Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → FAKTEN


FRAGEN/010: ... weil ihr uns die Zukunft klaut! (Gorleben Rundschau)


Gorleben Rundschau IV-VI/2019 - 42. Jahrgang, Ausgabe 1070
Wir sind die Wenden: Energie · Klima · Mobilität · Gesellschaft

... weil ihr uns die Zukunft klaut!

Gespräch Andreas Conradt mit Nikolas Peschel


Generationskonflikt
Dass die Schüler/-innen-Demos der letzten Monate nicht ohne Kritik blieben, war abzusehen. Prominenteste Beispiele: Christian Lindner (FDP) und Peter Altmaier (CDU). Doch kaum hatte sich "Fridays for Future" halbwegs etabliert und in den Köpfen der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit festgesetzt, gab es auch Ermunterungen von allen Seiten: APO-Opas, die Kanzlerin, der Bundespräsident und noch viele weitere nördlich des zwanzigsten Lebensjahres fühlten sich berufen, die Kids zu loben oder gar an ihren Demos teilzunehmen. Ist das nun gut oder schlecht, fragt Gorleben-Aktivist Andreas Conradt (54) seinen Sohn Nikolas Peschel (19).


Gibt es die oben erwähnten älteren Teilnehmer/-innen bei den "Fridays for Furure"-Demos wirklich?

Nikolas Peschel: Ja die gibt es. Nach meiner Beobachtung sind es eher Linke und Grüne, eben die, die schon früher auf Demos unterwegs waren. Konservative ältere Menschen beteiligen sich eher nicht. Es handelt sich buchstäblich um Großeltern, die durch ihre Enkel/-innen mit der Thematik verbunden sind. Es sind aber auch Leute dabei, die in jüngeren Jahren selbst versucht haben, die Welt zu verändern, und jetzt von sich selbst und vom Lauf der Dinge enttäuscht sind. Die sind froh, dass ihre Thematik mit "Fridays for Future" (FFF) neuen Schwung bekommt.

Welche Gründe gibt es für die Älteren, aktiv mitmischen zu wollen?

Nikolas: Viele sind zwar parteipolitisch engagiert, aber sie haben erfahren müssen, dass auf der Straße gerade nichts geht. Und weil sie die Anliegen von uns Jüngeren teilen, sehen sie bei FFF eine Möglichkeit, wieder aktiv zu demonstrieren. Viele Themen von heute waren ja auch schon vor dreißig Jahren im Gespräch, Luftverschmutzung durch Autos zum Beispiel. Anfang der Neunziger hat man daher den Dieselmotor gepusht und den Kat eingeführt. Der Nachhaltigkeitsgedanke war also schon früher da, geändert hat sich trotzdem wenig. Vielleicht sehen die Älteren jetzt die Chance, an "ihrem" Thema weiterzuarbeiten.

Wie bewertest Du die Teilnahme der Älteren an den Jugenddemos?

Nikolas: Ich finde das zweischneidig. Im Grunde ist die Durchmischung eine gute Sache, aber ich habe den Eindruck, dass wir Jungen aufpassen müssen, dass die Alten nicht den Stil der Proteste bestimmen und das Thema komplett an sich reißen. Anders als frühere Generationen, sind wir heute äußerlich viel unauffälliger, viel schwerer durch unser jeweiliges Auftreten in bestimmten Gruppen zu verorten. Es gibt auch nur noch selten Rebellion gegen das Elternhaus, und irgendwie sind wir bürgerlicher als unsere Eltern. Zudem tun wir uns heute viel schwerer, unser Leben zu ändern, als das früher der Fall war. Man hielt meine Generation darum lange für vollkommen unpolitisch.

Gibt es diese Tendenz des An-sich-Reißens der Älteren?

Nikolas: Noch nicht, nein, aber die Gefahr wächst, je größer die Bewegung wird - irgendwann wird jeder behaupten wollen, dabei gewesen zu sein. Selbst die, die uns heute noch belächeln.

Oder es kommen lobende Worte von hochrangigen Politikern. Die Bundeskanzlerin und der Papst ...

