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WALD/220: Mangroven - Wertvolle Wurzelwerke (WWF Magazin)


WWF Magazin, Ausgabe 1/2019
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Wurzelwerke

von Anouk Neuhaus, Julika Tribukait und Uwe Johannsen, WWF


Mangroven sind nicht nur Kinderstube für unzählige Tierarten, sondern schützen auch Küsten, stabilisieren das Klima und versorgen Millionen Menschen mit Nahrung. Trotzdem werden sie massiv vernichtet. Der WWF hält mit einer Vielzahl von Projekten dagegen - von Afrika bis Südostasien.


Mangroven sind Alleskönner - wenn es sie nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden. Es sind Wälder, die an tropischen Küsten in mehr als hundert Ländern der Erde wachsen. Ob tropische Hitze, Salzwasser oder Gezeitenwechsel: Die Bäume und Sträucher der Mangroven sind wahre Überlebenskünstler. Mit ihren langen Stelzwurzeln finden sie selbst auf weichem Untergrund Halt und bieten zahlreichen Tierarten reichlich Nahrung und einen sicheren Unterschlupf. Schlammspringer sind dort genauso zu Hause wie Sägefische, Seekühe, Pelikane oder Krokodile. Unter Wasser wimmelt es in den Mangroven von Larven und Jungtieren, die im dichten Wurzelgeflecht eine gut geschützte Kinderstube finden. Selbst einige Haiarten wie der Zitronenhai und Jäger wie Barrakudas wachsen als Jungtiere in den Mangroven heran.

Aber auch den Menschen haben Mangroven einiges zu bieten: Rund 120 Millionen Anwohner leben weltweit in deren unmittelbarer Nähe, die meisten in Entwicklungsländern. Viele von ihnen leben von den Wäldern im Wasser. Sie fischen, sammeln Schalentiere, gewinnen Honig oder nutzen das Holz. Ihre Dörfer werden durch die Mangroven vor Stürmen und Überschwemmungen geschützt."

In den vergangenen Jahren rückte eine weitere Eigenschaft der Mangroven in den Fokus: Sie wirken dem Klimawandel entgegen, denn sie speichern pro Hektar drei- bis fünfmal so viel Kohlenstoff wie Tropenwälder an Land. Der Grund: Die herunterfallenden Blätter der Mangroven verrotten im Wasser nur langsam und ihre Wurzeln halten Schwebstoffe aus dem Wasser fest. Auf diese Weise bildeten sich über Jahrtausende mächtige kohlenstoffreiche Sedimentablagerungen.

Die große Zerstörung
Trotzdem sind seit den 1980er-Jahren mehr als 35 Prozent der Mangroven weltweit zerstört worden. Sie wurden wegen ihres Holzes gerodet und um Platz zu schaffen für mehr Landwirtschaft, Aquakulturen, Siedlungen, Häfen sowie Hotels. Werden Mangroven abgeholzt, halten ihre Wurzeln keine Sedimente mehr fest. Die Folgen sind nicht nur für den Küstenschutz fatal. Je nach Schätzung werden so aus Sedimenten und abgeholzter Biomasse jährlich zwischen 90 und 450 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalente freigesetzt. Das entspricht der jährlichen CO2-Emission von Österreich beziehungsweise Australien. Erst in jüngerer Zeit hat das Bewusstsein für die Bedeutung der Mangroven zugenommen. Vielerorts entstehen Initiativen, um Mangroven besser zu schützen, nachhaltig zu nutzen und wieder anzupflanzen. Der WWF ist dabei ein globaler Vorreiter. Gemeinsam mit Partnern wie dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützen wir die Schutzbemühungen der Menschen vor Ort.

Regeln für Mangrovennutzung
Das Projekt auf Madagaskar ist dafür ein Vorzeigebeispiel. Im Nordwesten der viertgrößten Insel der Erde liegt die Ambarobucht. Sie beherbergt eines der größten und noch naturnahen Mangrovengebiete des Landes. Einen Großteil davon, etwa 18.000 Hektar, schützt der WWF dort gemeinsam mit der Bevölkerung aus 16 umliegenden Dörfern. "Als wir unsere Arbeit in der Ambarobucht 2014 begannen, war die Situation sehr kritisch", sagt Projektleiter Dresy Lovasoa. "Viele Menschen lebten nach Jahren der politischen und wirtschaftlichen Instabilität am Existenzminimum und die Mangroven boten eine der wenigen Möglichkeiten, Geld zu verdienen."

