagenübereinkunft ist nur eines von einer Vielzahl von Dokumenten der COP15. Sicher ein potenziell wichtiges, was die Ausfüllung der UNFCCC und des Kyoto-Protokolls betrifft, aber beide Abkommen bestehen völkerrechtlich verbindlich fort. Auch der Bali-Aktionsplan bleibt rechtlich bindend. Auf allen diesen Verhandlungspfaden gab es kleinere und größere Fortschritte in Kopenhagen. Zum Beispiel wurde der Clean Development Mechanism (CDM) grundlegend reformiert, so dass die Umsetzung kleiner Projekte erleichtert und die Überlastung des CDM-Exekutivrats reduziert wurde. Auch in technischen Fragen der Überwachung der weltweiten Abholzung und Walddegradation (REDD) gab es Fortschritte. Außerdem haben sich die Staats- und Regierungschefs darauf geeinigt, auf freiwilliger Basis nationale Ziele zur Emissionsreduktion bis Ende Januar einzureichen. Viele Staaten (55) sind dem inzwischen nachgekommen, haben allerdings lediglich ihre schon vor Kopenhagen genannten Ziele noch einmal bekräftigt. Auch die EU blieb bei 20% Reduktion. Diese freiwilligen nationalen Einreichungen deuten eine Bereitschaft an, auf neuen Wegen zu differenzierten Festlegungen zu kommen, die jedoch unter dem liegen, was für die Erreichung des Zweigradziels bislang als Mindestmarke von der UN angesetzt wurde, nämlich global minus 25% bis 2020. Wir stehen damit wieder vor Kopenhagen. Das Porzellan wurde gekittet, aber der Prozess schleppt sich hin.

Ist die internationale Politik zu schwerfällig für die Herausforderungen des Klimawandels?

Bislang galt der Satz von Sir Nicholas Stern: "Klimapolitik ist wissenschaftsgetriebene Politik". 1990 erschien der erste Sachstandsbericht des IPCC, danach (1992) fielen die Bahn brechenden Beschlüsse von Rio de Janeiro; 1995 erschien der zweite Sachstandsbericht des IPCC mit deutlich schärferen Warnungen an die Politiker, 1997 wurde das Kyoto-Protokoll verabschiedet. 2007 erschien der vierte Sachstandsbericht mit alarmierenden Hinweisen auf die Gefahren des Klimawandels; wenige Jahre danach (2009) fiel der Beschluss der Großen für drastische Einsparziele bis 2050 in L'Aquila. Das Scheitern in Kopenhagen macht deutlich, was in der Gleichung von Stern nicht aufgeht: Der Klimawandel vollzieht sich in einem Tempo, mit dem die gesellschaftlichen Institutionen nicht mithalten können.

Jetzt werden Forderungen laut, man müsse die UN als Verhandlungsrahmen aufgeben, die demokratischen Prozesse seien zu schwerfällig. Was halten Sie davon?

Der Ruf nach einer "Ökodiktatur" bringt uns an dieser Stelle nicht weiter. Das schwerfällige Konsensprinzi p im Rahmen der UN hat nichts mit Demokratie zu tun, sondern mit der Anerkennung des Prinzips der nationalen Souveränität. Das geht gestärkt aus Kopenhagen hervor. Die neue multipolare Weltordnung hat sich dort Geltung verschafft. Ohne Indien und China geht nichts mehr, aber auch nicht ohne Südafrika, Mexiko und Südkorea - Länder, die vielfältig in der UN in Verhandlungsgemeinschaften eingebunden sind.

Was ist ihr Fazit aus dem Scheitern von Kopenhagen?

Es bleibt die bittere (An-)Erkenntnis, dass das Tempo, in dem wir handeln müssten, um gefährliche Eingriffe in das Klimasystem zu vermeiden, nicht durch unsere internationalen Institutionen erreicht werden kann. Selbst wenn wir sie abschaffen wollten - was ich nicht wollte -, könnten wir es nicht. Deshalb müssen wir sagen, was noch machbar ist. Es geht um die Glaubwürdigkeit der Politik. Die Wissenschaft muss insoweit dem Souverän folgen. Wir brauchen eine stärkere Integration der Sozialwissenschaft in die Klimaforschung, um zu einem besseren Verständnis der internationalen politischen Prozesse zu gelangen. Und wir brauchen eine Stärkung der naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Forschung zur Anpassung an den Klimawandel unter Einschluss des Geo-Engineering - aus wohlverstandener Verantwortung für die Zukunft.

Was muss geschehen, damit die nächste UN-Klimakonferenz in Mexico City ein Erfolg wird?

Der große Wurf, sprich Emissionsreduktionspflichten für die bedeutenden Emittenten der Welt inklusive der USA und der Schwellenländer, wird nach meiner Einschätzung in diesem Jahr nicht gelingen. Vergleichbare oder gar bessere Rahmenbedingungen wie in Kopenhagen sind nicht zu erwarten - schon aus Gründen der Vermeidung eines neuerlichen politischen Gesichtsverlustes. Wir müssen verhindern, dass die Klimaverhandlungen jetzt in einem Stadium verfallen wie z. B. die langwierigen Verhandlungen der Welthandelsorganisation. Der Bewegungsfreiraum der US-Regierung hat sich durch aktuelle Entwicklungen im US-Senat verkleinert, und die Schwellenländer haben aktuell auf einem Treffen in Neu-Delhi ihren Schulterschluss mit den Inselstaaten und der UN erklärt. Es muss daher auf den eingeschlagenen Pfaden weiterverhandelt werden, denn es gibt keine besseren.

Prof. Reimund Schwarze lehrt Finanzwissenschaft und Umweltökonomie an der Universität Frankfurt/Oder. Seit Oktober 2007 arbeitet er am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ im Bereich "Ökonomie des Klimawandels". Er ist Sprecher für dieses Thema im Rahmen der Klimainitiative der Helmholtz-Gemeinschaft.

Tilo Arnhold


Land

Emissionsreduktion
bis 2020
Basisjahr

Australien
5%-25%
2000
Kanada
17%
2005
EU
20-30%
1990
Japan
25%
1990
USA
17%
2005
Russland
15%-25%
1990
China



40%-45% Reduktion  
Emissionsintensität 
(CO2 pro Bruttoso-  
zialprodukt-Einheit)
2005



Indien



40%-45% Reduktion  
Emissionsintensität 
(CO2 pro Bruttoso-  
zialprodukt-Einheit)
2005




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Quelle:
UFZ-Newsletter März 2010, S. 6-7
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. März 2010