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PROTEST/100: Argentinien - Indigene fordern Rückgabe angestammter Territorien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. August 2015

Argentinien: Indigene fordern Rückgabe angestammter Territorien

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Ernestina Moreno mit Tochter und Enkelin in einem Protestcamp in Buenos Aires
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

BUENOS AIRES (IPS) - Viele Autofahrer und Passanten in Buenos Aires übersehen das Protestlager von Indigenen aus der im Nordosten Argentiniens gelegenen Provinz Formosa. Seit sechs Monaten harren etwa 40 Vertreter verschiedener Ethnien in Zelten auf einem Platz an einer großen Kreuzung in der Hauptstadt aus, um die Rückgabe von Grundstücken zu fordern, deren Grenzen nicht ordnungsgemäß markiert worden waren. Das Land ist zum Spielball unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen geworden.

Der Sprecher der Protestierenden, Jorge Palomo vom Volk der Wichí, ist mit seiner Frau, seiner kleinen Tochter und seiner Schwiegermutter nach Buenos Aires gekommen. Von Bewohnern der Hauptstadt, die sich solidarisch zeigen, haben die Menschen Kleidung, Decken und Lebensmittel erhalten.

"Wir haben um Gespräche mit der Staatsregierung, dem Obersten Gericht, dem Senat und mit Staatspräsidentin Cristina Fernández gebeten", sagt Palomo. "Sie sollen uns wenigstens zur Tür hereinlassen, damit wir ihnen unsere Probleme darlegen können. Uns ist das Land unserer Vorfahren weggenommen worden!"


7.000 Hektar Land zurückverlangt

Die Demonstranten wollen erreichen, dass der Gouverneur von Formosa, Gildo Insfrán, ihnen 7.000 Hektar Land zurückgibt. Der Gouverneur gilt als eng verbunden mit der Präsidentin, weshalb die Indigenen davon ausgehen, dass sie ihnen helfen könnte.

"Sie haben ihre Grenzsteine aufgestellt, ohne vorher mit uns zu reden", sagt Amanda Asijak von der Gemeinschaft der Potae Napocna Navolgoh, was in der indigenen Sprache Qom so viel wie 'Frühling' bedeutet. Ihr Mann, der Häuptling Félix Díaz, ist eine der prominentesten Figuren in dem Streit, der nach Zusammenstößen zwischen Ureinwohnern und der Polizei 2010 einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde. Zwei Indigene und ein Polizist wurden damals getötet.

Díaz hatte 2011 bereits das erste Protestcamp in Buenos Aires organisiert, um gegen die Unterdrückung der Ureinwohner aufzubegehren. Die Aktion wurde nach drei Monaten durch eine Einigung beendet. Als sich die Behörden nicht an ihre Zusagen hielten, kehrten die Indigenen in die Hauptstadt zurück.

Im Jahr 2000 hatte Argentinien die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO ratifiziert, die Ureinwohnern Landrechte und Zugang zu natürlichen Ressourcen, Gesundheitsversorgung und Bildung garantierte. Darin ist auch festgelegt, dass sie vor Entscheidungen, die ihr Land betreffen, angehört werden müssen.


Unzureichende Gesundheitsversorgung und Bildung

Die Protestierenden aus Formosa fordern nicht nur die Rückgabe ihres Landes, sondern auch Gesundheitsdienstleistungen, Schulunterricht, fließendes Wasser und Strom. Asijak beispielsweise kommt aus einer Ortschaft rund 1.200 Kilometer nördlich von Buenos Aires, wo etwa 1.770 Menschen in 350 heruntergekommenen Häusern leben. Die Wenigsten von ihnen haben Zugang zu Wasserleitungen und Elektrizität. Eine Kanalisation ist überhaupt nicht vorhanden.

Am 10. Juli wurden die Ureinwohner von dem für Menschenrechtsfragen zuständigen Staatssekretär Martín Fresneda, dem argentinischen Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel und von Nora Cortiñas, einer der 'Mütter der Plaza de Mayo' empfangen. Die 'Mütter' hatten sich Ende der 1970er Jahre zusammengeschlossen, um ihre während der Militärdiktatur 1976 bis 1983 verschwundenen Kinder zu suchen. Heute sind sie die wichtigste Menschenrechtsgruppe des Landes.

Fresneda hörte sich die Beschwerden an, wies aber darauf hin, dass die Zentralregierung nicht in allen Bereichen zuständig sei. Vertreter der Provinz Formosa müssten an dem Dialog beteiligt werden, da es vor allem um territoriale Fragen gehe, erklärte er. Das Nationale Institut für Indigene Angelegenheiten INAI hatte laut Fresneda bereits 650 Gemeinden und sieben Millionen Hektar Land als indigen registriert und den Ureinwohnern zuerkannt. Insgesamt beanspruchen die Indigenen etwa zwölf Millionen Hektar, was zehn Prozent des argentinischen Staatsgebietes entspricht.

Eine Volkszählung im Jahr 2010 hatte ergeben, dass fast eine Million der insgesamt etwa 40 Millionen Argentinier Ureinwohner oder von indigener Herkunft sind. In dem südamerikanischen Land gibt es 32 verschiedene Ethnien.

In einem 2006 erlassenes Gesetz wurde angeordnet, alle Ureinwohnerterritorien zu erfassen. Die in dem Dachverband 'QoPiWiNi' zusammengeschlossenen Gemeinden verlangen, dass diese Untersuchung wiederholt wird, da sie nicht konsultiert und an dem Prozess beteiligt worden seien.

"Vor gar nicht so langer Zeit kamen sogar Leute aus Japan, die behaupteten, der Gouverneur habe ihnen Land verkauft. Das ist aber unser Land", sagt Ernestina Moreno, die dem Volk der Wichí angehört.


Wald muss umstrittenem Sojaanbau weichen

Das INAI räumte unterdessen ein, dass sich die Grenzziehung der Ureinwohnerterritorien in den Fällen verzögert habe, in denen Provinzen rechtlich über ihre natürlichen Ressourcen bestimmen können. Konflikte wie der in Formosa verschärfen sich, wenn die wirtschaftlichen Interessen einer Provinzverwaltung, etwa im Bereich der Erdölförderung, des Bergbaus oder der Soja-Monokulturen, berührt werden.

Laut der international tätigen Organisation GRAIN, die Kleinbauern unterstützt, werden in Argentinien jedes Jahr etwa 200.000 Hektar Wald abgeholzt, um Platz für neue Anbaugebiete - vor allem Sojafelder - zu schaffen. 80 Prozent des Waldschwundes in dem Land sind in Formosa und den drei Nachbarprovinzen Chaco, Salta und Santiago del Estero registriert worden. (Ende/IPS/ck/21.08.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/08/native-protest-camp-in-argentine-capital-fights-for-land-and-visibility/

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IPS-Tagesdienst vom 21. August 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2015

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