Trotz Verbots hackten sie Holz in den Mangroven, verschwelten es zu Holzkohle und verkauften diese in den umliegenden Orten. Der WWF sichtete die Schäden und machte eine Bestandsaufnahme der besonders schützenswerten Gebiete. Dann wurde gemeinsam mit den Anwohnern beraten, wie eine nachhaltige Nutzung der Mangroven künftig aussehen sollte. Die Dorfbewohner erstellten dafür eigene Regeln. Krebse zum Beispiel sollten nicht mehr durch das Stochern mit spitzen Stöcken wahllos getötet werden. Stattdessen werden nun Netze zum Einsatz kommen, mit deren Hilfe zu junge Tiere wieder unverletzt zurück ins Wasser geworfen werden können. Diejenigen Anwohner wiederum, die bisher ausschließlich von der Holzkohleherstellung aus Mangroven lebten, sollen beim Aufbau einer neuen Existenz unterstützt werden. In einigen Dörfern wurden dazu auf Brachland schnell wachsende Bäume gepflanzt, die in wenigen Jahren zur legalen Holzkohleherstellung genutzt werden können. Bis dahin können die Köhler auf Plantagenholz benachbarter Gemeinden zurückgreifen oder Totholz sammeln. Freiwillige aus den Dörfern überwachen die Einhaltung der neuen Regeln. Nach fast fünf Jahren ziehen die Dorfbewohner eine stolze Zwischenbilanz: Mehr als 700 Hektar Mangroven wurden inzwischen aufgeforstet. Die jährliche Mangrovenverlustrate konnte in den selbstkontrollierten Gebieten von über zwei auf null Prozent verringert, das heißt also gestoppt werden. Doch gesichert ist der Erfolg nicht. Um langfristig zu wirken, muss der Schutz der Mangroven auch in den kommunalen Entwicklungsplänen verankert werden. Dazu spricht der WWF mit Regionalpolitikern.

Stelzenwälder als Klimaschützer
Als Kohlenstoffspeicher sollen Mangroven auch in nationale Klimaschutzpläne einbezogen werden. Kenia ist eines der ersten Länder, das dies umsetzen will. Dazu muss man erst einmal herausfinden, wie viel Kohlenstoff in Mangroven gespeichert ist. Genau das erforscht der WWF in einem Pilotprojekt mit dem Kenianischen Institut für Meeres- und Fischereiforschung in der Küstenregion Lamu, wo sich mit fast 40.000 Hektar der größte Mangrovenwald des Landes befindet. Dort nehmen Wissenschaftler Bodenproben an verschiedenen Stellen des Mangrovenwalds und analysieren sie im Labor. In Verbindung mit Satellitenbildern lässt sich so die insgesamt gespeicherte Kohlenstoffmenge ermitteln. Genaue Ergebnisse stehen noch aus, doch WWF-Klimaexperte Philip Odhiambo, der für das Projekt verantwortlich ist, zeigt sich optimistisch: "Unser Lamu-Projekt hat bereits dazu beigetragen, dass der Schutz der Mangroven in Kenias Klimaschutzplänen aufgenommen wurde."

Konflikte mit Kamelen
Ganz anders die Situation in Pakistan. Im Indusdelta ist bereits fast die Hälfte des Mangrovenbestands vernichtet worden. Die Folgen für die Einwohner sind dramatisch. Die Küste erodiert, das Grundwasser versalzt - auch weil zugleich durch Staudämme am Oberlauf immer weniger Süßwasser im Delta ankommt. Viele Menschen wurden so gezwungen, die Landwirtschaft aufzugeben. Viele Dörfer mussten umgesiedelt werden. Diejenigen, die am Indus geblieben sind, leben ohne Zugang zu frischem Trinkwasser und Strom. Ihre Haupteinkommensquellen sind der Fischfang und die Nutzung der Mangroven - von Krebsen bis zum Holz. Ein großes Problem ist der fortschreitende Raubbau an den Mangroven - vor allem durch die Beweidung mit Kamelen. Sie sind nicht nur Nutztiere, sondern in Pakistan auch Statussymbole. Kamele werden per Boot auf die Flussinseln im Delta transportiert, wo sie junge Mangroventriebe abfressen - oft ohne Zustimmung der Anwohner. Das führt nicht nur zu weiterer Mangrovenzerstörung, sondern auch wiederholt zu Konflikten.

