Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → INTERNATIONALES


ATOM/065: Frankreich. 30 Jahre CRIIRAD - unabhängige Forschung und Information über Radioaktivität (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 708-709 / 30. Jahrgang, 7. Juli 2016 - ISSN 0931-4288

Frankreich
30 Jahre CRIIRAD

von Werner Neumann


Die französische "Kommission zur unabhängigen Forschung und Information über Radioaktivität" (CRIIRAD) [1] feierte im Mai 2016 den 30. Jahrestag ihrer Gründung. Mit 5.800 Mitgliedern und Unterstützern zählt CRIIRAD zu einer der stärksten Organisationen in Europa, die in vielfacher Weise sowohl eigenständige Messungen der Radioaktivität bei Atomkraftwerken und der Umwelt durchführt, als auch politisch für Strahlenschutz aktiv ist und eine breite Öffentlichkeitsarbeit durchführt. Man muss besonders hervorheben, dass eine solche Organisation in einem Land wie Frankreich, das einen der höchsten Anteile an der Stromversorgung aus Atomenergie hat und dessen Staats-, Wirtschafts- und Forschungspolitik aufs intensivste auf die Atomwirtschaft ausgerichtet ist, eine besonders schwierige und zugleich wichtige Rolle spielt.

Als vor 30 Jahren CRIIRAD gegründet wurde, hatte die französische Regierung gemeinsam mit der französischen Strahlenschutzkommission verkündet, dass nach der Katastrophe von Tschernobyl im Grunde so gut wie keine Radioaktivität in Frankreich niedergegangen sei. Daraufhin gründete sich CRIIRAD: Der Name der Organisation drückt ihren Anspruch aus, eigenständige Messungen durchführen und unabhängig informieren zu können. Auch in Deutschland hatten sich im Jahr 1986 zahlreiche unabhängige Messstellen gebildet, die laufend neue Messungen veröffentlichten, aber in Frankreich herrschte ein staatlich erzeugtes Informationsvakuum. Es dauerte einige Jahre, bis die staatlichen Stellen Übersichtskarten der Bodenkontamination in Frankreich veröffentlichten.

Es wurden viele Messungen von Lebensmitteln und Umweltproben durchgeführt. Aber schon in den ersten Jahren der Arbeit von CRIIRAD ging man über zur Messung von Radioaktivität, von Emissionen und Ablagerungen der französischen Nuklearwirtschaft. Es wurden Proben aus den Flüssen entnommen und Untersuchungen bei den Wiederaufbereitungsanlagen durchgeführt. Frankreich ist mit unzähligen Stellen der Uranwirtschaft übersät, von Produktionsanlagen und Halden bis hin zu radioaktiven Belastungen in Wohngebäuden und auf Sportplätzen.

Auf der politischen Ebene standen nicht die Fragen der Abschaltung der französischen Atomanlagen und der Ausstieg aus der Atomenergie im Vordergrund. Das Ziel in den Statuten von CRIIRAD ist sowohl das "Recht auf Wissen" über sämtliche Einwirkungen von Radioaktivität und das "Recht auf Mitwirkung" bei Entscheidungsprozessen, sowie das "Recht auf Leben und Schutz" vor radioaktiven Belastungen in der Umwelt, in Lebensmitteln und anderen Produkten. Konkret angewendet würde dies natürlich den Ausstieg aus der Atomwirtschaft betreffen, die Uranwirtschaft, die Wiederaufbereitung sowie die militärische Nutzung der Atomenergie inbegriffen. CRIIRAD zeigt aber, dass allein über die vielfältige Kontrolle der radioaktiven Emissionen, der Störfälle und Altlasten den Menschen die Gefahren der Atomwirtschaft immer wieder aufgezeigt werden können und müssen.

CRIIRAD kümmerte sich auch um die Herkunft des Urans, insbesondere aus dem Niger, führte dort Messungen durch und schloss Bündnisse mit dortigen Organisationen von Menschen, die von Radioaktivität aus dem dortigen Uranabbau belastet werden. Diese Arbeit wurde auf Uranminen in Malawi erweitert.

Während die unabhängige Umweltüberwachung der Ortsdosisleistung im Umkreis von AKWs in Deutschland nur rudimentär aufgebaut wurde und Castor-Transporte durch Messungen am Rande von Bahnlinien registriert wurden, baute CRIIRAD ein Messnetz der Luftüberwachung der Betastrahlung (mit Filterstationen) sowie der Gamma-Ortsdosis mit hoher Empfindlichkeit und Qualität auf. Regelmäßig werden hierüber Berichte erstellt. [2]

Schon bald nach der Gründung führte CRIIRAD Programme zur Messung von Radon in Gebäuden durch, zumal das relativ einfach zu machen war. Dem Konzept von CRIIRAD folgend, werden Messgeräte verkauft und hierzu Schulungen durchgeführt. Dies gilt zum Beispiel für Ortsdosisleistungsmeßgeräte (im Volksmund wenig präzise oft "Geigerzähler" genannt), von denen den Angaben zufolge im Jahr 2015 136 Stück verkauft wurden.