Nikolas: ... oh, das finde ich so bigott! Besonders von Frau Merkel und der CDU. Ihr Lob ist, fürchte ich, strategisch. Sie hat diesen Titel der "Klimakanzlerin" völlig zu Unrecht. Im Ernst: Wir durchschauen sehr genau, wer uns da gerade aus welchen Gründen "lobt".

Nämlich?

Nikolas: Wer Politik betreibt, die den Zielen von FFF diametral entgegenläuft, dann aber die Demos lobt - das hat ja schon faustische Züge! Damit sollen strategische Ziele erreicht werden, sonst gar nichts. Auch wenn's schwer fällt, das zu sagen: Da finde ich die Ablehnung unserer Demos durch Lindner und selbst die Klimaleugner der AfD ehrlicher.

Christian Lindner von der FDP? Der gesagt hat, der Klimawandel sei "eine Sache für Profis", nicht für Schüler/-innen?

Nikolas: Das hat meine Generation schon sehr aufgeregt! Ein unangebrachter, nicht zielführender Satz, vor allem vor dem Hintergrund, dass die FDP ja verstärkt um junge Leute wirbt. Hinter der gelb-lila Fassade der FDP steckt immer noch der verstaubte Liberalismus nach Bonner Art. Keine Spur von Innovation!

Es gibt - auch das von Älteren - die Aussage, FFF sei eine neue Jugendbewegung. Was ist da dran?

Nikolas: Es gibt tatsächlich eine Neubewertung der Jugend. Sie wird seit ein paar Monaten aktivistischer und politischer eingeschätzt. Trotzdem würde ich das noch nicht mal als Massenbewegung bezeichnen. Es wird soviel darüber gesprochen, weil FFF zurzeit die einzige Jugendbewegung ist, aber weitgehend ohne geschlossenen ideologischen Unterbau. Es gibt ja nur noch wenig bis gar keine Punks, Hippies, Mods, alle reden von FFF. Darunter vereinen sich dann für diesen einen Zweck konservative Schüler/-innen, typische Linke, Mitläufer/-innen, aber klassische Subkulturen gibt es kaum. Ich würde daher eher von einer Sammelbewegung sprechen.

Zurück zu den älteren Demonstranten bei den FFF-Demos: Wäre eine Zusammenarbeit der Alten und Jungen zum Wohle der Bewegung denkbar?

Nikolas: Ich sehe im Moment keinen öffentlichen Austausch der Generationen. Wozu auch: Man sieht ja den Erfolg der Bewegung - wo brauchen wir denn bitteschön Unterstützung? Ehrlich gesagt ist der Abstand zwischen uns Millenials und unserer Elterngeneration sogar größer als der zwischen uns und unseren Großeltern. Die ganz Alten haben ein Deutschland mit rechtem Gedankengut erlebt - und das erleben wir jetzt wieder. In der Welt unserer Eltern spielte das kaum eine Rolle. Die ganz Alten haben 1945 die Unsicherheit einer Stunde Null erlebt - und auch wir fühlen uns durch die Klimakrise am Beginn einer neuen Zeitrechnung. Dagegen waren unsere Eltern verwöhnt durch eine relativ ruhige Zeit - jedenfalls was die persönliche Bedrohung betraf. Wir müssen jetzt zusehen, die Fehler zu vermeiden, die trotzdem gemacht wurden.

Jetzt mal konkret: Wie lautet der Vorwurf, den die Jugend der älteren Generation macht?

Nikolas: Sie zähmt die Mittel nicht, mit denen unsere Zukunft zerstört wird: Wirtschaftssystem, Freier Markt und Industrie. Und das ist jetzt nötig. Irgendwann haben wir nämlich nicht mehr die Wahl, die Wahl zu haben!


Autor Andreas Conradt mit seinem Sohn Nikolas Peschel während dessen Dienst in der Seemannsmission in Mäntyluoto in Finnland. Nikolas engagiert sich in der "Sozialistischen Jugend Deutschlands - Die Falken" und bei der Partei Die Linke.

*

Quelle:
Gorleben Rundschau - April-Juni 2019, Seite 16 - 17
Lizenz: CC BY NC SA
Die Gorleben Rundschau it ein kostenloses Informationsblatt der
Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.
Rosenstr. 20, 29439 Lüchow
E-Mail: redaktion@gorleben-rundschau.de
Internet: www.gorleben-rundschau.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang