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ABFALL/021: Indien - Städtischer Müll für die Dörfer, Behörden mit der Entsorgung überfordert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Juni 2012

Indien: Städtischer Müll für die Dörfer - Behörden mit der Entsorgung überfordert

von K.S. Harikrishnan

Dorfbewohner protestieren gegen Müll nahe ihren Häusern - Bild: © K.S. Harikrishnan/IPS

Dorfbewohner protestieren gegen Müll nahe ihren Häusern
Bild: © K.S. Harikrishnan/IPS

Vilappilsala, Indien, 8. Juni (IPS) - "Freunden, die uns besuchen kommen, sagen wir, dass sie dem Gestank nach Abfall folgen sollen", sagt Jeevaratnam, eine Hausfrau aus dem Dorf Vilappilsala im südindischen Bundesstaat Kerala. Sie bringt auf, dass die Stadtverwaltung von Thiruvananthapuram einen Teil des idyllischen, von Palmen gesäumten Dorfes in eine Müllkippe verwandeln will.

"Soll Thiruvananthapuram doch selbst mit seinem Unrat fertig werden", schimpft sie. "Warum laden sie alles hier bei uns ab?" Vor sechs Monaten stellte sich Jeevaratnam gemeinsam mit Umweltschützern Lastern entgegen, die Müll auf einem rund 21 Hektar großen Gelände abluden, der dort kompostiert werden soll.

Der zuständigen Firma liegt inzwischen eine Genehmigung des Obersten Gerichtshofs von Kerala vor, die Anlage wieder zu eröffnen. Doch scheint sie der Mut, sich erneut mit den Dorfbewohnern anzulegen, verlassen zu haben. Eine vom Gericht eingesetzte Untersuchungskommission bekräftige die Beschwerden der Anwohner, wonach der Müll Flüsse, Brunnen und Quellen verseucht.

"Viele Menschen haben Magen- und Atemwegsprobleme, seit die Abfälle hier gelagert werden", berichtet Shobhana Kumari, Vorsitzende des Dorfrates (panchayat). "Wir werden nicht zulassen, dass man uns den Müll vor die Tür kippt."

Vilappilsala steht stellvertretend für ein Problem, das ganz Indien betrifft. Der Müllberge, die durch die rasche Verstädterung entstehen, vermag niemand mehr Herr zu werden.


Städte können vorgeschriebene Maßnahmen nicht realisieren

Im Jahr 2000 waren auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs Richtlinien zum Umgang mit festen Abfällen entworfen worden. Alle Städte sind dazu verpflichtet, umfassende Programme zur Müllverwertung aufzulegen, die Mülltrennung in den Haushalten, Recycling und Kompostieren beinhalten. Keine einzige Stadt ist bisher aber in der Lage, solche Maßnahmen umzusetzen. Riesige Berge von verrottendem Müll gehören im urbanen Leben mittlerweile zum Alltag.

In den Städten des Subkontinents fallen jährlich mehr als 50 Millionen Tonnen Festabfälle an. Durchschnittlich produziert jeder Stadtbewohner pro Tag ein halbes Kilo Müll. Die Energiebehörde in Neu-Delhi schätzt, dass 2047 jährlich 260 Millionen Tonnen Müll anfallen werden. Die städtischen Verwaltungen werden nicht in der Lage sein, mit dieser Situation fertig zu werden.

C.R. Neelakantan, ein prominenter Umweltaktivist aus Kerala, kritisiert die Auslagerung der städtischen Müllentsorgung in die ländlichen Regionen als "gewissenlos". Sie verstoße gegen den Grundsatz, dass der Verursacher für die Schäden aufkommen müsse. "Müll trägt erheblich zur Verschmutzung der Städte bei. Dass dieses Problem nicht gelöst wird, ist ein Zeichen für das Versagen der Behörden", kritisiert Neelakantan, Vorsitzender der Umweltorganisation 'Samara Samiti'.

Die Stadtverwaltungen gehen immer häufiger dazu über, die Betreiber privater Müllverbrennungsanlagen mit der Abfallentsorgung zu beauftragen. Umweltschützer warnen davor, dass die Medizin in diesem Fall schlimmer als die Krankheit sein könnte.

Nach Ansicht von Almitra Patel, einer in Bangalore ansässigen Umweltaktivistin, die in den vergangenen 16 Jahren die städtische Abfallpolitik mitgestaltet hat, verhindert Korruption jede solide Abfallentsorgungspolitik. Da sich die Behörden bestechen ließen, seien sie völlig ungeeignet, die Müllverwertungsanlagen verantwortungsvoll zu verwalten.

"Müllverbrennungsanlagen kosten bis zu 43 Mal mehr als einfache Kompostierungsanlagen, die eine ideale Lösung für Indien wären", sagt Patel, die dem Ausschuss des Obersten Gerichts zum Umgang mit festen Abfällen angehört.


Indischer Müll brennt nicht gut

"Anders als in Industrieländern, wo der Abfall getrennt wird und reichlich Verpackungsmüll anfällt, der verbrannt werden kann, besteht der Abfall in Indien vor allem aus schlecht verbrennbaren organischen Stoffen", erklärt sie. Vom thermodynamischen Gesichtspunkt falle bei der Verbrennung indischer Abfälle wenig Energie an. Somit sei diese Form der Müllentsorgung für den Subkontinent nicht nachhaltig genug.

Auch besteht der Müll aus Schlamm und anderen Rückständen, die die Abfallanlagen beschädigen. "Eine Verbrennungsanlage in Neu-Delhi war innerhalb einer Woche lahm gelegt und ist seit Jahren außer Betrieb", berichtet Patel.

Kritik löste eine Entscheidung Neu-Delhis aus, einem Privatunternehmen den Bau einer Anlage im städtischen Industriegebiet Okhla zu erlauben, in der bis zu 2.000 Tonnen Festabfälle am Tag verbrannt werden. Doch die Proteste von Anwohnern, die sich über den dicken Rauchschwaden beschwerten, wurden ignoriert. "Wir verstehen nicht, wie die Regierung in einem so dicht besiedelten Gebiet auf die Idee kommen kann, einer solchen Müllverbrennungsanlage zuzustimmen", kritisiert Vimal Monga, Vorsitzender einer lokalen Wohlfahrtsorganisation.

Rawi Agarwal von der Umweltorganisation 'Toxic Links' hält Kontrollen und Mülltrennung für das A und O einer nachhaltigen Müllentsorgung. Er verweist auf die Gefahren, die vor allem von Elektroschrott und Krankenhausabfällen ausgehen. Laut einer Studie von 2010 des 'Indian Institute of Management' in Lucknow wird die Hälfte der biomedizinischen Abfälle aus indischen Kliniken zusammen mit dem städtischen Müll entsorgt. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.toxicslink.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=108053

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2012