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WASSER/054: Bolivien - Wenn die Flut kommt, künstliche Rettungsinseln für das Vieh (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. Januar 2012

Bolivien: Wenn die Flut kommt - Künstliche Rettungsinseln für das Vieh

von Frank Chávez

Bäuerin Dora Domínguez zeigt auf die künstliche Anhöhe - Bild: © Frank Chávez/IPS

Bäuerin Dora Domínguez zeigt auf die künstliche Anhöhe
Bild: © Frank Chávez/IPS

Santa Ana del Yacuma, Bolivien, 4. Januar (IPS) - Milchbauern in Boliviens Amazonas-Region sind guten Mutes, dass ihr Vieh die nächste Überschwemmungskatastrophe übersteht. Anlass zur Hoffnung geben künstliche Hügel, die sich bei Hochwasser in Rettungsinseln verwandeln.

Dora Domínguez, Vorsitzende der Vereinigung der Milchproduzenten, vertritt die Interessen von 36 Familien, die zusammen 1.200 Stück Vieh besitzen. Sie haben sich der Initiative der Weltagrarorganisation FAO zur Sicherung der Existenz kleiner Züchter angeschlossen. Die künstlichen Inseln erheben sich in bis zu drei Meter Höhe.

In der Region leben auch Großgrundbesitzer, die mindestens 2.000 Tiere pro Familie besitzen. Sie haben keine Schwierigkeiten, ihr Vieh in höher gelegene Gebiete zu bringen. Die Kleinbauern sind den Unwettern jedoch schutzlos ausgeliefert.

Die FAO unterstützt in der Gemeinde Santa Ana del Yacuma mittlerweile 65 Prozent derjenigen Milch- und Fleischproduzenten, die im Besitz von einer bis 500 Kühen sind. Sie machen einen Anteil von 22 Prozent an der Viehzucht im nordöstlichen Departement Beni aus.


Vier Meter Hochwasser bei Rekordflut

Die Neuerungen kommen fast drei Jahrzehnte nach der bisher größten Flutkatastrophe. 1982 stieg das Wasser fast vier Meter hoch. "Der zentrale Platz des Dorfes Santa Ana glich der Arche Noah", erinnert sich Domínguez. Außer Menschen hätten sich dort auch Kühe, Ziegen, Schweine und Geflügel zusammengedrängt.

Domínguez zögerte nicht einen Moment, als sie von dem Projekt der FAO hörte. Sie selbst schaffte tonnenweise Erde herbei, um eine künstliche Insel anzulegen. Die FAO will nun erreichen, dass dieses Modell in der gesamten Region Nachahmer findet.

Zur besseren Einschätzung der Klimarisiken ist in La Paz mit Hilfe der UN-Organisation ein Wetterdienst eingerichtet worden, der die entlegenen Gebiete über Funk auf die Gefahr von Überschwemmungen hinweist, die zuvor durch Messstationen erkannt wird.

Menschen und Tiere können somit rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden. Wie Oscar Mendoza von der FAO erklärt, werden außerdem neue Strategien umgesetzt, um die Folgen des Klimawandels zu mildern. Ziel sei den Bauern auch längerfristig Schutz vor extremen Wetterphänomenen wie Hochwasser und Dürren zu garantieren.


Gemeinde stellte Land für künstliche Insel zur Verfügung

Nach Angaben des Bürgermeisters von Santa Ana, Gustavo Antelo, ist das Projekt durch ein Bündnis zwischen der Stadtverwaltung, den Kleinbauern und der FAO ermöglicht worden. Die Gemeindeverwaltung hat für den künstlichen Hügel 2.000 Quadratmeter Land zur Verfügung gestellt. Die FAO steuerte technische Hilfe und Finanzmittel bei, während die Bauern selbst mit anpackten, um Erde zu transportieren sowie ein Lagergebäude und eine Veterinärstation zu bauen.

Die Milchproduzenten Hernán Suárez und Rinelson Arambel sind zuversichtlich, dass sich die dramatischen Ereignisse der achtziger Jahre nicht wiederholen werden. "Wir mussten hilflos mitansehen, wie unser Vieh ertrank", erinnert sich Suárez. Arambel berichtet, dass das Gebiet monatelang eine riesige Lagune blieb. Hilfsgüter seien in Flugzeugen in ein nahe gelegenes Dorf gebracht worden. Viele Nachbarn hätten damals alle ihre Tiere verloren.

Seit 1992 ist Santa Ana von einem Schutzwall umgeben, der die Bewohner der umliegenden Gebiete jedoch nicht vor den Fluten bewahrt. Mariano Chávez, der ebenfalls der Viehzüchter-Vereinigung angehört, beschreibt die Angst, die die Anwohner jedes Jahr im Dezember überkommt, wenn der heftigste Regen in Bolivien niedergeht. Sein 14-jähriger Sohn José ist dagegen von der Effektivität der künstlichen Inseln überzeugt und hilft dabei, neue hochliegende Weiden anzulegen.

Santa Ana ist auch deshalb in einer schwierigen Situation, weil die Gemeinde vom Rest des Landes isoliert ist. Durch die Region fließen drei große Flüsse - Yacuma, Mamoré und Rapulo. Eine befestigte Straße, die den Ort mit der Provinzhauptstadt Trinidad verbindet, gibt es nicht.

Am Ende eines Nachmittags ziehen in der Regenzeit, in der die Temperaturen immer noch 36 Grad Celsius erreichen, schwere Wolken am Horizont auf, die neue Niederschläge ankündigen.


Region schwer zugänglich

Nur in der Trockenzeit kommen Autos durch. Während der Regenfälle können sich die Bewohner nur im Flugzeug fortbewegen und müssen dafür jedes Mal umgerechnet 57 US-Dollar pro Person zahlen. Suárez zufolge nutzen die Piloten die Notlage der Menschen häufig aus.

Jedes Mitglied der Bauernvereinigung erzeugt täglich durchschnittlich 50 bis 60 Liter Milch. Auf dem kleinen Dorfmarkt erhalten die Produzenten pro Liter nicht mehr als umgerechnet einen halben Dollar. Wie Domínguez erklärt, kann die Milchmenge in schlechten Zeiten bis auf zehn Liter am Tag sinken. Wie Suárez berichtet, muss seine Familie im Monat mit etwa 500 Dollar auskommen. Diese Summe reiche aber bei weitem nicht aus, um den Haushalt zu führen und das Vieh zu versorgen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.fao.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=99901

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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Januar 2012