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POLITIK/809: Forderungen nach Änderungen im Umgang mit der Geflügelpest (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2017
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Forderungen nach Änderungen im Umgang mit der Geflügelpest

von Svenja Furken und Sievert Lorenzen


Die derzeit weltweit grassierende Geflügelpest (hochpathogene Form der Vogelgrippe = Aviäre Influenza, AI) wurde vor allem von hochpathogenen AI-Viren der Typen H5N8 und H5N1 ausgelöst. Das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) zählt das derzeitige Geflügelpest-Geschehen zu den heftigsten, die in Deutschland bisher dokumentiert wurden. Es hat sich von Asien aus über Europa und Teile Afrikas ausgebreitet.

Weder die Verfügung der landesweiten Stallpflicht für gewerbliches und privates Freilandgeflügel noch Biosicherheitsmaßnahmen und Bestandskeulungen konnten die Geflügelpest an ihrer Ausbreitung in der Geflügelindustrie hindern. Schwach betroffen waren auch Wildvögel (meist Einzelfunde, aber auch rund 200 männliche Reiherenten in der Plöner Seenplatte).

Nach unserer Ansicht besteht dringender politischer Handlungsbedarf, um die Seuche und ihre Ausbreitung künftig mit kurz- und langfristigen Maßnahmen adäquat und verhältnismäßig (in Abwägung von Tier- und Gesundheitsschutz) einzudämmen.


Im Einzelnen:

• Prüfung des Austrags gesundheitsgefährdender Substanzen einschließlich AI-Viren aus den verschiedenen Bereichen der Geflügelindustrie in die Umwelt

• Die epidemiologische Forschung zum AI-Geschehen ist umfassender und koordinierter als bislang zu gestalten

• Ab sofort keine Pflicht, sondern höchstens eine Empfehlung zum Aufstallen von Geflügel der Freiland- und Hobbyhaltungen

• Ab sofort keine Bestandskeulungen im Verdachtsfall oder beim Nachweis nur von niedrigpathogenen AI-Viren

• Verbot von Langstreckentransporten für Lebendgeflügel wegen des Risikos des Austrags von AI-Viren ins Freie während der Fahrt und bei Fahrpausen

• Verbot des Im- und Exports von Geflügelmist

• Verbot von Geflügelmastanlagen in der Nähe von Naturschutzgebieten, FFH-Gebieten, (speziellen europäischen Schutzgebieten gemäß der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) und von natürlichen Wasserflächen (Mindestabstand 3 Kilometer)

• Verbot des Ausbringens von Geflügelkot in der Nähe von Naturschutzgebieten, FFH-Gebieten und natürlichen Gewässern (Mindestabstand 3 Kilometer)

• Drastische Verbesserungen der Haltungsbedingungen in der gewerblichen Geflügel-Stallhaltung durch niedrigere Bestandsgrößen und Besatzdichten

• Zuchtselektion auf Vitalität der Tiere statt auf größtmöglichen Zuwachs von Fleisch- und Legeleistung

• Risikostaffelung der Beiträge in die Tierseuchenkassen in Abhängigkeit des Infektionsrisikos durch hochpathogene AI-Viren (HPAI-Viren); erheblich höhere Beiträge für Intensivtierhaltungen

• Vermeidung des Begriffs "Wildvogel Geflügelpest" auf
Hinweistafeln


Begründung:

Die hochpathogenen AI-Viren sind in der expandierenden Geflügelindustrie Ostasiens entstanden und von dort in die weltweite Geflügelindustrie verbreitet worden, vielfach auch in die Umwelt.

Die industrielle Geflügelhaltung mit ihren extrem hohen Individuenzahlen und Besatzdichten sowie ihrem hohen Grad an betrieblichen Vernetzungen begünstigt nach bisherigen Erkenntnissen sowohl die Entstehung von HPAI-Viren als auch deren Verbreitung. Welche Rolle hierbei ziehende Wasservögel spielen, ist noch umstritten. Unumstritten aber ist, dass diese Vögel nicht in geschlossene Betriebe eindringen.

