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ATOM/1041: Zweiter Etappensieg bei Biblis-Klage (IPPNWforum)


IPPNWforum | 120 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Zweiter Etappensieg bei Biblis-Klage
Behörde gehen die Argumente aus

Von Henrik Paulitz


Seit Januar 2008 klagt die IPPNW auf Stilllegung des Atomkraftwerks Biblis B. Im Februar bestätigte der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit der Untätigkeitsklage, das hessische Umweltministerium musste daraufhin zeitnah über den Stilllegungsantrag der IPPNW entscheiden. Das war ein erster Etappensieg. Mit einer umfangreichen Klagebegründung reagierte die IPPNW auf den ablehnenden Bescheid des Ministeriums, der als rechtswidrig kritisiert wurde. Die Einschätzung der IPPNW war richtig, im September 2009 kam es zum zweiten Etappensieg: Die hessische Atomaufsicht räumte ein, dass der Bescheid korrigiert werden muss.


Rechtswidriger Bescheid der Behörde

Das hessische Umweltministerium nennt drei Gründe für die nunmehr erforderliche Korrektur des Bescheides vom 10. April 2008, mit dem sie die Stilllegung von Biblis B als angeblich unbegründet ablehnt hatte. Erstens musste das Ministerium einräumen, dass die aktuelle Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs die Rechtsauffassung der IPPNW in ganz wesentlichen Punkten stützt. Zweitens begründete die Behörde die geplante Korrektur des Bescheides damit, dass ein Gutachten des Öko-Instituts zu den rund 200 Sicherheitsmängeln von Biblis B zu berücksichtigen ist. Drittens sieht das Ministerium die Notwendigkeit, "auf die vertiefte Begründung der Rügen" der IPPNW einzugehen.

"Mit der Ankündigung einer ergänzenden Bescheidung räumt die hessische Atomaufsicht ein, dass ihr Bescheid, mit dem sie die Stilllegung von Biblis B als angeblich unbegründet ablehnte, defizitär und insofern rechtswidrig war", kommentierte die Dortmunder IPPNW-Anwältin Wiltrud Rülle-Hengesbach den Vorgang im Oktober. Längst agiert die hessische Atomaufsicht in diesem Verfahren nur noch aus der Defensive. So musste sie wiederholt einräumen, dass Biblis B selbstverständlich nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht. Das bedeutet, dass der Atomkraftwerksblock nicht mehr dem vom Atomgesetz geforderten Sicherheitsstandard entspricht.

Generell gehen der Behörde die Argumente aus: Ihre vorläufige Antwort auf die umfangreiche Klagebegründung der IPPNW, die so genannte Klageerwiderung, ist bemerkenswert unsachlich. Ganz offensichtlich kann sie der Klagebegründung der IPPNW weder in rechtlicher noch in technischer Hinsicht überzeugend entgegentreten.


Behaupten und verfälschen

Mit allen Mitteln versuchen die Aufsichtbeamten in Wiesbaden die Stilllegung des RWE-Meilers zu verhindern. Beispielsweise behauptete das Ministerium wahrheitswidrig, in der Klagebegründung der IPPNW stünde, das Atomgesetz sei verfassungswidrig. Ein Satz aus der Klagebegründung wurde sogar sinnentstellend verkürzt wiedergegeben, um dem Gericht ein verfälschtes Bild von der Klagebegründung zu vermitteln.

Argumente führender deutscher Atomrechtler wie auch der Wortlaut des Atomgesetzes werden als "Erfindungen" oder Phantastereien der Kläger bezeichnet. Ferner wird behauptet, in der gut 200 Seiten starken Klagebegründung der IPPNW würden nur wenige Thesen beständig wiederholt. Dies versucht das Ministerium unter anderem dadurch zu belegen, dass zwei längere Zitate aus der Klagebegründung im Schriftsatz an das Gericht jeweils doppelt zitiert werden. Insgesamt zielt der Text vornehmlich darauf ab, die Klagebegründung zu diskreditieren und das Gericht zu täuschen. Werden die Kasseler Richter das hinnehmen? Mit Stil und Inhalt der Klageerwiderung hat sich das hessische Umweltministerium jedenfalls nach Auffassung der IPPNW als ernstzunehmende Partei in diesem Rechtsstreit disqualifiziert.


Die Glaubwürdigkeit der Behörde

In diesem Zusammenhang sei an die Reaktion des Ministeriums vom September 2007 erinnert, als ein in Biblis eingesetzter Elektromonteur über fehlerhafte Arbeiten an Sicherheitssystemen berichtet hatte. Damals waren alle Vorwürfe bestritten worden, inzwischen sind sie teilweise gutachterlich bewiesen. Geradezu peinlich ist eine behörden-interne Email vom 13. Juni 2006, aus der hervorgeht, dass die restriktive Akteneinsichtnahme und die Verweigerung eines sachlichen Dialogs "Herrn Paulitz bzw. die Vertreter von IPPNW" daran hindern sollten, ihren Stilllegungs-Antrag "besser zu begründen". Hier stellt sich die Frage: Welche Glaubwürdigkeit hat eine Behörde, die zu solchen Methoden greift, noch vor Gericht?

Die IPPNW hofft jetzt auf einen Durchbruch. Zu sehr hat sich das hessische Umweltministerium ins Aus begeben. Längst ist klar: Wenn vor Gericht nach rein rechtlichen Kriterien entschieden wird, dann muss die Betriebsgenehmigung von Biblis B widerrufen werden.


Henrik Paulitz ist Referent für Atomenergie und Energiewende im IPPNW-Energiebüro Brüssel.


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Quelle:
IPPNWforum | 120 | 09, Dezember 2009, S. 13
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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IPPNWforum
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2010