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ATOM/1299: Ahauser Erklärung (Strahlentelex)


Strahlentelex mit ElektrosmogReport
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Nr. 760-763 / 32. Jahrgang, 4. Oktober 2018 - ISSN 0931-4288

Atommüll
Ahauser Erklärung


Kampagne gegen drohende Atommüll-Transporte und die schleichende Umwandlung des Ahauser Atommüll-Zwischenlagers in ein Dauerlager

Mit einer "Ahauser Erklärung" hat die Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus" eine neue Kampagne gegen drohende Atommüll-Transporte und die schleichende Umwandlung des Ahauser Atommüll-Zwischenlagers in ein Dauerlager gestartet. Unterschriften unter die Erklärung werden nicht nur von Einzelpersonen gesammelt (www.ahauser-erklaerung.de), sondern auch Firmen, Vereine, Verbände und Parteien sollen für eine Unterstützung gewonnen werden.

Die Ahauser Misere

Zum Hintergrund: In Ahaus existiert seit 1990 ein Atommüll-Lager, das "Transportbehälterlager Ahaus" (TBL-A). Dort lagert in der östlichen Hälfte des Gebäudes hochradioaktiver Müll in Form von bestrahlten Brennelementen aus verschiedenen Atomreaktortypen (siehe Kasten 1), in der westlichen Hälfte sogenannter schwach- bis mittelradioaktiver Müll unterschiedlicher Herkunft (SM-Abfall).

(Kasten 1)

305 CASTOR THTR/AVR-Behälter mit ca. 600.000 Kugel-Brennelementen aus Hamm-Uentrop

3 CASTOR V 52 und 3 CASTOR V 19 mit Brennelementen (BE) aus den Leistungsreaktoren Gundremmingen und Neckarwestheim

18 CASTOR MTR-2 aus dem Forschungsreaktor Dresden/Rossendorf, beladen mit alten sowjetischen Brennelementen

Das TBL-A ist konzipiert als sogenanntes "Zwischenlager", in dem radioaktive Abfälle befristet aufbewahrt werden sollen. Das Lager wie auch die einzelnen CASTOR-Behälter für den hochradioaktiven Müll sind für einen Zeitraum von maximal 40 Jahren genehmigt. Diese Frist endet im Jahr 2036. Die Genehmigung für die Lagerung von schwach- und mittelaktivem Müll endet bereits im Jahr 2020.

Mit der Aufnahme dieses Mülls wurden der Ahauser Bevölkerung erhebliche Risiken auferlegt. Trotz Widerstands aus der Bevölkerung von Anfang an haben die politischen Gremien der Stadt diese Belastung in der Vergangenheit mehrheitlich akzeptiert, weil sie diese als einen Solidarbeitrag zur gesellschaftlichen Aufgabe der atomaren Entsorgung verstanden haben und ihnen darüber hinaus die zeitliche Begrenzung der "Zwischenlagerung" von den politische Verantwortlichen in Bund und Land NRW versprochen worden war.

Nun aber wird immer deutlicher, dass diese Versprechungen nicht eingehalten werden können:

Der schwach- und mittelradioaktive Müll sollte ab 2019 im Schacht Konrad in Niedersachsen endgelagert werden. Die Inbetriebnahme dieses Lagers, ursprünglich sogar schon für 2014 geplant, musste immer wieder verschoben werden. Aktuell ist sie für 2027 geplant, aber ob der Schacht Konrad dann oder überhaupt jemals in Betrieb geht, ist zumindest sehr fraglich. Deshalb haben die Betreiber des TBL-A im letzten Jahr den Antrag gestellt, die Lagerungsgenehmigung für den SM-Abfall komplett zu entfristen - was faktisch auf die Umwandlung des TBL-A in ein Atommüll-Endlager hinausläuft.

Es ist offenkundig, dass bis zum Jahr 2036 auch kein Endlager für hochradioaktiven Müll zur Verfügung stehen wird. Die optimistischsten Schätzungen erwarten eine Inbetriebnahme nach 2050. Aber selbst dann würde es Jahrzehnte dauern, bis der gesamte angefallene Müll dort eingelagert werden könnte. Bei einigen Politikern und den zuständigen Behörden (Bundesamt für Entsorgung, BfE) wird deshalb davon ausgegangen, dass die Nutzung der bestehenden Zwischenlager einfach um mehrere Jahrzehnte verlängert werden kann.

