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WASSER/075: Bangladesch - Qual der Wahl, Arsen im Grund- oder Mikroben im Oberflächenwasser (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Mai 2012

Bangladesch: Leben mit der Qual der Wahl - Arsen im Grund- oder Mikroben im Oberflächenwasser

von Naimul Haq



Dhaka, 22. Mai (IPS) - Bangladesch steht vor einer schwierigen Aufgabe: Im Einklang mit den Millenniumsentwicklungszielen der Vereinten Nationen sollen die rund 160 Millionen Einwohner des südasiatischen Landes spätestens 2015 Zugang zu sauberem Trinkwasser erhalten. Erschwert wird die Umsetzung des Vorhabens durch den hohen Arsengehalt im Grundwasser und Mikroben in Flüssen und Seen, die beim Menschen Durchfall verursachen.

Mit Hilfe eines Programms, das den Einsatz von Handpumpen fördert und Frauen in den betroffenen Gemeinden aktiv beteiligt, haben es die Behörden immerhin schon geschafft, dass 98 Prozent der Bevölkerung in ländlichen Regionen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben. "Alle 1,3 Millionen Rammbrunnen, die wir für die ländliche Bevölkerung gebaut haben, sind Arsen-frei", sagt Mohammad Nuruzzaman, Chefingenieur in der Behörde für öffentliche Gesundheit. "Wir überwachen sie ständig und führen dazu Tests in 14 regionalen Labors durch."

Handpumpen nehmen Wasser auf, das sich näher an der Oberfläche befindet und daher weniger Arsen enthält. Auch sehr tiefe Brunnen, die bis zu 500 Metern unter die Erde reichen, gelten als sicher, da Arsen in solchen Tiefen kaum noch vorkommt. "Das Weltkinderhilfswerk UNICEF wird sich aber erst zufrieden geben, wenn alle Trinkwasserquellen frei von Arsen sind", sagt Pascal Villeneuve, der UNICEF in Bangladesch vertritt.


Hohe Arsen-Belastung durch tief gebohrte Brunnen

Das Weltkinderhilfswerk hat besonderen Grund, über Arsen im Grundwasser besorgt zu sein. Die UN-Organisation war bereits in den fünfziger Jahren verantwortlich für ein Rammbrunnen-Programm in dem Land. Die tief gebohrten Brunnen hatten katastrophale Folgen, denn 1993 wurde im Grundwasser ein hoher Grad von Arsen-Verseuchung festgestellt.

"Zurzeit setzen die bangladeschische Regierung und UNICEF gemeinsam das weltweit größte Programm zu einem neuen Umgang mit Hygiene um", sagt Villeneuve. "20 Millionen Menschen werden bereits dadurch erreicht. Die Zahl soll sich bis auf 30 Millionen erhöhen."

Zu den Maßnahmen gehören umfassende Informationskampagnen für die Bevölkerung. "Den Menschen wird beigebracht, wie sie Arsen-Vergiftungen vermeiden können", erklärt Villeneuve. "Außerdem sollen etwa 20.000 Arsen-sichere Wasserstellen angelegt werden, zu denen mehr als zwei Millionen Menschen in den am schwersten betroffenen Gebieten Zugang haben werden."

Projektdirektor Nurul Islam bewertet die Rolle von Frauen als entscheidend. Eines der Hauptziele des Programms sei es, die Frauen in 600 Gemeinden dazu zu befähigen, die für sie besten Entscheidungen zu treffen. Auch das unabhängige Forum für den Trinkwassernachschub und Sanitärversorgung wirbt nach Angaben seines Exekutivdirektors S.M.A. Rashid für die Beteiligung von Frauen an dem Arsen-Bekämpfungsprogramm, um die Bewohnerinnen der am meisten betroffenen Gemeinden über die besten Problemlösungen befinden zu lassen. Das Auffangen von Regenwasser, Sandfilter, traditionelle sowie Rammbrunnen gehören zu den Hilfen, die der Bevölkerung gegen eine Kostenbeteiligung von nur zehn Prozent bereitgestellt werden.

