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MELDUNG/206: Konzernmacht über Saatgut - Nein danke! (VEN)


Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V. - 26. Juli 2013

Gemeinsame Erklärung zur Reform des EU-Saatgutrechts:

Konzernmacht über Saatgut - Nein danke!
EU-Gesetzesreform braucht eine radikale Richtungsänderung - das Menschenrecht auf vielfältiges Saatgut und Nahrung steht auf dem Spiel!



Saatgut ist eines der ältesten Kulturgüter der Menschheit. Seit tausenden von Jahren geben wir es von Generation zu Generation weiter, tauschen Samen, Edelreiser und das dazu gehörige Wissen, über viele Grenzen hinweg. Doch drei Viertel der Getreide- und Gemüsesorten, die unsere Großeltern noch kannten, sind der industriellen Landwirtschaft zum Opfer gefallen. Die Welternährungsorganisation spricht weltweit vom Sortenschwund von 75 Prozent in den letzten 100 Jahren, in der EU sind es sogar 90 Prozent. Auch Saatgutgesetze tragen dazu bei. Das ist eine bedrohliche Entwicklung, denn kaum je war die Sortenvielfalt so wichtig wie heute, in einer Zeit des Klimawandels und globaler Umweltveränderungen.

Inzwischen wird über die Hälfte des Saatgut-Weltmarkts von nur drei Konzernen kontrolliert, die auch immer direkter auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen. Frei vermehrbare - also samenfeste - Sorten wurden zumeist ersetzt durch solche, bei denen man das Saatgut nachkaufen muss (Hybridsaatgut). Das macht die Weltbevölkerung abhängig von wenigen Konzernen.

Anstatt diese Abhängigkeit anzugehen, hat die Europäische Kommission im Mai 2013 eine Gesetzesreform vorgeschlagen, die das Problem weiter zu verschärfen droht. Wir haben den Gesetzesvorschlag eingehend geprüft. Deshalb sind wir sehr besorgt: Nicht der freie Austausch von Saatgut, die Erhaltung und gemeinsame Fortentwicklung der Obst-, Gemüse- und Getreidesorten Europas stehen im Mittelpunkt, sondern deren Kontrolle durch Bürokratien und Unternehmen. Nicht der Respekt vor den vielfältigen Traditionen und dem Wissen der Bauern und Gärtnerinnen, Züchter und Wissenschaftlerinnen und ihre Förderung ist sein Gegenstand, sondern er ist gänzlich auf die Erfordernisse und Bedürfnisse der industriellen Erzeugung von hochgezüchtetem Saatgut und Pflanzgut und deren Vermarktung zugeschnitten.

Jetzt sind die Politiker in Europäischem Parlament und die Minister gefragt: Im Rat und Parlament muss dieser Vorschlag wesentlich geändert werden! Der Gesetzesvorschlag kommt den Saatgutkonzernen weit entgegen: sie brauchen ihm zufolge die neuen gentechnikähnlichen Züchtungsmethoden nicht zu kennzeichnen, sparen nationale Zulassungsverfahren - und mit der Erlangung eines Schutzrechtes über eine Sorte erhalten sie gleichzeitig auch die Marktzulassung. Die weltweite Durchsetzungsfähigkeit der europäischen Saatgutindustrie soll mit dem Reformvorschlag gesteigert werden - in Entwicklungsländern würde das zu Lasten einheimischer Saatgut-Produzenten und der bäuerlichen Bevölkerung gehen.

Alternative Saatgut-Erzeuger in der EU werden bis auf Widerruf mit Ausnahme-Regeln für Erhaltungssorten, "Nischenmaterial", Mikro-Unternehmen und Hobbygärtner abgespeist. Doch von derartigen Nischenregelungen sollte sich niemand über den Charakter des Gesetzes täuschen lassen, auch wenn die EU-Kommission diese Nischen als neue Chancen für die Vielfalt darstellt. Und außerdem: Wie diese Ausnahmen im Einzelnen aussehen, will die Kommission in etlichen Durchführungsbestimmungen regeln, die sie erst nach der Verabschiedung des Gesetzes ohne öffentliche Diskussion erlässt.

Das geht in die völlig falsche Richtung, denn immer mehr Menschen wollen wieder über den Anbau ihrer Nahrungsmittel soweit wie möglich selbst bestimmen, sie wollen weder Chemie noch Gentechnologien noch geistiges Eigentum auf dem Teller und dem Acker, sie wollen Bauernhöfe statt Agrarfabriken. Aber den Bauernhöfen würden mit der Verordnung neue Steine in den Weg gelegt. Der Geltungsbereich der Vorschriften wird sogar noch ausgedehnt, z.B. auf Saatgut, das Betriebe für den eigenen Bedarf oder für den Tausch erzeugen.