Dies ist aber generell nicht akzeptabel, und für Ahaus schon gar nicht:

"Die 40 Jahre waren eine Empfehlung der Politik, um den Standortgemeinden zu signalisieren, dass es sich um zeitlich begrenzte Zwischenlager und nicht um verkappte Endlager handelt. Die Reaktor-Sicherheits-Kommission (RSK) hat diese 40 Jahre aufgegriffen und wissenschaftlich bewertet. Kein Mitglied dieser Kommission hat damals für 60 Jahre unterschrieben! Wir haben keinerlei Erkenntnis, in welchem Zustand die Behälter in 30 Jahren sind." So Michael Sailer, RSK-Mitglied von 1990 bis 2014 und deren Leiter von 2002 bis 2006, am 2.6.2018 auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie Loccum.

Für längere Lagerzeiten weit über die genehmigten 40 Jahre hinaus müssen also neue Konzepte entwickelt werden. Mindestens aber müssen die Castor-Behälter geöffnet, ihr Inhalt kontrolliert und ggf. umgepackt werden. Dazu aber ist eine "Heiße Zelle" nötig, und deren Errichtung und Betrieb ist in Ahaus vertraglich ausgeschlossen.

Darüber hinaus sind die zentralen Zwischenlager in Ahaus und Gorleben im Vergleich zu den Zwischenlagern an den AKW-Standorten die ältesten und unsichersten (siehe Konzepterläuterungen in Kasten 2). Sie wären schon nach heutigem Stand nicht mehr genehmigungsfähig, geschweige denn nach 2036.

(Kasten 2)

Sicherheitskonzepte der Zwischenlager in Deutschland:

Basis für das Sicherheitskonzept der oberirdischen Trockenlagerung in Deutschland ist die Sicherheit der Transport- und Lagerbehälter. Sie sollen einen ausreichenden Schutz vor Störfällen und gegen alle Einwirkungen von außen gewährleisten.

Bei den norddeutschen Standort-Zwischenlagern nach dem STEAG-Konzept soll durch Seitenwände von 1,20 Meter und eine Deckenstärke von 1,30 Meter auch das Lagergebäude eine gewisse Schutzwirkung entfalten.

Die Lagerhallen der süddeutschen Zwischenlager nach dem WTI-Konzept (WTI = Wissenschaftlich-technische Ingenieurberatung) sollen dagegen lediglich einen Zugriff von außen erschweren. Eine weitere Barriere-Wirkung, z.B. einen Schutz gegen einen Flugzeugabsturz bieten sie nicht. Die Wände der Zwischenlager nach WTI-Konzept sind ca. 85 Zentimeter dick, die Decken ca. 55 Zentimeter.

Die Wände der zentralen Zwischenlager in Ahaus und Gorleben haben sogar nur eine Stärke von 50 Zentimetern im unteren und 20 Zentimetern im oberen Bereich, ihre Deckenstärke beträgt lediglich 20.

Zum Vergleich: Im niederländischen Zwischenlagerkonzept sind Wanddicken von 1,70 Meter umgesetzt.

Daran ändern auch die aktuellen "Härtungsmaßnahmen" nichts: Der Bau einer 10 Meter hohen Mauer kann den gezielten Absturz eines Flugkörpers nicht verhindern, zumal die dünnsten Stellen der Lagerhalle im oberen Wandbereich und in der Decke zu finden sind (nur 20 Zentimeter).

