Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → INDUSTRIE

ATOM/976: Atomstrom für Afrika? Interview über den Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktor (IPPNWforum)


IPPNWforum | 117|18 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Atomstrom für Afrika?
Interview mit Martin Herzog über den Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktor

Das Interview mit Martin Herzog führte Malte Andre.


In den 60er Jahren sollte die sogenannte Hochtemperatur-Technik eine saubere und ungefährliche Nutzung von Atomenergie ermöglichen. Doch die Pilotanlage in Hamm-Uentrop wurde zu einer der teuersten Industrieruinen Deutschlands. In den USA, Japan, China, Indonesien und Südafrika wird die Technologie aus NRW jedoch gerne genutzt. Mit deutscher Unterstützung wird nun in Kapstadt eine Pilotanlage für Südafrika gebaut - obwohl die Technologie nicht weniger umstritten ist als vor 20 Jahren. Inzwischen haben sich vor Ort Bürgerinitiativen gebildet, die die Inbetriebnahme verhindern wollen.


Forum: Herr Herzog, wie kam es bei Ihnen zum Interesse am THTR (Thorium-Hoch-Temperatur-Reaktor) bzw. dem neuen PBMR (pebble bed modular reactor) ?

Herzog: Ich arbeite vor allem für das tägliche NRW-Nachrichten-Magazin "Aktuelle Stunde" im WDR-Fernsehen. In unserer wöchentlichen Rubrik "So war's" greifen wir zeitgeschichtliche Themen aus dem Land auf. Im Herbst 2007 war eines dieser Themen der 25. Jahrestag des THTR in Hamm-Uentrop. Nach 13 Jahren Bauzeit wurde der Reaktor 1982 zum ersten Mal angefahren. Hierzu haben wir in Hamm-Uentrop im stillgelegten Reaktor gedreht, ebenso bei Horst Blume, einem der letzten Kämpfer der Anti-AKW-Bürgerinitiative dort. Er wies uns darauf hin, dass in Südafrika und anderen Ländern am gleichen Konzept gearbeitet würde - mit Deutscher Unterstützung. Das hat natürlich mein Interesse geweckt und ich habe angefangen, zu recherchieren.

Forum: Ihr Film zeigt unverblümt, dass z.B. die Bevölkerung in den Townships den Reaktorbau und allgemein die Nukleartechnik positiv bewertet. Ist das eine für Sie nachvollziehbare Reaktion?

Herzog: Für mich ist diese Reaktion absolut nachvollziehbar: Wenn ich unter den Umständen dort leben würde - keine Kanalisation, keine festen Häuser, 40 Prozent HIV-Rate, TBC allenthalben, 60 Prozent Arbeitslosigkeit - wäre es mir auch völlig wurscht, ob der Strom aus Kohlekraftwerken kommt, von Windrädern, aus Atomkraft oder von Hamstern im Laufrad erzeugt wird. Hauptsache er ist billig! Verdenken kann ich das niemandem und zu verlangen, dass Menschen, die unter solchen Umständen leben, besonnener sein sollten als wir in unseren aufgeklärten und wohlgenährten Breiten, wäre wohl etwas hochnäsig. Man hat dort schlicht andere Sorgen als das. Wie auch unsere Erfahrungen aus der PBMR-Ausstellung zeigen, sind die Menschen umgekehrt sogar stolz darauf, dass Südafrika in einer High-Tech-Industrie oben mitspielt. Das ganze wird natürlich verkauft unter dem Gütesiegel: developed in Germany.

Forum: Wie waren die Reaktionen auf Ihren Film aus Ihrem Umfeld, von Kollegen?

Herzog: Die Frage der Atomenergie ist eine hoch emotionale - auf beiden Seiten. Nachdem der Film ausgestrahlt worden ist, haben wir wütende E-Mails von Kernkraft-Befürwortern bekommen, teilweise direkt an die Intendantin des WDR gerichtet. Motto: Wieder mal typisch für den WDR, unqualifizierte Äußerungen von Atomkraft-Gegnern, ein Autor, der keine Ahnung von der Materie hat und ähnliches mehr. Die Anti-AKW-Bewegung in Südafrika und in Deutschland dagegen war weitgehend zufrieden mit der Reportage, die Opposition in Südafrika fühlt sich hierdurch bestärkt. Die Tatsache, dass die Planungen für den Reaktor in Koeburg momentan auf Eis gelegt sind, tragt dazu natürlich noch mehr bei. Insgesamt war ich etwas überrascht über diese harschen Reaktionen aus der Pro-AKW-Ecke, denn so kritisch habe ich selbst die Reportage gar nicht wahr genommen.

Forum: Angeblich ist der Reaktorbau in Südafrika nun aus finanziellen Engpässen seitens der Betreiberfirma Eskom gestoppt. Hat der lokale Widerstand einiger Bürger, den Sie dokumentiert haben, dabei mitgewirkt?

Herzog: Das ist kaum anzunehmen. Vermutlich hat der Stopp wirklich reine Finanzierungsgründe. Die Opposition in Südafrika ist klein, finanziell schwach und hat auch nur wenig Verbindung zur politischen Ebene. Sie ist nicht zu vergleichen mit der Wucht der Anti-AKW-Bewegung der 70er und 80er Jahre in Deutschland und Europa. Dominique Gilles, eine der Leitfiguren von CANE (Coalition Against Nuclear Energy), spricht von rund 1 Million Unterstützer ihrer Organisation. Die Zahl kann ich nicht prüfen. Aber selbst wenn es so ist, ist diese Unterstützung nicht sichtbar. Die Opposition hat große Probleme, ihre Sympathisanten zu mobilisieren. Deshalb verlegt man sich dort unten vor allem auf Lobby-Arbeit. Die steckt aber noch in den Kinderschuhen. Man ist dort (noch) in einer Phase, sich zu organisieren und Strategien zu entwickeln. Bürgerinitiativen wie die in Hamm-Uentrop helfen dabei. Die Parallelität des Wissenstransfers ist frappierend. Die einen exportieren technologisches Know-How nach Südafrika, die anderen Strategien des Protests. Aber natürlich braucht Südafrika ein spezifisches Vorgehen, weil es anders strukturiert ist und deshalb andere Lösungen benötigt.


Martin Herzog arbeitet als Autor und Reporter vornehmlich für den WDR und ging in seiner Reportage "Atomstrom für Afrika" auf Spurensuche.


*


Quelle:
IPPNWforum | 117|18 | 09, S. 13
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
Anschrift der Redaktion:
IPPNWforum
Körtestr. 10, 10967 Berlin
Tel. 030/69 80 74-0, Fax: 030/69 38 166
E-Mail: ippnw@ippnw.de
Internet: www.ippnw.de

IPPNWforum erscheint jeden zweiten Monat.
Preis 3,50 Euro je Exemplar. Der Bezugspreis für
Mitglieder ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2009