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BODEN/104: Wie Wurzeln ihre Umgebung verändern und was wir daraus lernen können (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter März 2010

Architekten im Untergrund

Wie Wurzeln ihre Umgebung verändern und was wir daraus lernen können.


Ohne Wasser keine Nahrung: Weltweit entfallen 70 bis 80 Prozent des gesamten Wasserkonsums auf die Landwirtschaft. Der größte Teil dieses Wassers wird von Pflanzen während des Wachstums verbraucht und schon heute werden 40 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion mit künstlicher Bewässerung erzeugt. Angesichts der weiter wachsenden Bevölkerung auf unserem Planeten und dem damit verbundenen steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln wird es in Zukunft immer wichtiger werden, wie viel Pflanzenmasse sich mit jedem Liter der begrenzten Ressource Wasser produzieren lässt. Unter den aktuellen Produktionsbedingungen werden 300 bis 700 Liter Wasser für jedes Kilogramm Pflanzenmasse benötigt, beim Reisanbau sind es sogar 1.000 bis 3.000 Liter pro Kilogramm. Diese Zahlen motivieren UFZ-Wissenschaftler der Hydrogeologie und der Bodenphysik, den Fragen nachzugehen: Wie sparsam gehen die Pflanzen selber mit dem Wasser um? Und wie effektiv holen sich die Pflanzen Wasser aus dem Boden?


Wissensstand bislang gering

Tatsächlich benötigen die Pflanzen für ihren eigenen Stoffwechsel und für die Aufrechterhaltung ihres Zelldruckes, den wir gerade beim knackigen Salat so schätzen, nur einen Bruchteil des Wassers, das im Laufe der Vegetationsperiode durch Boden, Wurzel und Spross in die Atmosphäre verdunstet. Bei Wasserknappheit steckt die Pflanze im Dilemma zwischen Verhungern und Verdursten: Schließt sie die Spaltöffnungen in den Blättern, kann sie damit die Wasserabgabe stark reduzieren. Gleichzeitig jedoch kommt die Aufnahme von Kohlendioxid, dem Baustein für Zucker, Proteine und Fette, auf denen alles Leben basiert, zum Erliegen. Die Regulation der Spaltöffnungen ist aber nur die eine Stellschraube am Übergang zur Atmosphäre. Die andere befindet sich am anderen Ende der Pflanzen: Im Kontaktbereich zwischen Wurzeln und Boden entscheidet sich, ob und wie effektiv das Bodenwasser in produktive Verdunstung an der Blattoberfläche (Transpiration) umgesetzt wird oder ob es durch eine völlig unproduktive Verdunstung direkt von der Bodenoberfläche (Evaporation) in die Atmosphäre verloren geht.

Da sich die Wurzeln im Boden verstecken und sich aufgrund ihrer filigranen Struktur auch kaum von diesem trennen lassen, ohne dabei geschädigt zu werden, ist der Wissensstand zur Wurzelwasseraufnahme ungleich geringer als der zur Wasserabgabe über die Spaltöffnungen. Wie ist die zeitliche Dynamik der Wurzelentwicklung vom Oberboden in den häufig über längere Zeiten feuchten Unterboden? Wie werden die Aufgaben innerhalb des Wurzelsystems zwischen jüngeren und älteren oder oberflächennahen und tiefer liegenden Wurzeln verteilt? Welchen Einfluss haben spezielle physiko-chemische Eigenschaften in unmittelbarer Umgebung der Wurzeln - der Rhizosphäre? Und wie unterscheiden sich verschiedene Pflanzenarten bei all diesen offenen Fragen? Ein weites Forschungsfeld, von dem sich die UFZ-Forscher wesentliche Erkenntnisse für eine bessere Ausnutzung von Wasser für die landwirtschaftliche Produktion erwarten.


Neue Methoden machen Boden durchschaubar

Seit kurzem ermöglichen nicht-invasive Methoden wie Röntgentomografie oder Neutronenradiografie die Beobachtung von Wurzeln und deren Verteilung in ihrer natürlichen Umgebung. Der Boden wird sozusagen transparent. Die Neutronenradiografie erlaubt gleichzeitig die kleinräumige Darstellung der Wasserverteilung und ihre Änderung mit der Zeit. Sie ist damit ein ideales Werkzeug, um Wasserflüsse im Umfeld von Pflanzenwurzeln zu untersuchen. Die ersten Experimente in diese Richtung lieferten prompt eine große Überraschung: Während die Pflanzen transpirieren, ist der Wassergehalt in der Rhizosphäre höher als im umliegenden Boden! Dies widerspricht eklatant dem seit W.R. Gardner 1960 akzeptierten Modell des "Verarmungstrichters". Es besagt, dass Wasserflüsse hin zur Wurzel nur "bergab" entlang von einem Gefälle im Wasserpotenzial stattfinden können und deshalb der Wassergehalt in Richtung Wurzeln abnehmen muss.