In den letzten Jahren wurden verstärkt Sickerwässer und Abwässer mehrerer Deponien in Frankreich untersucht. Das dort nachgewiesene Tritium ist der Einschätzung von CRIIRAD zufolge wahrscheinlich auf die Verwendung von Tritium als Leuchtstoff zum Beispiel in Uhren und Kompassen zurückzuführen. Dem Nachweis von Lanthan-138 im Schlamm einer Deponie, die Abfälle aus einer Gießerei aufnimmt, die Steine für Feuerzeuge herstellt, müsste noch weiter nachgegangen werden. Man sieht aber bereits, was bei einer akribischen, qualifizierten Suche alles herauskommen kann.

Aktuell aus dem Jahr 2015 stammt auch eine Untersuchung von Radioaktivität in "Alltagsgegenständen". So wurden in Anhängern von Halsketten, die im Internet zudem als besonders heilend vertrieben werden, erhebliche Aktivitäten von Radioaktivität der Uran- und Thoriumreihe nachgewiesen. (5.000 bis 230.000 Becquerel pro Kilogramm). [3] Die Nutzung dieser Anhänger kann zu erheblichen Strahlenbelastungen der Haut in der Größenordnung von 50 bis 300 Millisievert im Jahr führen. Es wurden dazu Informations-Videos erstellt, die gut übers Internet verbreitet werden können (die Anhänger sind unter anderem unter dem Namen "Quantum Science" im Internet zu finden).

Nach den Atomkatastrophen war CRIIRAD in Belarus aktiv, insbesondere zur Unterstützung dort politisch verfolgter Strahlenschützer. Zu Fukushima und den Folgen wurden umfassende Dossiers erstellt. Schon im Mai 2011 wurden Messgeräte im Wert von 10.000 Euro an japanische unabhängige Messstellen weitergegeben, verbunden mit einem Besuch in Japan und dort durchgeführten Messungen.

Auf der politischen Ebene des Strahlenschutzes hat CRIIRAD sich permanent für bessere (schärfere) Vorschriften des Strahlenschutzes, insbesondere hinsichtlich des Verbraucherschutzes eingesetzt, speziell zu Radioaktivität in Lebensmitteln bzw. deren Bestrahlung. Regelmäßig wurden Stellungnahmen zur nationalen und insbesondere europäischen Gesetzgebung erstellt. [4] Dies betraf auch die Freigabe von schwach- bis mittelradioaktiven Stoffen. Plakativ war der CRIIRAD-Slogan "keine Radioaktivität in unseren Bratpfannen!"

In einer aktuellen Aktion von CRIIRAD geht es um den Abriss und die Freigabe von 150.000 Tonnen radioaktiver Metalle aus der früheren Anreicherungsanlage "Georges Besse 1" in Tricastin. Insbesondere in der Frage der Lagerung dieser Abfälle könnte ein Erfahrungs- und Wissensaustausch der deutschen Initiativen mit CRIIRAD sicherlich produktiv sein. Das Gleiche gilt für die Umsetzung der neuen EU-Basic Safety Standards Richtlinie (EU-BSS) in nationales Recht.

Eine Zusammenarbeit könnte sich auch in Hinblick auf spezielle Untersuchungen auf Radionuklide ergeben. CRIIRAD verfügt über die Möglichkeiten - neben Nukliden, die über ihre Gammastrahlung identifiziert werden können - auch Gesamt-Alpha-Aktivitäten und Tritium nachzuweisen.

Ein gewisses Hemmnis der Zusammenarbeit ist sicherlich, dass CRIIRAD und hiesige Aktivisten in ihrer jeweiligen nationalen Sprache agieren. Es lohnt sich jedoch sehr, die Arbeit von CRIIRAD zu verfolgen, da diese Organisation neben exzellenten Messmöglichkeiten und Aktivitäten im Strahlenschutz auf die vielfältigste Weise die alltäglichen und dauerhaften Gefahren der Radioaktivität aus der französischen Atomwirtschaft aufzeigt. Gerade in Hinblick auf die Themen Reaktorsicherheit, Emissionen, Freigabe und Strahlenschutzgesetz drängt sich eine Zusammenarbeit mit CRIIRAD auf. In diesem Sinne wünsche ich "bon anniversaire".


Dr. Werner Neumann

werner.neumann[at]bund.net


Anmerkungen
[1] www.criirad.org
[2] http://balises.criirad.org/
[3] CRIIRAD Trait d'union Nr. 68; Dezember 2015
[4] CRIIRAD: "In Europa werden skandalös hohe radioaktive Belastungen der Nahrungsmittel im Falle eines neuen Atomunfalls erlaubt". Strahlentelex 688-691 v. 3.9.2015, S.14-17, www.strahlentelex.de/Stx_15_688-691_S14-17.pdf


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_16_708-709_S15-16.pdf

*

Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Juli 2016, Seite 15 - 16
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. September 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang