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VERBRAUCHER/067: Aktuelle Umfragen belegen, Verbraucher_innen wollen keine Werbelügen mehr (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 182 - Oktober / November 2014
Die Berliner Umweltzeitung

Aktuelle Umfragen belegen:
Verbraucher_innen wollen keine Werbelügen mehr

Von Volker Voss



Otto Normalverbraucher zieht im Supermarkt eine Packung Cornflakes aus dem Regal. Allein schon die ansprechende Abbildung macht ihm den Mund wässerig: Auf der linken Seite unten ist noch eine schöne große Erdbeere abgebildet. Doch groß ist die Enttäuschung zu Hause: Die Erdbeere ist lediglich als Serviervorschlag gemeint. Der Inhalt ist mehr Aroma statt Frucht. Dann ist da die Hühnersuppe in der Tüte im Angebot. Die Verpackung verspricht ebenso Appetitliches: Doch Hühnerfleisch? Es gibt lediglich ein Prozent Hühnerfett. Als empfehlenswerte Mahlzeit am Morgen bietet sich der scheinbar leckere Frühstückskeks eines ebenfalls bekannten Lebensmittelproduzenten an. Bei genauerer Betrachtung stellt sich jedoch heraus, dass es sich eher um eine Süßigkeit mit einem hohen Zuckeranteil handelt. Insgesamt 500 derartiger Beispiele finden sich auf dem Internetportal der Verbraucherzentrale Lebensmittelklarheit.de. Die Konsumenten werden ganz offensichtlich durch irreführende Aufmachung und Kennzeichnung von Lebensmitteln getäuscht. Das Internet-Portal verzeichnet monatlich rund 80.000 Aufrufe kritischer Konsumenten, berichtet Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentrale in Berlin. Und täglich gehen neue Meldungen ein, denen nachgegangen wird.

Wie Hartmut König, fachlicher Leiter des Portals hervorhebt, handelt es sich bei den Beschreibungen auf den Verpackungen eindeutig um unrichtige Werbebotschaften. Die Veröffentlichungen auf der Internetseite führen daher zu einem hohen Änderungsdruck bei den Anbietern und oft zu einer ernsthaften Dialogbereitschaft. Immerhin ein Drittel der Produzenten ändert die beanstandete Produktbeschreibung in Richtung "Realität statt Idylle". Angemerkt sei allerdings, dass Produzenten von Bio-Produkten sogar zu 60 Prozent bereit sind, ihre Beschreibungspraxis zu ändern. Das würde jedoch nicht reichen. Erwartet werden klare gesetzliche Vorgaben.

Kritische Verbraucher_innen

Das Portal besteht mittlerweile seit drei Jahren, Zeit für die Verbraucherzentrale, Bilanz zu ziehen: Vorgestellt wurden die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, durchgeführt von der Agrifood Consulting GmbH, die die Stimmung unter den Verbraucher_innen widergibt und wie sie sich unverfälschte Beschreibungen der Lebensmittelprodukte wünschen.

Demnach wünschen sich über 90 Prozent eine genaue Produktbezeichnung sowie eine genaue Abbildung und klare Angaben zur Füllmenge. Auch der Gesundheitsaspekt spielt eine wichtige Rolle. Denn über 60 Prozent erwarten eine Nährwertkennzeichnung sowie eine Zutatenlisten auf der Verpackung. Dass die Verbraucher_innen mehrheitlich ernährungsbewusst sind, belegt die Tatsache, dass über 50 Prozent zur Produktherkunft und über besondere Qualitäten wie beispielsweise Bio, Fair Trade oder Gentechnik informiert werden wollen. 42 Prozent legen gar Wert auf Angaben zum Vitamingehalt.

Von "ganz legaler Täuschung" sprechen foodwatch, die essensretter. Nach dem vom Meinungsforschungsinstitut Emnid zeitgleich erstellten foodwatch-Verbraucherreport 2014, scheitern drei von vier Verbrauchern an der Lebensmittelkennzeichnung. 80 Prozent fühlen sich getäuscht. Darum hat foodwatch einen 15-Punkte-Plan erarbeitet, der europaweit gelten soll. Darin wird unter anderem gefordert, dass Informationen Vorrang vor Werbung haben müssen. Eine lesbare Mindestschriftgröße soll Standard werden. Verbraucher ärgern sich oft auch über die zu kleine Schrift auf der Verpackung. "Mit dem Gesetzesentwurf der Europäischen Kommission zur Schriftgröße hat sich die Lobby durchgesetzt", so Oliver Huizinga von foodwatch. Statt der geforderten Schriftgröße von drei Millimetern sind nur 1,2 Millimeter vorgeschrieben.