Abgesehen von dieser grundsätzlichen Problematik drohen nun auch kurzfristig zusätzliche Belastungen für Ahaus:

Aus dem Forschungszentrum Jülich (FZJ) sollen die gebrauchten Brennelemente des stillgelegten Versuchsreaktors AVR nach Ahaus gebracht werden. Die Stadt Ahaus und ein Bürger der Stadt haben dagegen Klage eingereicht, und das aus gutem Grund: Während des Betriebs des AVR haben zahlreiche gravierende Störfälle stattgefunden, die teilweise vertuscht worden sind. Der Zustand der Kugel-Brennelemente in den Castor-Behältern ist nicht ordnungsgemäß dokumentiert, so dass niemand genau weiß, was sich in den Behältern befindet. Behälter und Brennelemente sind so nicht endlagerfähig. Da in Ahaus keine Bearbeitung möglich ist, wären weitere Transporte zu einer anderen Einrichtung und von dort zu einem Endlager nötig. Sinnvoll und verantwortbar wäre daher, dass die Behälter in Jülich bleiben und sich die Wissenschaftler dort um ein Verfahren für eine entsprechende Konditionierung (das bis heute nicht existiert) bemühen. Aber das FZJ weigert sich, eine erdbebensichere Lagerhalle am Ort zu errichten und will stattdessen den von seinen Wissenschaftlern produzierten Müll einfach loswerden, weil die Lagerung von Atommüll vor Ort ihr Image als Wissenschaftsstandort gefährde. Wissenschaft, die für die Folgen ihres Tuns nicht geradestehen will, ist jedoch nicht verantwortbar.

Aus Garching bei München sollen die ausgedienten Brennelemente (BE) des Forschungsreaktors FRM II nach Ahaus gebracht werden, und das ist noch weniger akzeptabel: Entgegen internationaler Vereinbarungen, die schon seit Ende der 1970er Jahre existieren, wurde der FRM II bis heute mit hochangereichertem und damit waffenfähigem Uran betrieben. Auch die ausgedienten Brennelemente sind mit 87 Prozent [Uran-235 sehr hoch] angereichert (zum Vergleich: herkömmliche Brennelemente im Zwischenlager haben noch einen Anreicherungsgrad von 1 bis 2 Prozent). Der Inhalt eines Castor-Behälters mit diesen Brennelementen reicht aus, um fünf Atombomben vom Typ Hiroshima zu produzieren. Ahaus würde damit zu einem hochinteressanten Ziel für Terroristen unterschiedlichster Herkunft. Das Lager in Ahaus ist aber konzipiert für nuklearen Müll aus zivilen Atomanlagen. "Der physische Schutz von Zwischenlagern entspricht, nach aktuellem Kenntnisstand, dem Standard für die Lagerung von radioaktivem Abfall und nicht demjenigen für die Lagerung von Waffenmaterial", so ein Gutachten des Instituts für Sicherheits- und Risikowissenschaften (ISR) vom Dezember 2017, erstellt im Auftrag des Nationalen Begleitgremiums.

Wir sagen: es reicht!

Die Bürgerinitiative "Kein Atommüll in Ahaus" will deshalb nicht, dass die Ahauser Bevölkerung auf unübersehbare Zeit weiteren Risiken ausgesetzt wird, die auf verantwortungsloses Verhalten von Wissenschaftlern und Politikern zurückgehen. Sie fordert:

- Keine Verbringung der Brennelementbehälter mit unkalkulierbarem Inhalt aus Jülich nach Ahaus. Stattdessen Bau einer erdbebensicheren Lagerhalle in Jülich und Entwicklung von Konzepten zur endlagergerechten Verpackung dieser Brennelemente in Jülich.

- Keine Verbringung von atomwaffenfähigem Material aus Garching nach Ahaus. Stattdessen Lagerung und Entwicklung von Konzepten zur Abreicherung und endlagergerechten Verpackung in Garching.

- Keine Entfristung der Genehmigungsdauer für die Lagerung von schwach- und mittelaktivem Abfall in Ahaus.

- Keine weiteren Atommüll-Transporte mehr nach Ahaus, bei denen nicht gewährleistet ist, dass der eingelagerte Atommüll spätestens 2036 wieder abtransportiert werden kann.

- Schließung des Ahauser Brennelemente-Lagers spätestens im Jahr 2036. Sofortiger Beginn der Entwicklung von Konzepten für eine Langzeit-Zwischenlagerung von Atommüll nach 2036.

www.ahauser-erklaerung.de


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_18_760-763_S09-10.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, Oktober 2018, Seite 9 - 10
Herausgeber und Verlag:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2018

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