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SCHLACHTEN/063: Genau hinsehen! Videoüberwachung am Schlachtband (PROVIEH)


PROVIEH Heft 3 - Oktober 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Genau hinsehen! Videoüberwachung am Schlachtband

Von Stefan Johnigk


Mittwochmorgen im niedersächsischen Garrel. Eine Metalltür klappt auf und eine Schweineschnauze schiebt sich vor, gefolgt von 11 weiteren. Die Tiere erkunden den Gang vor ihnen, gehen um eine Biegung und eine kurze Rampe hinauf. Eine Platte fährt zur Seite. Die Schweine betreten eine Gondel. Hinter ihnen schließt sich die Klappe. Die Gondel fährt in eine Grube, die mit Kohlendioxid gefüllt ist. Damit beginnen die letzten Sekunden im Bewusstsein der Tiere. Wir befinden uns im sechsgrößten Schweineschlachthof Deutschlands.

Das Gasgemisch in der Betäubungsanlage raubt den Schweinen in etwa 20 Sekunden die Besinnung. Diese Zeit ist kurz, aber alles andere als angenehm. Die Tiere versuchen, durch krampfhaftes Gähnen und Nach-Luft-Schnappen der wachsenden Atemnot zu entgehen. Auf den feuchten Schleimhäuten bildet sich Kohlensäure, die brennt. Eine schonendere Gasbetäubung, für die sich PROVIEH einsetzt, ist in der Praxis noch nicht verfügbar (siehe Heft 2-2010). Doch nach 150 Sekunden bei 87 % CO2 im sogenannten "Backloader" sind die Schweine zumindest tief betäubt, wenn sie am anderen Ende der Anlage in den Schlachtbereich gelangen. Dort rutschen die bewegungslosen Schweine auf eine Plattform. Ein Mann schlingt eine Kette um die Hinterbeine. Tier für Tier wird vom Schlachtband hochgezogen und zum "Stechplatz" befördert. Auf dem Menschen, der dort arbeitet, lastet eine besondere Verantwortung. Von seiner Sorgfalt und Erfahrung hängt es ab, das Schwein ohne weitere Schmerzen und ohne Wiedererlangen des Bewusstseins zu töten. Mit einem Schnitt durchtrennt er die Lungen- und Körperarterie des betäubten Schweins oberhalb des Herzens. 10 bis 15 Sekunden hat er für den tödlichen Stich, dann folgt das nächste Tier. Durch den raschen Blutverlust tritt in wenigen Sekunden der Tod ein. Die Schweinekörper verbleiben für mehrere Minuten im Entblutebereich, denn Fleisch, das zu viel Blut enthält, ist unverkäuflich. Erst dann gelangen sie ins Brühbad und alle weiteren Schlachtstationen.

Prof. Troeger vom Max-Rubner-Institut geht nach eigenen Untersuchungen davon aus, dass 2005/2006 in Deutschland rund 1 % aller Schlachtschweine nicht korrekt gestochen wurden. PROVIEH spricht die Tierschutzbeauftragte des Schlachthofs auf das Problem an. Sie überwacht die Arbeiten und kann anhand der Fleischbeschau-Daten nachvollziehen, dass nur tote Tiere gebrüht und verarbeitet wurden. Doch sie kann den Männern am Stechplatz nicht ständig über die Schulter schauen. Gemeinsam beraten Nutztierschützer und Schlachtbetrieb, wie sich die Sorgfalt am Stechplatz noch weiter verbessern lässt. Jedes lebende Tier im Brühkessel wäre eins zuviel - darüber besteht Einigkeit. Auf Anregung von PROVIEH willigt der Geschäftsführer ein, eine Kameraüberwachung installieren zu lassen. Ein wichtiger Fortschritt für den Tierschutz. Allein auf diesem Betrieb werden rund 1,3 Millionen Schweine pro Jahr geschlachtet.


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Quelle:
PROVIEH Heft 3, Oktober, 2010, Seite 25
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2011