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ATOM/852: Schweiz diskutiert über Atomendlager, Baden-Württemberg muß sich einmischen (BUND)


Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) - Pressemitteilung vom 23. Juni 2010

Schweiz diskutiert über Atomendlager, Baden-Württemberg muß sich einmischen

BUND: Staatsvertrag muss Rechte und Pflichten regeln


Stuttgart. Die Schweiz sucht nach einem Standort für ein atomares Endlager und prüft zurzeit sechs Regionen. Vier von ihnen - Südranden, Zürcher Weinland, Nördlich Lägern und Bözberg - liegen im Grenzbereich zu Baden-Württemberg. Entscheiden sich die Schweizer für eines von ihnen, wären von den Risiken auf deutscher Seite vor allem die Bewohner der Landkreise Waldshut, Lörrach und Konstanz betroffen. "Die Schweiz ist sehr zurückhaltend, wenn es darum geht, die Betroffenheit der baden-württembergischen Bevölkerung anzuerkennen", kritisierte der Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Landesverband Baden-Württemberg, Berthold Frieß, "dies ist insbesondere angesichts der Planungen zum Neubau von Atomkraftwerken in der Schweiz bedenklich."

Die Eidgenossenschaft beteiligt nur die Gemeinden an dem Suchverfahren, die im Umkreis von fünf Kilometern der möglichen Standorte liegen. Diese Gemeinden können an Regionalkonferenzen teilnehmen. Der Atomenergie-Experte und Reaktor-Physiker Lüder Rosenhagen, der den BUND in der Begleitkommission Schweiz beim BMU vertritt, erklärte: "Das reicht angesichts der langfristigen Gefahren, die von einem solchen Endlager ausgehen können - wie etwa Aussickerungen in den Rhein -, nicht aus. Dazu kommt, dass noch niemand in den Regionalkonferenzen weiß, welchen Einfluss die Konferenzteilnehmer haben und ob die deutschen Mitglieder dort vergleichbare Rechte besitzen wie die Schweizer." Der Verband forderte auf seiner heutigen Pressekonferenz im Stuttgarter Landtag den Schweizer Bundesrat auf, den Umkreis der betroffenen Gemeinden auf 20 Kilometer nördlich des Rheins zu erweitern. "Die Schweiz muss diese Gemeinden genauso am Entscheidungsprozess beteiligen wie die Schweizer Kommunen", forderte der BUND-Landesgeschäftsführer.

Auch die Landesregierung stehe jetzt unter Zugzwang. Sie müsse die Interessen der Bevölkerung aktiv in den Gremien des Nachbarlandes vertreten - schließlich soll der Atommüll in dem Endlager für eine Million Jahre vergraben werden. Frieß: "Aber bisher stärkt Ministerpräsident Stefan Mappus nur den deutschen Atomkonzernen den Rücken und lässt die Menschen am Hochrhein und am Bodensee mit ihren berechtigten Ängsten - auch vor den Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Entwicklungen in den Tourismusgebieten - im Regen stehen." Der BUND-Landesgeschäftsführer forderte die Landesregierung auf, ihre abwartende Haltung aufzugeben und sich auf Bundesebene vehement für einen Staatsvertrag einzusetzen, der die Beteiligungsrechte und Verpflichtungen zwischen beiden Ländern regelt.

Ein solcher Kontrakt muss sicherstellen, dass die Schweizer Gremien ihre Arbeit transparent machen. Er muss die Beteiligungsrechte der deutschen Bevölkerung rechtsverbindlich festschreiben und gewährleisten, dass die eingelagerten Stoffe in vollem Umfang dokumentiert werden, dass geologische und technische Details des Lagers sowie Störungen und Entwicklungen während des Betriebs festgehalten werden. Der Vertrag muss garantieren, dass die Schweiz die Öffentlichkeit über Störungen rasch informiert. Nicht zuletzt muss er verbindlich die Pflichten der Schweiz für die gesamte Einlagerungs- und Betriebsdauer festlegen, wenn es zum Beispiel zu Leckagen in den Rhein oder anderen Schadensfällen kommt.