Ebenso werden Transparenz über die Herstellungsweise, Angaben zu tierischen Zutaten und die Form der Tierhaltung angemahnt. Zudem wird ein Verbot von Gesundheitsversprechen gefordert sowie eine lückenlose Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere. Darüber hinaus werden realistische Produktabbildungen, verständliche Aromen- und Zusatzstoff-Deklarationen und ein Marketingverbot für unausgewogene Kinderprodukte angemahnt. Außerdem möchte foodwatch das Klage- und Informationsrecht für Verbraucherverbände ausgeweitet wissen. Gesundheitsversprechen darf es nur geben, wenn sie wissenschaftlich nachgewiesen werden können.

"Wenn Verbraucher nicht die Qualität der Produkte unterscheiden können, greifen sie oft zum Billigprodukt. Das ist durchaus eine rationale Entscheidung, sie schneiden sich damit jedoch ins eigene Fleisch", so Thilo Bode, foodwatch-Geschäftsführer. In Umkehrung der Tatsachen wird die Schuld dann auch noch den Verbraucher_innen zugeschoben: "Warum kaufen sie denn so billig? Die Verbraucher müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Gesundheit geschützt ist", fordert Bode. Es ist viel die Rede vom mündigen Bürger, doch dieser könne nur dann mündig entscheiden, wenn er über alle Informationen verfüge.

Druck machen

"Grundsätzlich sollte der Schutz vor Täuschung bereits vorbeugend gelten", mahnt Tilo Bode an. Sonst sei er wirkungslos. Das Lebensmittelrecht sei zwar gut, doch die Gesetze seien nicht eindeutig. Denn außer den Täuschungen auf den Verpackungen gab es bekanntlich weitere Ärgernisse im Lebensmittelbereich. Erinnert sei hier an die Lebensmittelskandale der letzten Jahre. Gerade hier zeigte sich die Unvollkommenheit in der Gesetzgebung. Hier müsse kräftig nachgebessert werden. Laut Lebensmittelrecht müsste schon beim geringsten Verdacht eingeschritten werden. Dazu ist eine lückenlose Rückverfolgung der Lebensmittelkette notwendig. Denn bei Vergiftung gibt es logischerweise kein Umtauschrecht und die Nachweisbarkeit ist im Nachhinein schwer. Deswegen sei Transparenz wichtig. Es gebe zwar Prüfpflichten, diese seien aber löchrig wie ein Schweizer Käse, so Bode.

"Politiker geben eher dem Druck der Lebensmittelindustrie nach und nicht dem der Verbraucher", empört sich Bode. Die seinerzeitige Verbraucherschutz-Ministerin, Ilse Aigner, äußerte einmal im Zusammenhang mit dem Dioxinskandal 2010, wohl völlig unbedacht, sie müsse erst mit der Futtermittelindustrie reden, erinnert sich Bode. Allein der Pferdefleischskandal hatte sich über Monate hinweg aufgebaut, ohne dass eingeschritten wurde. Höhere Strafen seien nicht durchsetzbar, behaupten die Politiker immer wieder. "Wir lassen uns wirklich allen Blödsinn erzählen", ärgert sich der foodwatch-Chef. Ein Problem bei der Strafzuweisung ist jedoch, dass im deutschen Recht das Individualstrafrecht zugrunde liegt, bei dem die Schuld personengebunden nachzuweisen ist. In dem Zusammenhang verweist er auf die Rechtslage in Österreich, wo grundsätzlich auch Unternehmen in Haftung genommen werden können, wenn sie nachweislich Verursacher ungesetzlicher Handlungen sind. Als Tipp an die Verbraucher_innen: "Politik ändert man nur durch Druck".

Fazit: Es ist langsam an der Zeit, sämtliche Werbebotschaften öffentlich auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wünschenswert wäre ebenfalls die Einbeziehung der alles versprechenden Wahlwerbung.


Weitergehende Informationen:

www.vzbv.de
www.lebensmittelklarheit.de
www.foodwatch.org/de/startseite

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Quelle:
DER RABE RALF - 25. Jahrgang, Nr. 182 - Oktober/November 2014, S. 10
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2014