Ökozüchter möchten vermehrbare Sorten und robuste Obstsorten für den Bioanbau und Streuobstwiesenbewirtschafter anbieten, aber schon unter den derzeit geltenden Vorschriften wird das zunehmend schwieriger, und in den geplanten Regelungen werden die Forderungen der Öko-Züchter und Bio-Verbraucher, der Erhaltungsorganisationen und Vielfaltsgärtnerinnen, der Pomologen und Streuobst-Initiativen übergangen. Für sie wird nur eine Nischenregelung angeboten, bei der bisherige Bürokratie durch neue ersetzt wird. Hinzu kommen neue Kontrollen, begründet mit Pflanzengesundheit, so als ob Vielfaltssorten ein grundsätzliches Risiko für die EU darstellen. Dass die Kontrollen gebührenfrei sein sollen, macht sie nicht sinnvoller.

Wir protestieren gegen diese viel zu industriefreundlichen Gesetze. Wir fordern unsere Politikerinnen und Politiker auf, zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern - ob Bäuerinnen, Berufs- oder Hobbygärtner Unternehmerinnen, Wissenschaftler, Sortenerhalterinnen oder Saatgutvermehrer - den Umgang mit der gemeinsamen Grundlage von Ernährung, Geschmack und Gesundheit unserer und künftiger Generationen vielfaltsorientiert und unabhängig zu gestalten. Die Vielfalt der Pflanzensorten ist zu wichtig, als dass wir sie der den multinationalen Agrarchemiekonzernen und der staatlichen und europäischen Behörden überlassen könnten. Wir brauchen wieder mehr Alternativen zu Monsanto, Syngenta, Bayer, BASF, KWS und Co., damit wir selber bestimmen können, was auf unsere Teller kommt.

Deshalb protestieren wir. Und wir beteiligen uns: Mit frei vermehrbaren Sorten auf unseren Feldern, in unseren Gärten und Streuobstwiesen, mit unseren Kaufentscheidungen und unseren Wählerstimmen, mit Briefen an Abgeordnete und Regierungen, mit Äußerungen in der öffentlichen Debatte. Wir pflanzen und lassen wachsen und gedeihen; wir veredeln, vermehren, züchten, kaufen und verkaufen, tauschen, erhalten und teilen, was uns nährt, schmeckt und gefällt.

Wenn die EU wirklich Sortenvielfalt durch mehr Nutzung schützen, eine gesündere und sicherere Ernährung ermöglichen und die Landwirtschaft umweltgerechter gestalten möchte, dann müssen Rat und Parlament nun klare Zeichen setzen und den Gesetzesvorschlag für die Erzeugung und Vermarktung von Saat- und Pflanzgut von Grund auf neu ausrichten. So ist er verfehlt, wir lehnen ihn ab.


Unsere Forderungen sind:
  1. Der Anwendungsbereich der Gesetzgebung muss sich auf die Vermarktung von Saat- und Pflanzgut allein für den kommerziellen Anbaus und oberhalb bestimmter Mengen beschränken!
  2. Der Austausch von Saat- und Pflanzgut unter Bauern und Gärtnern muss frei bleiben. Er darf nicht von der Verordnung geregelt werden.
  3. Der Verkauf von Vielfaltssorten muss frei bleiben, er ist für deren Erhaltung und weitere Verbreitung noch wichtiger als der Tausch. Eine Registrierung aller Menschen und Organisationen, die Vielfaltssorten verkaufen, ist nicht angemessen, auch nicht aus Pflanzengesundheitsgründen, und darf nicht Vorschrift werden!
  4. Für die Vermarktung traditionell gezüchteter Sorten muss die amtliche Marktzulassung freiwillig sein, sofern darauf keine geistigen Eigentumsrechte (Sortenschutz oder Patente) beansprucht werden.
  5. Die Zulassungskriterien und Testverfahren amtlicher Marktzulassungen dürfen Sorten für den Ökolandbau nicht länger benachteiligen.
  6. Bei amtlich zugelassenen Sorten und Pflanzenmaterial ist Transparenz sicher zu stellen: sowohl über die erteilten geistigen Eigentumsrechte, als auch über verwendete Techniken wie Hybridzucht oder die neuen gentechnikähnlichen Züchtungsmethoden!

Veröffentlicht am 27. Juli 2013, unterzeichnet von:
  • Arche Noah, Bingenheimer Saatgut AG, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND),
  • Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Dachverband Kulturpflanzen- und Nutziervielfalt,
  • Dreschflegel e.V., Europäisches BürgerInnen-Forum, Kampagne für Saatgut-Souveränität,
  • Naturschutzbund Deutschland (NABU), Pomologen-Verein, Save Our Seeds, Slow Food Deutschland,
  • Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN), Zukunftsstiftung Landwirtschaft

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Quelle:
Pressemitteilung, 26.07.2013
Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt e.V.
Geschäftsstelle:
c/o Barbara Féret, Mondrianplatz 11, 36041 Fulda
E-Mail: geschaeftsstelle@nutzpflanzenvielfalt.de
Internet: www.nutzpflanzenvielfalt.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juli 2013