Arsen wurde zuerst vor fast 20 Jahren im nordwestlichen Distrikt Chaipainawabganj im Grundwasser entdeckt. Das Problem wurde aber erst 1996 bekannt, als es von Ärzten aus dem 'Dhaka Community Hospital' (DCH) und Wissenschaftlern des Instituts für Umweltstudien (SOES) der Jadavpur-Universität im indischen Westbengalen publik gemacht wurde.

Dipankar Chakraborti, Forschungsleiter an der SOES, erklärt, dass die Regierung von Bangladesch zunächst angenommen habe, die Ausschachtung tiefer Rammbrunnen werde die Wasserprobleme lösen. "Danach stellte sich aber heraus, dass 40 Prozent der Brunnen mit Arsen verseucht waren."

Chakraborti hat Hunderte Wasserproben untersucht, die ihm aus Bangladesch geschickt wurden. Er stuft den Grad der Vergiftung vieler Brunnen als gefährlich ein. Das Ausmaß des Problems sei allerdings geringer als zunächst angenommen worden sei.


Problem lange Zeit nicht offiziell anerkannt

Nicht nur in Indien, sondern auch in Ländern wie Thailand, China, Argentinien, Chile und den USA ist Grundwasser mit Arsen belastet. Doch nirgendwo ist das Problem so groß wie in Bangladesch. Dort wurde das Risiko erst offiziell anerkannt, nachdem die Weltgesundheitsorganisation WHO, UNICEF und das Nationale Institut für präventive und soziale Medizin 1995 gemeinsam eine Reihe von Tests durchgeführt hatten.

Proben aus einigen Teilen von Bangladesch enthielten Arsenkonzentrationen von 250 ppb, zumeist in unterirdischen Schichten von zehn bis 150 Metern. Die US-Umweltschutzbehörde stuft bereits Konzentrationen über zehn ppb als giftig ein.

In den späten fünfziger Jahren führte UNICEF die Rammbrunnen-Technologie vor allem deshalb ein, um die Säuglingssterblichkeit durch Infektionen an der Wasseroberfläche zu reduzieren. Nachdem Todesfälle durch Cholera und Infektionen mit Shigella-Bakterien zurückgegangen waren, wurden in allen Teilen von Bangladesch Millionen Rammbrunnen gebaut.

Nach Einschätzung des WHO-Mitarbeiters Mahmud Shamsul Gafur sind etwa 22 Prozent aller Rammbrunnen im Land nach wie vor mit Arsen verseucht. Er habe in Bangladesch die "größte Massenvergiftung einer Bevölkerung seit Menschengedenken" beobachtet. Soweit es ihm bekannt sei, würden derzeit etwa 38.430 Patienten wegen Arsen-Vergiftungen behandelt, sagt Gafur. Auch er begrüßt die gezielte Einbindung von Frauen in die Programme. In Bangladesch ist das Wasserholen traditionell Aufgabe der Frauen. Seitdem die Brunnen gebohrt wurden, kümmern sie sich auch um deren Instandhaltung und Reparatur.


Arsen-Opfer oft schlimm entstellt

Hohe Arsen-Konzentrationen können beim Menschen Kreislauf- und Atemwegsbeschwerden sowie Nieren-, Blasen und Leberschäden verursachen. Darüber hinaus führen sie zu entstellenden Hautveränderungen. Davon ist Arati Karmaker betroffen. Die Mutter von drei Kindern trägt aus Scham stets langärmelige Blusen und versteckt ihr Gesicht hinter einem Schal.

Einige Experten plädieren dafür, wieder zur Nutzung von Oberflächenwasser zurückzukehren. Mikroben könnten durch Abkochen des Wassers abgetötet werden, und der Einsatz teurer Filter sei überflüssig. Die oberflächlichen Quellen im dicht bevölkerten Bangladesch sind jedoch schon zum Teil versiegt. Außerdem ist die Hälfte der etwa 300 Flüsse ausgetrocknet. Deshalb scheinen Handpumpen und ständige Achtsamkeit weiterhin die besten Waffen gegen Arsen-Vergiftungen zu sein. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.unicef.org/bangladesh/
http://www.soesju.org/
http://www.who.int/water_sanitation_health/monitoring/en/
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=107833

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 22. Mai 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2012