Aus der statistischen Häufung der Ausbrüche gerade in Geflügelmastbetrieben folgt zwingend, dass ziehende Wasservögel die HPAI-Viren weder direkt noch indirekt (durch Kot) in die Mastbetriebe eintragen, denn wäre es so, müssten die Ausbrüche vor allem in Freilandhaltungen stattgefunden haben, was nicht der Fall war. Also ist die Ausbreitung der Viren in die Ställe der Geflügel-Massenhaltung wesentlich als ein internes Problem der Geflügelwirtschaft einzustufen.

Daher sind Langstreckentransporte von Lebendgeflügel und der Im- und Export von Geflügelmist zu verbieten, und Mindestabstände zu Schutzgebieten und natürlichen Gewässern sind für das Ausbringen von Geflügelkot und das Betreiben von Intensivtierhaltungen einzuführen. Schließlich sind die Beiträge in die Tierseuchenkassen zu staffeln in Abhängigkeit von der tatsächlichen Infektionswahrscheinlichkeit.

Alle Maßnahmen zur Eindämmung der Geflügelpest laufen allerdings ins Leere, wenn die Standards in der industriellen Geflügelhaltung zugunsten der Tiere nicht verbessert und die Betriebe nicht stärker als bisher überwacht werden.

Die Aufstallung stellt Hobbyhalter und gewerbliche Halter von Freilandgeflügel vor massive tierschutzrelevante Probleme, da die Ställe nur als sporadischer Witterungsschutz und Übernachtungsraum ausgelegt sind, nicht aber für Dauerhaltung. Die Enge und oft mangelnde Hygienemöglichkeiten führen bei den Tieren zu erheblichem Aggressionsverhalten und höherem Krankheitsrisiko. Zur Vermeidung solcher schwerer Tierschutzprobleme sahen sich viele Tierhalter gezwungen, einen Teil ihrer Tiere zu töten, um die Besatzdichte auf ein zumutbares Maß zu reduzieren. Nach Schätzungen des Bunds deutscher Rassegeflügelzüchter wurde umgehend nach Bekanntgabe der Aufstallpflicht etwa 50 Prozent des Rassegeflügels in Deutschland getötet. Auf diese Weise sind viele Blutlinien unwiederbringlich verloren gegangen, was gegen die Verpflichtung zum Erhalt der Biodiversität (Rio Konvention) verstößt!

Bestandskeulungen darf es aus Sicht des Tierschutzes nur im Fall der eindeutigen Feststellung hochpathogener AI-Viren geben, um die Tiere von ihrem Leid zu erlösen oder eine weitere Ausbreitung der Seuche einzudämmen. Bestandskeulungen im Verdachtsfall oder beim Nachweis niedrigpathogener AI-Viren stellen einen Verstoß gegen das Tierschutzgesetz dar, weil das Vorliegen "eines vernünftigen Grundes" für die Tötung der Tiere nicht erkennbar ist.

Der Begriff "Wildvogel-Geflügelpest" suggeriert irreführend, dass Wildvögel krank und gefährlich sein könnten. Besorgte Bürger könnten dadurch veranlasst werden, Wildvögel als Gefahr wahrzunehmen. Das kann schlimmstenfalls zu Vergrämungen von Vögeln und zu Zerstörungen von Nistplätzen in Siedlungsnähe führen.

Aus dem Gesagten schließen wir, dass Wildvögel als Opfer der globalen Geflügelindustrie anzusehen sind und nicht umgekehrt! Denn Wildvögel ziehen schon seit Jahrmillionen durch die Länder, aber die Geflügelpest hat sich erst seit ein paar Jahren parallel zum Wachstum der Geflügelindustrie massiv ausgebreitet.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2017, Seite 16-18
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2017

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