Selbsthilfe durch Veränderung des Bodens

Sollten sich Fehler in die Auswertung der gewonnenen Daten eingeschlichen haben? Die Suche blieb erfolglos: Pflanzen wie herkömmliche Lupinen blieben stur und widersetzten sich dem Postulat des Modells. Eine Literaturrecherche zeigte, dass bei Bakterien ähnliche Beobachtungen gemacht worden sind. Bakterien sind von extrazellulären Polymeren (EPS) umgeben, die sie vor Austrocknung, aber auch sehr rascher Wiederbefeuchtung schützen. EPS hat eine sehr hohe Wasserhaltekapazität; es kann 10.000mal mehr Wasser aufnehmen, als es seinem Trockengewicht entspricht. Außerdem weist EPS eine sehr langsame Wiederbefeuchtung auf, wenn es einmal ausgetrocknet ist. Wurzeln können im Bereich der Wurzelspitze ein so genanntes Mucigel produzieren, das chemisch dem bakteriellen EPS ähnelt. Da sich die Wurzelspitze im Boden voran schiebt, können Teile der dahinter liegenden Wurzel mit Mucigel bedeckt sein. Das liefert dann auch die gesuchte Erklärung. Der erste Teil von Gardners Annahme steht natürlich auf soliden physikalischen Füßen, der zweite Teil ist aber falsch. Denn die Bodeneigenschaften rund um die Wurzel werden durch das Mucigel so verändert, dass ein wesentlich höherer Wassergehalt trotz niedrigerem Wasserpotenzial gemessen wird.

In weiteren Experimenten wurden die trockenen Böden wieder bewässert und es kam erneut zu einem Verstoß gegen allgemeines, bodenphysikalisches Verständnis: Die unmittelbare Umgebung der Wurzeln blieb zunächst trockener. Die Überraschung darüber war jedoch bei weitem nicht mehr so groß, denn dieses Verhalten entspricht genau der gehemmten Wiederbenetzung von bakteriellem EPS. In Modellrechnungen konnten die UFZ-Wissenschaftler dieses Verhalten mittlerweile auch erfolgreich nachvollziehen.


Öfter wenig Wasser hält Verluste gering

Was bedeutet das nun für die Pflanzen? In den Bereichen mit Mucigel wird die Austrocknung verzögert, die Wasserleitfähigkeit bleibt dadurch hoch, der Wurzelabschnitt bei abnehmender Wasserverfügbarkeit bleibt länger funktionsfähig und die Wurzel kann sich das Wasser wesentlich leichter auch aus weiter entfernten Bereichen des Bodens holen. Andererseits führt die verzögerte Wiederbefeuchtung nach Bewässerung unter Umständen zu einer geringeren Wasserspeicherung im Wurzelraum und zu einem höheren Wasserverlust durch Versickerung. Und was bedeutet das für Bewässerungsstrategien? Häufige Bewässerung mit niedrigen Raten hält die Rhizosphäre feucht und funktionsfähig, seltene Bewässerung mit großen Mengen Wasser und langen Trockenphasen lässt dagegen deutlich höhere Wasserverluste erwarten. Das bessere Verständnis von Struktur und Funktion des Wurzelraumes kann dazu beitragen, den großen Wasserbedarf der Landwirtschaft zu optimieren. Die neuen nicht-invasiven Methoden lassen dabei noch weitere wertvolle Einsichten zur Arbeitsteilung innerhalb von Wurzelsystemen und zu ihrer Kommunikation mit dem Boden erwarten. Es bleibt also spannend.  Gundula Lasch

UFZ-Ansprechpartner:
Dr. Andrea Carminati
Dr. Ahmad Moradi
Dept. Hydrogelogie

Telefon: 0341/235-1996 oder 1982
e-mail: andrea.carminati@ufz.de
Dept. Bodenphysik
Telefon: 0345/558-5403
mehr Informationen:
Andrea Carminati et al.
Plant Soil DOI 10.1007/s11104-010-0283-8


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Neutronenradiografie erlaubt die kleinräumige Darstellung der Wasserverteilung im Umfeld von Pflanzenwurzeln: (1) Trockenperiode und (2) nach Bewässerung, gelb: 0-0,1 Vol.-%; dunkelblau: ca. 35 Vol.-% Wassergehalt. Die Messungen wurden am Paul Scherrer Institut (PSI), Schweiz, durchgeführt. (Aufnahme: Andrea Carminati/UFZ)


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Quelle:
UFZ-Newsletter März 2010, Seite 8-9
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2010