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ATOM/037: "Wer kritisiert wird ausgegrenzt" - Lage in Fukushima dramatischer als zugegeben (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
Unabhängiger Informationsdienst zu Radioaktivität, Strahlung und Gesundheit
Nr. 608-609 / 26. Jahrgang, 3. Mai 2012

Folgen von Fukushima
"Wer kritisiert wird ausgegrenzt"
Die Lage ist dramatischer als zugegeben

von Thomas Dersee



In Japan werden Informationen über die Reaktorenkatastrophe von Fukushima zurückgehalten und Messungen verfälscht. Das erklärte der in Japan lebende Journalist und frühere Fernsehmoderator Takashi Uesugi auf einer Veranstaltung der IPPNW, der Gesellschaft für Strahlenschutz und des Deutsch-Japanischen Friedensforums am Abend des 13. April 2012 in Berlin. So habe er sich lange gewundert, weshalb seine eigenen Messungen der Ortsdosisleistungen immer höhere Werte ergaben als sie den offiziellen Angaben zufolge hätten sein sollen. Dann habe er die Vorbereitungen für die offiziellen Messungen beobachtet: Die Oberflächenerde wurde nach beiden Seiten weggeschaufelt und der Meßpunkt mehrmals mit Wasser übergossen, bevor das Meßgerät abgelesen wurde. So werde garantiert, daß die Werte unter 0,9 Mikrosievert pro Stunde blieben.

Uesugi beklagte auch die zähe Verflechtung von Atomindustrie und Politik in Japan. Politiker, die ihr Amt verlieren, würden häufig mit einem Posten zum Beispiel beim Stromkonzern Tepco versorgt, ähnlich wie das einst auch in Deutschland bei der Deutschen Bahn der Fall war. Das System mit gegenseitigen Gefälligkeiten und Abhängigkeiten sei nur schwer zu durchdringen. Wer die Vertuschungen und Verharmlosungen der Reaktorkatstrophe durch offizielle Stellen kritisiere, werde aus dem von der japanischen Elite geschaffenen System ausgegrenzt.

In Japan sind von den insgesamt 54 Atomkraftwerken (AKW) aktuell 15 havariebedingt außer Betrieb. Die anderen, bis auf eines, werden überprüft und sind ebenfalls nicht am Netz. Die Hoffnung, daß mit dem letzten im Mai 2012 zur Überprüfung abzuschaltenden AKW Tomari auf Hokkaido keines mehr in Betrieb sein wird, muß sich jedoch nicht erfüllen, warnte Uesugi. Denn die japanische Regierung will den Atommeiler Ooi in der Präfektur Fukui wieder anlaufen lassen. Allerdings müsse der Gouverneur dieser Präfektur dem zustimmen, wogegen sich in der Bevölkerung Proteste regen. Die japanischen Medien jedoch schweigen über solche Proteste, beklagt Uesugi.

Die Stromgesellschaften, so Uesugi, wenden große finanzielle Mittel für Medien und Kontaktpflege auf. Davon profitiere auch der offizielle japanische Presseclub Kisha Club und Kritik an Tepco werde in der Regel mit dem Ausschluß aus dem Club bestraft.

Uesugi geht davon aus, daß Reaktor 3 von Fukushima Dai-ichi komplett explodiert ist. Das Foto, das die Explosion in Reaktor 3 in Fukushima zeigt, sei in Europa ziemlich bekannt. In Japan ist das jedoch nicht der Fall, so Uesugi. Auch ein Jahr nach der Katastrophe sei es in den Medien nicht zugelassen. Nach wie vor werde von der japanischen Regierung und in den Medien behauptet, es habe keine Explosion gegeben. Würde das Foto öffentlich gezeigt, würde der Widerspruch offenkundig.

Bislang wurden mindestens 120.000 Menschen verstrahlt, sechs Menschen sind gestorben, zehn wurden verletzt und 60 Personen werden vermißt, erklärte Uesugi. Über diese Zahlen der japanischen Regierung werde auch nicht berichtet. Laut einem Regierungsbericht sollen in der Präfektur Fukushima bei Kindern keine Untersuchungen der Schilddrüsen und des Blutes durchgeführt werden. Eine Mutter in der Stadt Iwaki habe ihm berichtet, daß die Regierung kleine Ansteckknöpfe an Kinder verteilt und nach einiger Zeit wieder einsammelt. Damit soll die Strahlenbelastung der Kinder gemessen werden. Als sie nach dem Ergebnis für ihr Kind gefragt habe, sei ihr geantwortet worden, das seien persönliche Daten, die aus Gründen des Datenschutzes nicht bekanntgegeben würden.

Als Konsequenz haben einige Personen in Japan jetzt als Gegenpol zum offiziellen Kisha Club die Free Press Association gegründet, deren Vorsitzender Takashi Uesugi ist. Die Free Press Association arbeitet im und mit dem Internet, veranstaltet eigene Pressekonferenzen und lädt dazu kritische Experten ein.

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Mai 2012, Seite 7-8
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2012