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POLITIK/1126: Rede von Barbara Hendricks vor dem Deutschen Bundestag zu den Unwettern in Deutschland (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Deutscher Bundestag

BPA Bulletin - 8. Juni 2016

Rede der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr. Barbara Hendricks, in der Aktuellen Stunde zu den Unwettern in Deutschland vor dem Deutschen Bundestag am 8. Juni 2016 in Berlin:


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir sind in den vergangenen Tagen Zeugen verheerender Unwetter geworden. Gestern Abend erst erreichten uns Nachrichten von einem Tornado in Hamburg und von schweren Unwettern in Nordrhein-Westfalen. Insgesamt am härtesten wurden Süddeutschland und Südwestdeutschland getroffen. Dort sind insgesamt elf Tote zu beklagen, ebenso erheblicher Sachschaden. Wir denken an die Toten, deren Leben mit den Fluten fortgerissen wurde, darunter ein Feuerwehrmann aus Schwäbisch Gmünd, der starb, als er Leben retten wollte. Unser Mitgefühl - ich denke, das sage ich im Namen aller Kolleginnen und Kollegen - gilt den Angehörigen der Todesopfer. Wir denken auch an die vielen Menschen, deren Hab und Gut vernichtet wurde, die in diesen Tagen mühsam versuchen, zu retten, was zu retten ist, und die erst langsam wieder in den Alltag zurückfinden werden. Wir wünschen Ihnen dabei viel Kraft!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt aber auch Dinge, die Mut machen: Die Menschen in unserem Land stehen zusammen, sie helfen, wenn andere Menschen Hilfe brauchen. Unser Dank gilt ganz besonders den Rettungskräften, der Feuerwehr, den Angehörigen der Hilfsorganisationen und des Technischen Hilfswerks, von denen ja sehr viele ehrenamtlich im Einsatz sind. Wir danken der Polizei, der Bundeswehr und den Menschen, die sich einfach eine Schaufel genommen haben, um mitzuhelfen. Ich selbst bin auch gerne bereit, die betroffenen Gemeinden im Rahmen von Stadtentwicklungsprogrammen beim Wiederaufbau zu unterstützen und auch dabei, Maßnahmen zu ergreifen, durch die solche erneuten verheerenden Schäden vermieden oder eingegrenzt werden können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach den großen Flusshochwassern 2013 stand der Hochwasserschutz an den großen Flüssen im Vordergrund unserer Arbeit. Gemeinsam mit den Ländern hat der Bund ein Nationales Hochwasserschutzprogramm beschlossen. Wir werden in den kommenden Jahren - wir haben damit im vergangenen Jahr begonnen - Auen renaturieren, Deiche zurückverlegen und zusätzliche Flutpolder schaffen. Wir werden den Flüssen im Rahmen des Nationalen Hochwasserschutzprogramms mehr als 20.000 Hektar zusätzlichen Raum geben.

Das Hochwasserschutzgesetz II befindet sich gerade in der Ressortabstimmung. Wir wollen in Zukunft gezielt dort ansetzen, wo das Hochwasser entsteht, zum Beispiel in den Mittelgebirgen und Hügellandschaften, wo bei Starkregen schnell viel Wasser in tiefer gelegene Gebiete fließt. Wir wollen die Wasserversickerungs- und die Wasserrückhaltefähigkeit dieser Gebiete erhalten und verbessern, damit weniger Wasser in die Flüsse kommt.

Die Katastrophen der vergangenen Woche machen aber einmal mehr deutlich, dass auch fernab der großen Flüsse die Gefahr von Überflutungen besteht. Die Ursache waren räumlich eng begrenzte, äußerst starke Regenfälle, die sich plötzlich entluden, während einige Kilometer weiter die Sonne schien. In Simbach rollte eine fast fünf Meter hohe Flutwelle durch den Ort. Das kleine Flüsschen Issel, das in Hamminkeln sonst rund 70 Zentimeter tief ist, war zwischenzeitlich zu einem Fluss von über zwei Metern Tiefe geworden.

Starkregenereignisse, die lokal zu massiven Zerstörungen führen, sind schon lange keine Einzelfälle mehr. In den vergangenen Tagen haben sie fast gleichzeitig an verschiedenen Orten in weiten Teilen des Landes stattgefunden. Welche Schlussfolgerungen ziehen wir daraus? Nicht jedes Wetterereignis ist ein Anzeichen für den Klimawandel. Fest steht aber: Durch den Klimawandel häufen sich diese Ereignisse. Acht der zehn wärmsten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen liegen in diesem Jahrtausend. Mit immer neuen Temperaturrekorden erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit für Wetterlagen, die Extremereignisse begünstigen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben uns in der Staatengemeinschaft darauf verständigt, den Klimawandel auf unter zwei Grad oder möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Aber auch damit wird sich unser Klima verändern; es hat sich ja schon verändert. Neben dem Klimaschutz muss die Anpassung an den Klimawandel einen höheren Stellenwert bekommen. Dazu gehört zuallererst der bessere Schutz der Bevölkerung und wichtiger Infrastrukturen. Mein Parlamentarischer Staatssekretär Florian Pronold hat den Umweltausschuss in der vergangenen Woche über den Fortschrittsbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie informiert; wir haben ja eine Anpassungsstrategie.

