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KATASTROPHEN/091: Fukushima und das Staatsgeheimnis... 6 Fragen an Mako Oshidori (IPPNWforum)


IPPNWforum - nr 138 juni 2014
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

6 Fragen an ... Mako Oshidori
Journalistin und Unterhaltungskünstlerin aus Japan

Interview von Angelika Wilmen, Bearbeitung: Frederik Mösinger



1. Hier in Deutschland hält man Japan für ein freies, demokratisches Land. Werden in Ihrem Land demokratische Standards eingehalten?

Insgesamt gibt es starke Einschränkungen und Druck auf freie Journalisten, die sich mit den Folgen der atomaren Katastrophe auseinandersetzen wollen. In den Massenmedien werden heute fast ausschließlich die Standpunkte der Regierung und von Tepco veröffentlicht.

2. Wie erleben Sie persönlich diese Einschränkungen?

Der Verband japanischer Stromkonzerne hat großen Druck auf die Monatszeitschrift Fujin Koron ausgeübt. So sollte ein angekündigten Artikel von mir nur veröffentlicht werden, falls gleichzeitig drei Artikel erscheinen würden, die Atomenergie befürworten. Außerdem wurde ein geplanter Fernsehauftritt von mir abgesagt, weil eine Werbeagentur nicht wollte, dass ich über Atomenergie und Tepco spreche. Ich selbst werde vom Sicherheitsdienst beschattet und Mütter, die ich interviewen möchte, werden eingeschüchtert.

3. Werden bei den havarierten Reaktoren von Fukushima ähnliche Strategien angewendet?

In einem Interview wurde mir berichtet, dass die Todeszahlen der Arbeiter von Tepco geschönt werden. Das heißt die Liquidatoren, die außerhalb der Arbeitszeiten starben, werden in der Statistik nicht beachtet. Bis zur Katastrophe von 2011 galten 100 Millisievert (mSv) über fünf Jahre als Grenzwert für die Arbeiter. Danach wurde er auf 250 mSv in einem Jahr erhöht. Manche Arbeiter erhielten Strahlendosen von bis zu 678 mSv. Seit 2012 sind es wieder 100 mSv in fünf Jahren. Arbeiter, die jetzt dem Grenzwert nahekommen, werden entlassen, da man sonst die Kosten für eine Krebsuntersuchung übernehmen müsste.

4. In der Stadt Iwaki haben Eltern durch Unterschriften erreicht, dass für das Schulessen keine Produkte aus der Präfektur Fukushima mehr verwendet werden dürfen. Warum war dafür eine Unterschriftenaktion notwendig?

Andernorts lässt man Kinder durchaus Produkte aus der Region essen, um die Sicherheit der Produkte zu demonstrieren. Mütter, die sich wegen der Strahlung Sorgen machen und ihren Kindern eigene Lunchboxen mitgeben, werden diskriminiert. "Wenn du dem Staat nicht traust, dass die Produkte sicher sind und Kritik übst, dann gehe doch weg von hier!", wird ihnen dann gesagt. 70 Prozent aller Kommunen der Präfektur praktizieren so eine Politik. Bei den Messungen kann nur Cäsium nachgewiesen werden, keine anderen Isotope, wie Strontium etc. Zudem können nicht alle Produkte gemessen werden. Also ist es unmöglich, alle Lebensmittel als sicher einzustufen.

5. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) fördert laut ihrer Satzung die "friedliche Nutzung von Atomenergie". Welche Rolle spielt die Organisation in Fukushima?

Ende 2012 wurde zwischen dem Gouverneur der Präfektur und dem Generaldirektor der IAEO ein "Memorandum of Cooperation" unterzeichnet. Darin wird Geheimhaltung bezüglich des Atomunfalls vereinbart, wenn eine Seite dies wünscht. Auf meine Frage, was der Gouverneur den Bürgern sagen will, die der IAEO keine Gesundheitsprüfung überlassen wollen, weil sie die Atomenergie befürwortet, sagte er: "Es gibt keine andere Möglichkeit, als dass die Bürger diese Vereinbarung akzeptieren."

6. Im Dezember 2013 wurde das Gesetz zum Schutz besonderer Staatsgeheimnisse verabschiedet. Was hat sich seitdem verändert?

Seit der Wiederwahl der konservativen liberaldemokratischen Partei LDP, hat Tepco nur noch wenige Informationen geliefert. Von einigen kritischen Wissenschaftlern und Beamten verschiedener Ministerien erhielt ich früher wichtige Informationen. Durch das Gesetz sind sie viel zurückhaltender geworden. Die Nachrichten über die Auswirkungen der Katastrophe nehmen seither ständig ab.

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Quelle:
IPPNWforum | 138 | 14, S. 34
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juli 2014