Um diese Abwärtsspirale zu stoppen, unterstützt der WWF Dorfgemeinschaften in den Landkreisen Kharo Chan und Keti Bundar darin, Mangroven nachhaltig zu nutzen, aufzuforsten und Kamele von Jungpflanzen fernzuhalten. Damit auch die Kamele anderer Gemeinden im Zaum gehalten werden und nachbarschaftliche Konflikte nicht auf Kosten der Natur gehen, bringt der WWF in diesem Jahr alle Beteiligten an einen runden Tisch, um gemeinsam Beweidungszonen auszuweisen oder zeitweilige Gebietsschließungen umzusetzen.

Raum für Lebensräume
Mangrovenschutz wirkt sich auch positiv auf andere wertvolle Lebensräume entlang der Küste aus. Wie vor der Mündung des Angoche-Flusses in Mosambik: Dort sind Riffe, Strände, Seegraswiesen und Mangroven eng verzahnt und aufeinander angewiesen. Zum Beispiel filtern intakte Mangroven das umgebende Wasser und binden Sedimente und überschüssige Nährstoffe, die vor allem durch Flüsse eingetragen werden. Für vorgelagerte Korallenriffe, die klares Wasser benötigen, ist das essenziell.

Das Schutzgebiet Primeiras e Segundas in Mosambik steht beispielhaft für diesen Verbund von Lebensräumen. Die dort ansässige Küstenbevölkerung lebt von Fischfang und kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Mehr als 3000 Fischarten sowie Krebse und Garnelen sind weltweit auf Mangroven als Laich- und Nahrungsplätze angewiesen. Die Fischer haben in den wichtigsten Fischkinderstuben streng geschützte Reservate eingerichtet, um die Bestände langfristig zu erhalten. Der WWF unterstützt sie dabei, ein nachhaltiges Fischereimanagement aufzubauen und auf illegale Praktiken zu verzichten. Dabei sollen gemeinsam mit den Gemeinden auch alternative Einkommensquellen wie nachhaltiger Ackerbau außerhalb der Mangroven entwickelt werden.

Grüner Schutzwall gegen Sturmfluten
Die Mangroven des Südpazifiks gelten als besonders artenreich. An den Mündungen der Flüsse Ba und Rewa der Fidschi-Hauptinsel Viti Levu finden sich die größten Mangrovenbestände des Landes. Dort wurde kürzlich eine wichtige Kinderstube für Hammerhaie und andere Haiarten entdeckt, womöglich eine der größten der Welt. Neuguinea wiederum, die zweitgrößte Insel der Erde, beherbergt in seinen Küstengewässern drei Viertel aller Mangroven der Pazifik-Region.

Im Südpazifik sind die Auswirkungen des Klimawandels - neben Meeresspiegelanstieg vor allem heftigere Stürme - besonders deutlich. Hinzu kommen Erdbeben und Vulkanausbrüche, die Tsunamis verursachen können.

Um die Küstenbevölkerung zu schützen, erarbeiten daher die WWF-Mitarbeiter vor Ort gemeinsam mit Gemeindevertretern kommunale Katastrophenschutzpläne. Darin spielen die Mangroven eine zentrale Rolle. "Als natürlicher Schutzwall gegen Sturmfluten und Überschwemmungen sind gesunde Mangroven für die ansässige Bevölkerung unverzichtbar", erklärt Alfred Ralifo vom WWF Fidschi. "Der Tsunami 2004 beispielsweise hat in Südostasien nachweislich gerade dort am meisten Schaden angerichtet, wo gesunde Mangroven fehlten."

Mangroven können Lebensretter sein, sagt Ralifo. Dank ihres engen Labyrinths von Wurzeln bremsen die Stelzwälder die Wucht und damit auch die Höhe der Wellen ab, wenn sie auf die Küste treffen. Studien haben gezeigt, dass bereits ein Mangrovengürtel von hundert Meter Breite die Wellenhöhe um zwei Drittel verringern kann. Der Erhalt von Mangroven ist daher eine der effektivsten Küstenschutzmaßnahmen. Und zugleich eine der preiswertesten: Im Vergleich zu künstlichen Wellenbrechern kostet eine Wiederaufforstung mit Mangroven nur etwa ein Fünftel - bei vergleichbarer Schutzwirkung.