Die Endlagersuche in der Schweiz rückt das weltweit ungelöste Problem der Atommüllentsorgung wieder in den Mittelpunkt der politischen Diskussion - auch in Deutschland. Frieß: "Die Landesregierung kann nicht die Laufzeitverlängerung forcieren, den Bau Schweizer AKWs befürworten und sich gleichzeitig gegen eine ergebnisoffene Endlagersuche in Deutschland sperren." Alternative Standortvorschläge zu Gorleben die - auch in Süddeutschland - unabhängig geprüft werden müssen, sind nach Ansicht des BUND unbedingt nötig. Berthold Frieß erklärte: "Auch wenn es an dem Schweizer Verfahren manches auszusetzen gibt, für die Endlagersuche in Deutschland kann es vor allem im Hinblick auf die Offenheit und die wissenschaftliche Herangehensweise ein Vorbild sein."

Weitere Informationen: Ein Hintergrundpapier und Karten (Quelle: www.nagra.ch) finden Sie im Internet auf www.bund-bawue.de im Bereich Presse/Pressemitteilungen.

Raute

Hintergrund

Standortsuche für ein Atommüllendlager in der Schweiz - Beteiligung und Mitspracherecht Baden-Württembergs

In der Schweiz sind fünf Atomkraftwerke in Betrieb. Der dort entstandene und noch entstehende radioaktive Abfall muss so entsorgt werden, dass der dauerhafte Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist. Der Atommüll soll deshalb in einem geologischen Tiefenlager untergebracht werden. Seit rund 30 Jahren sucht die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) nach einem Endlagerstandort. Voruntersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass Opalinuston ein geeignetes Wirtsgestein für den strahlenden Müll sein könnte. Der Ton kommt in der Nordschweiz vor. Derzeit sucht die Eidgenossenschaft den bestmöglichen Standort für ein atomares Endlager. Im Gegensatz zu Deutschland hat sie hierfür ein ergebnisoffenes Verfahren gewählt und prüft mehrere Standorte auf ihre Eignung. Das Verfahren "Sachplan geologische Tiefenlager" ist in mehrere Schritte aufgeteilt. In der ersten Etappe, die gerade läuft, wurden die Standortregionen ausgewählt, die die geologischen Voraussetzung sowie Kriterien für Sicherheit und Machbarkeit erfüllen. Diese Auswahl soll Ende 2010 mit einer dreimonatigen Vernehmlassung und einem Bundesratsentscheid abgeschlossen werden. In der zweiten Etappe werden für hoch- bzw. schwach- bis mittelradioaktive Abfälle jeweils noch zwei Standorte benannt und deren Eignung geprüft. Dies umfasst sowohl die vertiefende geologische Prüfung als auch die sozialräumliche Analyse. Am Ende der zweiten Etappe sollen die zwei besten Standorte benannt werden. Die dritte Etappe ist für die vertiefende Untersuchung von in Etappe zwei festgelegten Standorten vorgesehen. Das gesamte Verfahren wird voraussichtlich bis 2018 dauern.

Standortregionen

Die zuständige Schweizer Genossenschaft Nagra hat 2008 das sogenannte Sachplanverfahren begonnen. Damit sollen insgesamt sechs mögliche Standortregionen untersucht werden. Vier dieser Gebiete (drei davon für hochaktive Abfälle) liegen im unmittelbaren Grenzbereich zu Deutschland, so dass Deutschland von diesem Verfahren direkt betroffen wird (vgl. Karten im Anhang). Deshalb fordern deutsche Kommunen, Landkreise und Organisationen wie der BUND von der Schweiz ein umfassendes Mitspracherecht bei der Standortauswahl.

Beteiligung der Nachbarstaaten

Bereits bei früheren Studien der Nagra hatten sich potenzielle Endlagergebiete nahe der Grenze zu Deutschland abgezeichnet. Vor diesem Hintergrund rief im September 2005 das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) die Begleitkommission Schweiz (BeKo-Schweiz) ins Leben. Sie bietet den betroffenen Gebietskörperschaften und interessierten Verbänden in Deutschland eine Plattform, um sich gegenseitig zu informieren und die verschiedenen Interessen abzustimmen. Der BUND Baden-Württemberg arbeitet von Beginn an in der BeKo-Schweiz mit. Auf Anfrage der BeKo-Schweiz hat das BMU im Juni 2006 die deutsche "Expertengruppe-Schweizer-Tiefenlager" (ESchT) einberufen. Sie soll Fragen des BMU und der deutschen Begleitkommission Schweiz (BeKo-Schweiz) zum Sachplan "Geologische Tiefenlager" der Schweiz beantworten sowie das Standortauswahlverfahren fachlich begleiten.

