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ATOM/320: Berliner Experimentier-Reaktor - Ein Experiment mit der Sicherheit? (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 172 - Februar/März 2013
Die Berliner Umweltzeitung

ATOMKRAFT
Berliner Experimentier-Reaktor
Ein Experiment mit der Sicherheit ?

von Moritz Zackariat



Als der Forschungsreaktor Wannsee im März 2012 nach eineinhalb Jahren Umbau wieder hochgefahren wurde, waren nicht wenige Menschen überrascht. Mit seinen 39 Jahren Laufzeit ist der Reaktor nach dem heutigen Stand der Reaktorsicherheit eigentlich ein Auslaufmodell. Doch nach dem Stresstest, der vom TÜV Rheinland durchgeführt wurde, schienen alle Zweifel beseitigt. Da aber genau diese Institution auch an dem Genehmigungsverfahren der 10 Megawatt-Anlage beteiligt war, scheint deren Unabhängigkeit zumindest zweifelhaft. Kritik gibt es aus fast allen politischen Lagern. So sagte der Umweltpolitische Sprecher der SPD, Daniel Buchholz: "Es handelt sich um eine Sicherheitsprüfung nach Aktenlage, das reicht nicht aus." Die Prüfung wurde nur anhand der Genehmigungsunterlagen, sowie Unterlagen des Betreibers der Anlage, dem Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB), durchgeführt. Direkt vor Ort wurde nicht geprüft.

Flugsicherheit

Infolge der Sicherheitsdebatte wurde das Flugverbot rund um die Anlage ausgeweitet. Da es unbestritten ist, dass ein Flugzeugabsturz eine Kernschmelze mit unkalkulierbaren Folgen für die Zivilbevölkerung nach sich ziehen würde, wurde das "Flugbeschränkungsgebiet" auf einen Radius von 3,7 Kilometern ausgeweitet, dieses gilt allerdings nur unter einer Flughöhe von 670 Metern. Bündnis 90/DIE GRÜNEN halten dies für nicht ausreichend und fordern ein striktes Überflugverbot für den Reaktor, da eine Flugroute des Flughafens Schönefeld nicht weit entfernt ist. Zudem wird die unzureichende Aufklärung der Bürger kritisiert. Der Notfallplan sieht vor, dass die Feuerwehr und Taxifahrer in einem Umkreis von 4 Kilometern Jod-Tabletten vor die Haustüren legen. Dies ist bei einer Strahlenbelastung, die nur zehn Mal unter der bei der Katastrophe in Fukushimas freigesetzten liegt, auf keinen Fall ausreichend.

Der Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt des Berliner Abgeordnetenhauses, dem unter anderem Physiker Wolfgang Liebert angehört, bemängelte des Weiteren die fehlende meterdicke Stahlbetonummantelung sowie einen schützenden Sicherheitsbehälter. Dies sei nach Liebert ein Ausdruck struktureller Verantwortungslosigkeit. Und auch die alltägliche Strahlenbelastung wird vom Betreiber heruntergespielt. Die Öffentlichkeitsabteilung des Helmholtz-Zentrums publiziert die Aussage, dass die beim Betrieb entstehenden radioaktiven Stoffe durch eine Vielzahl von Vorsichtsmaßnahmen nicht außerhalb der Anlage gelangen können. Was selbst der "Informationskreis Kernenergie", eine PR-Agentur der Stromkonzerne, widerlegt. Sie behauptet, es sei nicht zu gewährleisten, dass alle Hüllen der Brennelemente 100-prozentig dicht seien.

Weitere Gefahren

Die in dem Reaktor produzierten Neutronen-Ströme, die für die Forschung extra stark sind, beschleunigen die natürliche Abnutzung der Anlage. Die Materialien werden spröde und rissig und können ohne Vorwarnung brechen. Aus diesem Grund musste der Betreiber bei den Umbauarbeiten auch mehr Teile austauschen als geplant, und die Wiedereröffnung wurde um mehrere Monate nach hinten verschoben. Zudem sind die nuklearen Emissionen in der Abluft des Forschungsreaktors teilweise höher als in den großen Atomkraftwerken. So sind die Anwohner einem erhöhten Krebsrisiko ausgesetzt. Der Physiker und Präsident der Strahlenschutzgesellschaft, Sebastian Pflugbeil, bestätigte im Mai 2012 dem Gesundheitsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses, dass selbst die Dauerniedrigstrahlung der Anlage zu Gesundheitsschäden führen kann, auch wenn sie unterhalb der Grenzwerte der Strahlenschutzverordnung liegt. Das offenbart ein grundlegendes Problem. Wie schützt eine Strahlenschutzverordnung die Bürger, wenn diese zu hoch angesetzt ist? Konsequenzen aus der Kritik zogen Senat und Betreiber nicht.

Da passt es ins Bild, dass wegen der immer noch offenen Frage der Entsorgung von radioaktivem Müll, die Lagerkapazitäten für den durch die Forschung anfallenden Abfall eng werden. In der offiziell genannten "Ausgangshalle" stapeln sich auf 320 Quadratmetern 25 große, gelbe Endlagercontainer und zahlreiche Fässer auf Hochregalen. Der "Ausgang" in dem Namen erklärt sich dadurch, dass der Müll eigentlich auf den Abtransport in den Schacht Konrad wartet. Doch dessen Fertigstellung ist noch gar nicht absehbar. Die Kapazitäten der Halle sind nach Betreiberangaben schon zu 81 Prozent ausgelastet, und so lange es kein Endlager gibt, wird sie immer voller. Denn abgesehen von dem Müll aus dem Forschungsreaktor Wannsee wird auch der anfallende schwach- und mittelradioaktive Müll der Hauptstadt in der Halle gelagert. Die Zeit wird also knapp, und dieses Problem ist weder neu noch regional, sondern betrifft bundesweit alle Atomanlagen.

Weitere Informationen:
www.sopos.org
www.tagesspiegel.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Der aktive Widerstand lebt
- Der Betreiber des Experimentier-Reaktors

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 172 - Februar/März 2013, Seite 7
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2013