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ATOM/1080: AKW-Laufzeitverlängerung verhindern (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 157 - August/September 2010
Die Berliner Umweltzeitung

AKW-Laufzeitverlängerung verhindern
18. September in Berlin: Großdemonstration "Atomkraft - Schluss jetzt!"

Von Jochen Mühlbauer


Die schwarz-gelbe Bundesregierung und die Atomlobby beraten den ganzen Sommer über Details der vermutlich anstehenden Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der sich als neues grünes Gewissen der CDU etablieren will, hat erklärt, dass es bei einer Verlängerung der AKW-Laufzeiten über acht Jahre hinaus neue Sicherheitsbewertungen geben müsse und dies eine Zustimmung des Bundesrats nötig mache. Darf der Bundesrat mitreden, könnte dies bedeuten, dass die Laufzeitverlängerung scheitert, da Schwarz-Gelb in der Länderkammer keine Mehrheit mehr hat.

Röttgens Festlegung auf eine relativ kurze AKW-Laufzeitverlängerung von acht bis zehn Jahren führte in der CDU/CSU zu massivem Protest. Bis Ende August wird ein Gutachten erstellt, das Für und Wider verschiedener Laufzeit-Szenarien darstellen soll. Die Streitparteien in der Koalition sollten sich bis zur Veröffentlichung des Gutachtens mit Äußerungen zurückhalten.

Nach einem Treffen von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) mit allen Länderkollegen bestätigte das Umweltministerium inzwischen, dass die Bundesregierung Ende August die Eckpunkte ihres Energiekonzepts vorlegen wird. Darin seien auch die Zusatzlaufzeiten für die Atomkraftwerke enthalten. Die Grünen- und SPD-Umweltminister der Bundesländer kritisierten das von Röttgen vorgestellte Konzept als "widersprüchlich" und "Einknicken vor der Atomlobby".

"Das ganze Konzept ist offensichtlich um den politischen Willen herumgestrickt, die Atomkraft länger laufen zu lassen", sagte die rheinlandpfälzische Umweltministerin Margit Conrad (SPD). "Das Vergleichsszenario für eine Energieversorgung ohne Atomkraft ist unseriös: Es geht von keinerlei ambitionierten Zielen für erneuerbare Energien und Energieeffizienz aus." Zudem habe Röttgen die Länder nie ernsthaft beteiligt, obwohl sie betroffen seien und der Bund sie für die Umsetzung brauche.

Auch die Umweltministerinnen von Brandenburg und Berlin, Anita Tack und Katrin Lompscher (beide Linkspartei) kritisierten Röttgens Pläne als "umwelt- und wirtschaftspolitisch kontraproduktiv". Er gefährde Deutschlands führende Rolle in den Zukunftsbranchen erneuerbare Energien, Energieeffizienz und intelligente Stromnetze. Sie kündigten an, AKW-Laufzeitverlängerungen im Bundesrat zu stoppen. Damit drohten auch die grünen Umweltministerinnen der CDU-geführten Länder Hamburg und Saarland.


Experten gegen AKW-Laufzeitverlängerung

Inzwischen machen die Umweltberater der Bundesregierung Front gegen die von Schwarz-Gelb geplante Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke. Um die Elektrizitätsversorgung wie geplant bis zum Jahr 2050 voll auf Ökostrom umzustellen, sei weder ein verzögerter Atomausstieg noch der Bau neuer Kohlekraftwerke notwendig, stellte der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) fest - ein Wissenschaftlergremium, das dem Bundesumweltministerium zuarbeitet.

Die Experten widersprechen damit dem Plan der Regierung, die Atomkraft als "Brückentechnologie" zum Umstieg in die erneuerbaren Energien zu nutzen. Sie argumentieren, dass Windkraft, Solarenergie und Biomasse-Nutzung grundsätzlich bereits mit den heute verfügbaren Technologien die Strom-Vollversorgung in Deutschland und Europa leisten könnten. Hierzulande beträgt der Ökostrom-Anteil zurzeit rund 17 Prozent, bis 2020 soll er auf mindestens 30 Prozent ansteigen und 2050 schließlich 100 Prozent betragen. Laut SRU müsste dafür der Neubau von Öko-Kraftwerken nur moderat zunehmen und bis 2020 pro Jahr sechs bis acht Gigawatt Leistung erreichen. "Dies würde den Trend der vergangenen Jahre fortsetzen", schreiben die Wissenschaftler in ihrer Stellungnahmen, und dies sei von der Öko-Energie-Branche auch zu bewältigen.

Eine Notwendigkeit, den Atomstromanteil weiterhin hoch zu halten, wird von den Forschern nicht gesehen - ganz im Gegenteil. Sie warnen sogar davor, dass durch "signifikante AKW-Laufzeitverlängerungen Strom-Überkapazitäten im System entstehen".

Die Atomkraftwerke und die vorhandenen beziehungsweise bereits im Bau befindlichen Kohlekraftwerke sollten vielmehr nach und nach abgeschaltet werden. Der Sachverständigenrat kalkuliert bei seinen Berechnungen mit einer Lebensdauer der Kraftwerke von jeweils rund 35 Jahren.

Die Sorge, Elektrizität werde bei Umstellung auf 100 Prozent Ökostrom unbezahlbar, teilt der Sachverständigenrat für Umweltfragen nicht. Die Stromproduktion werde dann wahrscheinlich mittelfristig sogar billiger als in einem System, bei dem Öko- und CO2-arme konventionelle Kraftwerke gemeinsam betrieben werden, sagen die Experten voraus.

Damit bestätigt der eigene Sachverständigenrat, dass die Pläne der Bundesregierung für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke absolut sinnlos sind.


Mobilisierung für den "heißen Herbst"

Deshalb bereitet sich die Anti-Atom-Bewegung auf Monate des Protests vor. So mobilisieren die Atomkraftgegner/-innen derzeit massiv für zwei Termine im Herbst. Am 18. September soll mit einer bundesweiten Großdemonstration in Berlin ein Zeichen gegen die Atompläne der Bundesregierung gesetzt werden. Der Höhepunkt der Anti-Atom-Proteste 2010 wird für die erste Novemberhälfte erwartet. Dann soll im niedersächsischen Wendland wieder ein Castor-Transport in das Atommüll-Lager Gorleben gebracht werden.


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Quelle:
DER RABE RALF - 21. Jahrgang, Nr. 157, August/September 2010, S. 1+4
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. September 2010