Beteiligung deutscher Gebietskörperschaften

Um die möglichen Standorte wurde ein sogenannter fiktiver Planungsperimeter (Planungsumfang) im Umkreis von 5 km gelegt. Die dadurch berührten drei deutschen Landkreise Waldshut, Lörrach und Konstanz sind als "Betroffene" anerkannt. Ebenso die Städte und Gemeinden, die in diesem Umkreis liegen. Am 28.05.2010 bestätigte die Schweiz folgende deutsche Gemeinden öffentlich als "betroffen":

Standorte
Betroffene Gemeinden
Südranden

Büsingen (Landkreis Konstanz), Dettighofen,
Jestetten, Klettgau, Lottstetten (Landkreis Waldshut)
Zürcher
Weinland
Büsingen, Gailingen (Landkreis Konstanz),
Jestetten, Lottstetten (Landkreis Waldshut)
Nördlich
Lägern
Dettighofen, Hohentengen, Klettgau, Küssaberg,
Lottstetten, Jestetten (alle Landkreis Waldshut)
Bözberg

Laufenburg, Murg, Albbruck, Bad Säckingen
(alle Landkreis Waldshut)

Diese Städte und Gemeinden sowie die dazugehörigen Landkreise haben die Möglichkeit, sich an dem Suchverfahren zu beteiligen. Völlig unklar ist jedoch, wie die Beteiligung konkret aussehen soll und welche Rechte den Deutschen zugestanden werden. Die deutsche Seite fordert, dass diese gleichberechtigt wie bei den schweizerischen Gemeinden erfolgen muss. Heftig kritisieren in Deutschland ESchT, BUND, Städte und Landkreise die für diese Auswahl festgelegten Kriterien für die "Betroffenheit", die sich auf einen geographischen Radius von 5 km um einen möglichen Standort begrenzen. Bei den Kriterien für mögliche "weitere Betroffenheit von Gemeinden" wurden nach Auffassung der Experten in der ESchT sozioökonomischen, raumplanungs- und umweltrelevanten Auswirkungen eines geologischen Tiefenlagers nur unzureichend berücksichtigt. Die Annerkennung der Betroffenheit ist entscheidend für die weiteren regionalen Partizipationsmöglichkeiten und Kompensationsberechtigungen im Verfahren. Deshalb muss von Schweizer Seite hier nachgebessert werden.

Partizipation und Transparenz

Die Schweiz eröffnet den verschiedenen Akteuren auf Bundes-, Landes- und insbesondere regionaler Ebene einige Beteiligungsmöglichkeiten. Damit legt sie einen Teil der Verantwortung für die tatsächliche Ausfüllung des Sachplanverfahrens in Bezug auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in die Verantwortung der Regionen. Dies erfordert ð wenn hierbei die Interessen der deutschen Bevölkerung wirksam vertreten werden sollen ð ein hohes Maß an Aufwand und professioneller Koordination für die Erarbeitung von Positionen und inhaltlichem Austausch. Bisher gibt es dazu von deutscher Seite keine klaren Regelungen. Diese sind dringend erforderlich, um von Beginn an im Sachplanverfahren die eigenen Interessen effektiv vertreten zu können.

Neben der formalen Partizipation ist die Transparenz des Verfahrens von höchster Bedeutung. Dies bedeutet auch, dass Protokolle der Gremiensitzungen öffentlich zugänglich gemacht werden müssen. Dies ist bisher oft nicht der Fall und z. B. auch nicht für die unten beschriebenen Regionalkonferenzen vorgesehen.

Auch in der Schweiz ist die Suche nach einem Endlager-Standort nicht unumstritten. Eine Volksabstimmung zur Atomenergie ist seit 2005 nur noch landesweit möglich. Damals verabschiedete der Schweizer Bundesrat mit bürgerlicher Mehrheit ein neues Kernenergiegesetz. Zuvor hatten die betroffenen Kantone diese Möglichkeit, was für die Akzeptanz eines Endlagerstandorts ein wichtiger Faktor wäre.

Regionalkonferenzen als Beteiligungsinstrument

Zeitgleich mit der Anerkennung einer Betroffenheit deutscher Gebietskörperschaften wurde der "Leitfaden Aufbau regionale Partizipation" durch das Schweizer Bundesamt für Energie (BfE) in Bern veröffentlicht. Darin ist vorgesehen, dass in jeder Standortregion je eine Regionalkonferenz gebildet werden soll. Diese haben die Aufgabe, das schweizerische Auswahlverfahren in den kommenden ca. 20 Jahre kritisch zu begleiten.