Trotz dieses Wissens sind auch die Mangroven auf Fidschi und Papua-Neuguinea wie an vielen anderen Orten der Welt von Abholzung für die Landwirtschaft, wachsenden Städten und - insbesondere auf Fidschi - von Tourismus bedroht. Deshalb engagiert sich der WWF auch dort mit der lokalen Bevölkerung für eine nachhaltige Küstenentwicklung, zu der auch der Schutz von Mangrovenwäldern gehört. Zu diesem Zweck werden beispielsweise Mangrovenbestände kartiert und wichtige Gebiete zur Wiederaufforstung empfohlen.

Breites Bündnis für Mangroven
Ziel aller WWF-Projekte ist die Hilfe zur Selbsthilfe: mit einem nachhaltigen Mangroven-Management, das Dorfbewohnern nützt und das sie leicht umsetzen können. Das BMZ unterstützt alle vorgestellten Projekte finanziell - unter anderem aus dem Blue Action Fund für den Schutz der Meere und Küsten.

Mangroven werden von vielen nicht nachhaltigen Nutzungen bedroht, zum Beispiel von Plantagen für Ölpalmen, Aquakulturen für Shrimps oder Hotels. Deshalb brauchen wir auch strenge Regeln für ihren Schutz. Der WWF hat daher zusammen mit dem BMZ und der Weltnaturschutzunion IUCN die Initiative "Save Our Mangroves Now!" gegründet. Gemeinsam setzen sich die Partner auf nationaler und internationaler Ebene dafür ein, dem Mangrovenschutz mehr Gewicht zu verleihen und internationale Geldgeber sowie Politiker stärker in die Pflicht zu nehmen. Ein erster Erfolg: Mit der Regierung Madagaskars wurde eine Partnerschaft zur Rettung der Mangroven geschlossen. Gemeinsam mit allen Verbündeten will der WWF weltweit dazu beitragen, dass die Fläche der Mangrovengebiete bis 2030 gegenüber heute wieder um 20 Prozent zunimmt.


Madagaskar

Mithilfe des WWF haben Anwohner der Ambarobucht mehr als 700 Hektar Mangroven wieder aufgeforstet.

Kenia
In einem Pilotprojekt erforscht der WWF, wie viel Kohlenstoff in den Mangroven gespeichert ist. Die Arbeit ist grundlegend für den nationalen Klimaschutzplan.

Mosambik
In einem Schutzgebiet unterstützt der WWF die Bevölkerung dabei, nachhaltig zu fischen und dabei auf illegale Praktiken zu verzichten.

Pakistan
Im Indusdelta unterstützt der WWF Dorfgemeinschaften dabei, Mangroven nachhaltig zu nutzen, zerstörte Flächen aufzuforsten und Kamele von den Jungpflanzen fernzuhalten.

Fidschi-Inseln und Papua-Neuguinea
Im Südpazifik sind die Auswirkungen des Klimawandels bereits immens. Zusammen mit der Bevölkerung hat der WWF daher Katastrophenschutzpläne erarbeitet. Dazu gehört der Erhalt der Mangroven-Wälder als bester Schutz gegen Sturmfluten.

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MANGROVEN SCHÜTZEN KLIMA
Speicher leer

Mangroven binden drei- bis fünfmal so viel Kohlenstoff pro Hektar wie Tropenwälder an Land. Die fortschreitende Abholzung und Zerstörung der Küstenwälder beschleunigt daher den Klimawandel.

MANGROVEN SCHÜTZEN KÜSTEN
Natürlicher Damm

Mangroven bewahren die Dörfer an der Küste vor großen Überschwemmungen. Ohne die festigenden Stelzwurzeln erodiert die Küste. Deshalb werden Mangrovenwälder wieder aufgeforstet.

MANGROVEN ERNÄHREN MENSCHEN
Nahrungsquelle

Der WWF arbeitet weltweit mit den Anwohnern von Mangrovenwäldern zusammen, um die wertvollen Wälder naturschonend zu nutzen. Auch die Reiher profitieren von intakten Mangroven

Beschützerin der Mangroven
Rollandine Vanonalava ist die erste Rangerin ihres Dorfs Antenina nahe der Ambarobucht in Nordwestmadagaskar. Sie und ihre sieben Kollegen patrouillieren zweimal im Monat in den mehr als 1000 Hektar Mangrovenwäldern rund um ihr Dorf.

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Quelle:
WWF Magazin 1/2019, Seite 10 - 17
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2019

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