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GEFAHR/024: Brandsatz Fukushima - wer einmal lügt ... (SB)


Tepco meldet Erdbebenschaden erst, nachdem sich die Wogen wieder geglättet haben

Grafische Darstellung der Strahlenausbreitung von Fukushima im gesamten Pazifischen Ozean, hinterlegt mit dem Symbol für Radioaktivität und der Überschrift: 'Noch 10 Jahre?' - Grafik: © 2013 by Schattenblick

Brandsatz Fukushima
Grafik: © 2013 by Schattenblick

Der Countdown für die Olympischen Sommerspiele 2020 läuft, und die Einwohner Japans legen vertrauensvoll ihre Gesundheit und die ihrer Kinder in die Hände der Regierung und des Unternehmens Tepco. Dort sorgt man sich darum, haben diese doch erklärt, daß die Lage im havarierten Atomkraftwerk Fukushima Daiichi unter Kontrolle ist.

Das übrige, das in keinen Berichten auftaucht, soll offenbar niemanden kümmern. So hat es Tepco nicht eigens erwähnt, daß am 22. November 2016 nach dem Erdbeben der Stärke 7,4 vor der japanischen Ostküste das außer Betrieb genommene Akw Fukushima Daini (nicht zu verwechseln mit dem zwölf Kilometer weiter nördlich gelegenen, havarierten Akw Fukushima Daiichi) so sehr geschüttelt wurde, daß in drei von vier Meilern hochradioaktives Wasser aus den Abklingbecken für Brennelemente übergeschwappt ist und sich an elf verschiedenen Stellen Wasserlachen mit einem Gesamtvolumen von mehr als zwei Dutzend 20-Liter-Eimern gebildet haben. Über diesen Vorfall hat Tepco erst zwei Tage später berichtet, als sich die Menschen schon wieder beruhigt und anderen Themen zugewandt hatten.

Noch am Tag des Bebens trat Naohiro Masuda, Präsident der Fukushima Daiichi Decontamination & Decommissioning Engineering Co., im Hauptgebäude Tepcos in Tokio vor die Presse und erklärte, daß durch das Erdbeben wahrscheinlich kein radioaktives Wasser aus dem Akw ausgelaufen ist. [1] Es sei lediglich zu einem automatischen Abschalten eines Kühlsystems für den Meiler 3 des Akw Fukushima Daini gekommen. Später wurde die Anlage wieder in Betrieb genommen.

Zwei Tage darauf antwortete Tepco auf die Frage, warum es erst so spät über das Entstehen von Wasserlachen berichtet hat, daß der Zustand des AKW Fukushima Daini kein Thema der Berichte gewesen sei. [2]

Nach dieser Logik kann man zuversichtlich sein, daß sich Publikum, Athleten, Betreuer und Funktionäre auf eines werden verlassen können, wenn in drei Jahren die Olympischen Spiele in Japan eröffnet und die Vorrundenwettkämpfe für Baseball auch in der Präfektur Fukushima ausgetragen werden: Die sportliche Stimmung, das Wetteifern unter sogenannten fairen Bedingungen, der Voyeursgenuß der Momente des Scheiterns und der Tragik verletzungsbedingter Ausfälle wird nicht durch schwarzmalerische Berichte über die permanente radioaktive Kontamination des Pazifischen Ozeans aufgrund verstrahlten Grundwassers verdorben. Es werden wahrscheinlich auch keine offiziellen Berichte über die Strahlenbelastung der Wälder, Wiesen und Weiden, die unkontrollierbare Verfrachtung von Radionukliden per Wind, Regen oder Schnee und die Akkumulation von Strahlenpartikeln in Autowaschsalons, Dachrinnen, Kläranlagen, etc. verbreitet.

Wer sich Sorgen macht, wie es überhaupt sein kann, daß Abklingbecken für heiße Brennelemente bei Erdbeben überschwappen können, wo doch ein Freilegen der Brennelemente - und somit eine Kühlunterbrechung - zu einem Brand, wenn nicht Schlimmerem führen kann, soll womöglich mit dem Argument beruhigt werden, daß das Erdbeben vom 11. März 2011 einzigartig war und sowieso niemand mit einem so hohen Tsunami gerechnet hat. Mit einer Stärke von 9,0 war das Beben damals rund 1000mal so energiereich wie das Beben vom 22. November dieses Jahres.

Eine Wiederholung der Nuklearkatastrophe von vor fünf Jahren gilt unter Experten wie dem japanischen Premierminister und ausgebildeten Politikwissenschaftler Shinzo Abe als höchst unwahrscheinlich. Er ist von der Nützlichkeit der Atomenergie überzeugt und will bis zu 30 der ursprünglich landesweit 54 Meiler, die aufgrund der Fukushima-Katastrophe abgeschaltet worden waren, wieder ans Netz nehmen. Welche Rolle dabei der Wunsch des national-konservativen Führers der LDP (Liberaldemokratische Partei) nach einer Rückkehr Japans zu militärischer Stärke spielt, wird sich herausstellen. Abe ist vieles zuzutrauen. Damit alle Journalistinnen und Journalisten nicht vergessen, wer in dem Land der aufgehenden Sonne das Sagen hat, wurde vor einigen Jahren ein "Maulkorbgesetz" erlassen, das Geheimnisverrat mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft. Was aber ein nationales Geheimnis ist, wird sich erst herausstellen, wenn die "Straftat" begangen wurde. Wundert sich da noch jemand, daß die Mainstreammedien Japans so gut wie keine atomkritische Berichterstattung leisten?


Fußnoten:

[1] http://www.asahi.com/ajw/articles/AJ201611220063.html

[2] http://www.spreadnews.de/fukushima-aktuell-tepco-verschwieg-wasserlecks-zwei-tage-lang/1151318/

28. November 2016


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