In diese Regionalkonferenzen sollen "... regionale Akteure (Bürger) aus Politik, Wirtschaft, Gewerbe, Interessen-Organisationen, Mandatierte für nicht-organisierte, schwach vertretene und langfristige Interessen..." berufen werden. Man rechnet mit einer Mitgliederzahl von ca. 120 bis 160 Personen pro Standortregion. Das BfE bestätigt, dass es für die deutschen Gemeinden kein Sondergremium geben wird, sondern dass diese sich an den Schweizer Regionalkonferenzen beteiligen können. Es ist jedoch noch nicht geklärt, welchen Einfluss dieses Gremium haben wird, und mit welchen Rechten die deutschen Vertreter darin ausgestattet sein werden.

Forderungen des BUND

Im Rahmen des Sachplan- und Standortfindungsverfahrens für ein Atommüllendlager in der Schweiz fordert der BUND Landesverband Baden-Württemberg gegenüber vom Schweizer Bundesrat:

eine deutliche Verbesserung der Organisation und Transparenz der schweizerischen Gremienarbeit, z. B. durch offizielle und öffentliche Protokolle
eine verbindliche Zusage der Schweizer Seite, dass die deutschen Bürgerinnen und Bürger über die gleichen rechtsverbindlichen Beteiligungsrechte verfügen wie die Schweizer. Hierzu bedarf es einer öffentlich-rechtlich-verbindlichen Vereinbarung die Ablehnung der in der Schweiz gestellten Anträge für den Bau neuer Atomkraftwerke sowie den Ausstieg aus der Atomenergie. Nur so kann der Atommüll begrenzt werden.
einen Staatsvertrag zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland.

Aufgrund der unvorstellbar langen Einlagerung von radioaktiven Stoffen müssen auf diesem Weg sämtliche Details für ein tatsächlich eingerichtetes Tiefenlager geregelt werden. Das heißt:

die voll umfänglich Dokumentation der eingelagerten Stoffe
das Festhalten aller geologischen und technischen Details bei der Errichtung des Tiefenlagers sowie von Störungen und Entwicklungen während der Betriebsdauer
die verbindliche Vereinbarung von Verpflichtungen der Schweiz bei möglicherweise eintretenden Schadensfällen (wie z.B. Leckagen in den Rhein) während der gesamten Einlagerungs- und Betriebsdauer, gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und deren Bürgerinnen und Bürgern. Dies muss über den gesamten Zeitraum ð also auch für die kommenden Generationen vereinbart werden.

An die Landesregierung hat der BUND im Zusammenhang mit dem Atomendlagersuchverfahren folgende Erwartungen:

Die Landesregierung muss in den Gremien der Schweizer Endlagersuche mitarbeiten und die Interessen der Bürgerinnen und Bürger aus Baden-Württemberg vertreten. Zugleich gilt es weitere deutsche Akteure wie Kommunen, Landkreise und Verbände in deren Mitarbeit zu unterstützen und eine regelmäßige ð über die bisherigen Treffen der BeKo-Schweiz hinausgehende ð Kommunikationsplattform für die Deutsche Seite zu etablieren. Hier bedarf es einer Koordinationsstelle mit ausreichender finanzieller Ausstattung.
Die Landesregierung muss die Öffentlichkeit über das Suchverfahren, das in unmittelbarer Grenznähe zu Baden-Württemberg stattfindet, umfassend und fortlaufend informieren.
Die Landesregierung muss sich auf Bundesebene für einen Staatsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz, der die Beteiligungsrechte und Verpflichtungen regelt, stark machen
Die Landesregierung muss sich für eine Laufzeitverkürzung der Atomkraftwerke einsetzen
Die Landesregierung darf sich nicht länger einer ergebnisoffenen Endlagersuche in Deutschland widersetzen. Stattdessen sollten alternative Standortvorschläge zu Gorleben - auch mit anderem Wirtsgestein und in Süddeutschland ð gemacht und unabhängig geprüft werden. Hier kann das Schweizer Verfahren Vorbildcharakter haben.

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Quelle:
BUND-Pressedienst, 23.06.2010
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2010