Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


RESSOURCEN/066: Run auf Naturressourcen vernichtet Lebensgrundlagen in Entwicklungsländern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. Mai 2015

Umwelt: Die Mär vom Landrausch als Entwicklungschance

von Karine Jacquemart und Anuradha Mittal *


PARIS/OAKLAND-USA (IPS) - Wir von 'Greenpeace' und dem 'Oakland Institute' sehen uns in unserer Arbeit im Zusammenhang mit dem Zugang zu natürlichen Ressourcen und ihrer Kontrolle ständig mit Vorwürfen konfrontiert, wir seien entwicklungsfeindlich und als Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus dem Norden mehr an Bäumen als an einer Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften in aller Welt interessiert - von Kamerun über China bis zur Tschechischen Republik.

Diese Verunglimpfungen zielen darauf ab, den in Dritte-Welt-Staaten zu diskreditieren. Sie sollen eine hässliche Wahrheit verbergen, dass der überall auf der Welt stattfindende Landrausch, der auf die Beschlagnahme und Ausbeutung der natürlichen Reichtümer dieser Erde abzielt, nicht nur erbittert und unfair ist, sondern auch zunehmend fatal.

Jüngste Berichte inklusive eine Untersuchung von 'Global Witness', der im April 2015 unter dem Titel 'How many more?' ('Wie viele noch?') erschienen ist, dokumentieren die weltweite und schockierende Zunahme von Morden an Land- und Umweltaktivisten. Im letzten Jahr waren es durchschnittlich mindestens zwei pro Woche.

Da die an vorderster Front kämpfenden Personen und Organisationen eingeschüchtert und mit Festnahmen, Verschwindenlassen und sogar Tod bedroht werden, ist es ein ethischer Imperativ, diesen auf Graswurzelebene aktiven Landschützern gegen Konzerne und Regierungen zu Hilfe zu eilen. Diese Unterstützung verbindet Organisationen wie Greenpeace und das Oakland Institute miteinander.

Im Verlauf der letzten zehn Jahre wurden Schätzungen zufolge weltweit 200 Millionen Hektar Land - das ist eine Fläche mehr als fünf Mal so groß wie Deutschland - unter meist undurchsichtigen Vertragsbedingungen verpachtet oder verkauft. Die Naturressourcen Afrikas sind offenbar besonders gefragt. So verbucht die Region mehr als 70 solcher Landdeals.

Multinationale Konzerne, denen meist mächtige Partner wie die Weltbank und die G8-'Geber'-Staaten zur Seite stehen, ziehen in die jeweiligen Länder und beten ihre 'Entwicklungsformel' herunter: Ausländische Investitionen in großflächige Gebiete und in Megaprojekte zur Förderung des Wirtschaftswachstums werden im Sinne einer Entwicklung für alle bis auf die Graswurzelebene durchsickern.

Doch unsere Arbeit vor Ort zeigt eine ganz andere und alarmierende Realität. So berichten lokale Gemeinschaften und indigene Völker, dass keine Rücksprache mit ihnen stattfindet, dass ihre Territorien, ihre Heimat und ihre Wälder niedergewalzt und für ausländische Unternehmer abgeholzt sowie dass ihre Lebensgrundlagen vernichtet werden.

Ein Dorfbewohner in der Demokratischen Republik Kongo meinte dazu: "Ich will Bauer auf meinem eigenen Land und nicht Tagelöhner eines ausländischen Unternehmens sein." Oder um die Worte eines Bodi-Führers in Äthiopien zu benutzen: "Ich möchte mein Land nicht verlassen. Wenn sie versuchen, mich dazu zu zwingen, wird es Krieg geben. Ich werde in meinem Dorf bleiben - entweder lebendig auf dem Land oder tot darunter."

Diese beiden Menschen und unzählige mehr sind Opfer eines umfangreichen Ressourcenklaus. Sie werden von denjenigen, die sagen, wie Entwicklung auszusehen hat, unsichtbar und mundtot gemacht. Und als ob die Vernichtung von Leben und Lebensgrundlagen noch nicht genug wäre, werden diejenigen, die sich widersetzen, von Regierungen und Privatunternehmen belästigt und mit Gewalt traktiert.

In Kamerun [plant die in den USA ansässige] Firma 'Herakles Farms' (HF) eine Ölpalmplantage, die zur Vertreibung von tausenden Menschen von ihrem Land und der Zerstörung des zweitgrößten Regenwaldes der Welt führen könnte. Der ehemalige Geschäftsführer des Unternehmens hat auf Kritik an dem Projekt in einem offenen Brief geschrieben: "Mein Ziel ist es, HF als das zu vertreten, was es ist: ein bescheidenes kommerzielles Ölpalmprojekt, dem es unter Einhaltung bester industrieller Verfahren um die Bereitstellung von Arbeitsplätzen, soziale Entwicklung sowie eine Steigerung der Ernährungssicherheit geht."

Allerdings hat er versäumt zu erwähnen, was dem kamerunischen Aktivisten Nasako Besingi, dem Leiter der lokalen NGO 'The Struggle to Economize the Future Environment' (SEFE), widerfahren ist, als dieser sich dem Vorhaben entgegenstellte. 2012 saß er mit zwei Kollegen wegen Planung einer friedlichen Demonstration in Mundemba etliche Tage im Gefängnis.

Kurz nach der Freilassung - er war gerade mit einem französischen Fernsehteam in der Region unterwegs - geriet er in einen Hinterhalt und wurde von Männern angegriffen, die er als Beschäftigte von 'Herakles Farms' wiedererkannte. Doch anstatt dass Nasako und die SEFE auf Schutz zählen dürfen, werden sie mit Gerichtsverfahren überzogen. In einem Fall geht es um eine Diffamierungsklage, eine beliebte Firmentaktik, um Projektgegner einzuschüchtern.

Die Privatisierung von Land und der Diebstahl der natürlichen Ressourcen werden unumkehrbar sein und Menschen, Wälder, Ökosysteme und Klima in Gefahr bringen, sollte diesem Trend nicht gegengesteuert werden. Es ist an der Zeit, einem Entwicklungspfad zu folgen, der die Menschen und den Planeten über die Profite der Reichen stellt. (Ende/IPS/kb/11.05.2015)

* Karine Jacquemart ist Projektleiterin vom 'Greenpeace Forests Network' für Afrika, Anuradha Mittal Geschäftsführerin des 'Oakland Institute'. Die Nichtregierungsorganisation mit Sitz in den USA beschäftigt sich intensiv mit dem Problem des 'Land Grabbing' (Verdrängung der Bevölkerung von ihrem Traditionsland zugunsten ausländischer Investoren).


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/05/opinion-a-development-fairytale-or-a-global-land-rush/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. Mai 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Mai 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang