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TIERVERSUCH/486: Noch immer beständig - der Anstieg der Tierversuche (tierrechte)


tierrechte Nr. 54, November 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Tierversuchsstatistik 2009
Noch immer beständig: Der Anstieg der Tierversuche

Von Christiane Hohensee


Gespannt erwarten wir jedes Jahr die Veröffentlichung der Tierversuchszahlen in Deutschland durch das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Verbraucherschutz. Überrascht hat es uns nicht: Der Anstieg hat sich auch 2009 fortgesetzt. Im EU-Vergleich 2008 steht Deutschland sogar an dritter Stelle.


Insgesamt wurden 2.786.435 Tiere in Tierversuchen verbraucht und getötet. Das sind 93.945 oder 3,5 Prozent mehr Tiere als in 2008. Das zeigt: In den letzten 10 Jahren sind jährlich rund 100.000 Tiere mehr verwendet worden.


Hunderttausende Tiere mehr in der Gentechnik

Ein Anstieg ist vor allem bei gentechnisch veränderten Mäusen (111.147 Tiere mehr als 2008) und Ratten (29.732 Tiere mehr) zu verzeichnen. Dies kennzeichnet folgende Situation: In der Grundlagenforschung gibt es quasi null Ersatzverfahren und mit der Genausstattung eines Tieres wird viel geforscht. Erst vor Kurzem haben Wissenschaftler angekündigt, im Rahmen der Grundlagenforschung jedes Gen der Maus "ausknocken" zu wollen, um zu sehen, was passiert.


Anstieg in verschiedenen Einsatzgebieten

Zugenommen hat auch wegen ihrer physiologischen Nähe zum Menschen die Zahl der eingesetzten Schweine: um 639 auf insgesamt 13.741 in 2009. Der Bundesverband berichtete bereits mehrfach über den Einsatz von Schweinen, z. B. in der Transplantationsmedizin (siehe "Tier des Jahres 2010", tierrechte 1.10).

Ein hoher Anstieg ist zudem in ökotoxikologischen Versuchen mit Fischen zu verzeichnen. Hier sind es insbesondere Fragestellungen zur Vergiftung oder Verseuchung durch Pestizide und andere chemische Stoffen, die in Gewässer gelangen können. Dafür mussten 34.187 Fische mehr sterben als im Vorjahr, insgesamt 146.130 Fische.

Auch in der Aus-, Fort- und Weiterbildung sind die Tierzahlen gestiegen, von 51.890 auf 57.248 Tiere. Dies ist besonders bedauerlich, da beispielsweise der Einsatz von Tieren im Studium nicht vorgeschrieben ist und außerdem etliche tierversuchsfreie Methoden existieren, die alleine aus rechtlichen Gründen bevorzugt anzuwenden sind (siehe auch hier).

Ferner ist um knapp drei Prozent gestiegen: die Tötung von Tieren zu Zwecken der Entnahme von Organen oder Zellen, von 671.108 auf 690.847 Tiere. Vor allem Mäuse und Ratten werden häufig für Forschungen mit Zellkulturen verwendet. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen ist jedoch ähnlich fragwürdig wie beim Tierversuch (siehe auch hier).


Verschiebung bei Affenarten

Der Tierverbrauch der Affen ist differenziert zu betrachten. Zwar ist der Einsatz von Halbaffen mit 543 weniger Tieren scheinbar aufgegeben worden, hingegen bei Makaken um 474 Tiere gestiegen. Das sind vor allem Javaner- und Rhesusaffen, die durch Medienveröffentlichungen zur Hirnforschung bekannt geworden sind. Sie wurden überwiegend für Giftigkeits- und andere Sicherheitsprüfungen medizinischer Produkte und Geräte benutzt.


Rückgang bei Kaninchen, Meerschweinchen und Hunden

Die neuen Zahlen bergen aber auch positive Aspekte, z. B. haben sich Ersatzverfahren schon jetzt auf die Reduktion des Tierverbrauchs an Kaninchen ausgewirkt: Die Anzahl ist von 98.607 in 2008 auf 59.208 in 2009 gesunken, ein Rückgang um knapp 40.000 Kaninchen, was uns besonders erfreut. Für die bisher an Kaninchen durchgeführten Prüfungen von Substanzen oder Produkten auf hautschädigende oder fieberauslösende Eigenschaften (Pyrogentest) stehen inzwischen von der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) anerkannte Ersatzverfahren zur Verfügung. Auch ist der Verbrauch an Meerschweinchen gegenüber dem Vorjahr um 9.260 Tiere zurückgegangen. Ebenfalls mussten 618 Hunde weniger in den Versuch.


Deutschland an dritter Stelle in der EU

EU-weit sind 2008 knapp 12 Millionen Tiere eingesetzt und getötet worden. Gegenüber der letzten Statistik 2005 mit 12,1 Millionen Tieren ist das nur ein minimaler Rückgang. Frankreich, Großbritannien und Deutschland haben hier allein 55 Prozent der "Versuchstiere" verbraucht. Nun argumentieren Tierversuchsbefürworter gerne, dass dies auch die größten Länder mit dem höchsten technologischen Fortschritt seien. Hoher technologischer Fortschritt bedeutet aber auch die Verpflichtung zum Fortschritt im Bereich tiereinsatzfreier Ersatzverfahren. Und hier sind die Methoden noch nicht weit genug entwickelt. Dabei verpflichten nationale wie EU-weite Rechtsvorschriften bereits seit über 25 Jahren, Ersatzmethoden zum Tierversuch zügig zu entwickeln und Tierversuche zu reduzieren und gegebenenfalls zu ersetzen. Unser Bundesverband wird sich daher weiter mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass dem Anstieg endlich angemessen entgegengewirkt wird.


Tierversuchs-Ersatzverfahren: Regierung hat keine zielführende Strategie

Unser Bundesverband Menschen für Tierrechte hat auf seiner Internetseite tierschutzwatch.de die äußerst präzisen Anfragen der SPD-Bundestagsfraktion zum Thema Tierversuche und Tierversuchsersatzverfahren eingestellt. Im Oktober hat die Bundesregierung die Fragen sehr detailliert beantwortet. Die Auswertung zeigt deutlich: Es existieren vielfältige Maßnahmen zur Reduktion der Tierversuchszahlen. Leider zeigt sich anhand der deutschland- und EU-weit kontinuierlich steigenden Tierversuchszahlen, dass die bisherigen Bemühungen zur Reduktion der Tierversuche nicht zielführend sind. Dies wird auch deutlich in dem aktuellen Bericht der EU-Kommission zur Umsetzung des Tierversuchsverbots für Kosmetika, der nahelegt, bestimmte Verbote zu verschieben, weil nicht genügend Ersatzverfahren zur Verfügung stehen. Der Bundesverband kritisiert, dass die Politik bis heute kein Gesamtkonzept und keine zielführende Strategie zur Entwicklung und Anwendung von Ersatzverfahren verfolgt.

Die Anfrage können Sie sich herunterladen unter:
www.tierschutzwatch.de


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Quelle:
tierrechte - Nr. 54/November 2010, S. 19
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010