Wir werden die Kommunen stärker unterstützen, Wissen für Entscheidungsträger aufbereiten und Pilotprojekte starten. Das bedeutet zuallererst: Wir müssen nach Möglichkeiten suchen, solche Ereignisse besser vorhersagen zu können, zum Beispiel, indem wir Niederschlagsmessungen mit den Daten zum Abwassernetz oder zu besonders verwundbaren Gebieten abgleichen. Daran arbeiten wir gemeinsam mit dem Deutschen Wetterdienst. Wir brauchen außerdem bessere Warnsysteme und Notfallpläne. Oft entscheiden wenige Minuten darüber, ob Menschen sich rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Die Bundesländer haben in den vergangenen Jahren entlang der großen Flüsse ein Hochwassermanagement mit Risiko- und Gefahrenkarten erstellt. Die gemeinsamen Bemühungen von Bund und Ländern haben dort in den vergangenen Jahren zu großen Fortschritten geführt. Die aktuellen Ereignisse zeigen aber: Wir brauchen auch ein aktives Starkregenmanagement. Wir müssen Orte mit besonderem Risiko identifizieren, Vorsorge treffen und Notfallmaßnahmen ausarbeiten. Wir müssen außerdem gerade in gefährdeten Gebieten eine vorsorgende Raum- und Flächennutzung etablieren. Ich sage ganz klar: Gerade in verwundbaren Gebieten dürfen wir nicht immer weitere Flächen versiegeln. Je mehr wir asphaltieren, bebauen und bepflastern, desto größer werden die Wassermassen, die anschließend durch Flussbette und Abwasserrohre abtransportiert werden müssen. Wir müssen verstärkt Flüsse und Bäche renaturieren und immer dort, wo es möglich ist, die Versiegelung der Landschaft rückgängig machen.

Eine intensive Landwirtschaft, insbesondere der Maisanbau, ist bei Dauerregen im Frühsommer ein zusätzlicher Risikofaktor für Überflutungen. Um diese Jahreszeit haben zum Beispiel die Maisfelder noch viel unbedeckte Fläche; die jungen Pflanzen nehmen das Wasser kaum auf. Das führt zu einer verstärkten Erosion. Außerdem kann das weggeschwemmte Erdreich Bäche und Abflussrohre verstopfen. Dass der intensive Maisanbau insbesondere in hügeligen Lagen die Hochwassergefahr erhöhen kann, war dieser Tage noch von den Experten in den bayerischen Behörden bestätigt worden. Niederbayern ist übrigens das Zentrum des Maisanbaus in Bayern. Er umfasst stellenweise über ein Drittel des gesamten Agrarlandes in der Region. Gleichzeitig zählt das niederbayerische Rottal zu den vier Regionen Deutschlands, die am stärksten unter Erosion leiden. Ich bin sehr dafür, dass wir dringend zur guten fachlichen Praxis zurückkommen: Wiesen dort, wo sie hingehören, und Äcker dort, wo sie hingehören. Das ist eigentlich ziemlich einfach. Ministerpräsident Seehofer, den ich persönlich sehr mag, muss das den bayerischen Bauern auch sagen, wenn er sich für einen noch stärkeren Ausbau der Biomasse einsetzt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe es schon gesagt: Die Wetterereignisse häufen sich. Wir müssen feststellen, dass die Zeitspanne zwischen den sogenannten Jahrhundertunwettern immer kürzer wird. Wir sind die erste Generation, die den menschengemachten Klimawandel erlebt, und wir sind die letzte, die ihn auf ein beherrschbares Maß begrenzen kann. Wir sollten uns deshalb nicht die Frage stellen: "Was kostet uns der Klimaschutz?", sondern müssen uns die Frage stellen: Was kostet es, wenn wir nicht handeln?

Das gilt übrigens nicht nur für uns, sondern in verstärktem Maße für die Länder, die eine schlechte Infrastruktur, weniger stabile Häuser und praktisch keinen Katastrophenschutz haben. Wir haben also keine Alternative dazu, unsere Lebensweise an den schon stattfindenden Klimawandel anzupassen - auch in Deutschland; das gilt nicht nur für die Länder des Südens. Unsere Phantasie sollte sich nicht darin erschöpfen, Deiche zu erhöhen und größere Abwasserrohre zu verbauen. Die beste Katastrophenvorsorge sind angepasste Schutzmaßnahmen.

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Quelle:
Pressemitteilung, 08.06.2015
Herausgeber:
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2016

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