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POLITIK/573: Zum EU-Tierschutz Aktionsplan 2006-2010 (tierrechte)


tierrechte Nr. 53, August 2010
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Zum EU-Tierschutz Aktionsplan 2006-2010
Wenig Inhalt - viel Verpackung

Von Christina Ledermann und Christiane Baumgartl-Simons


2006 stellte die EU einen Tierschutz-Aktionsplan für vier Jahre auf. Dieser Maßnahmenkatalog sollte den Schutz und das Wohlbefinden von Tieren innerhalb der EU verbessern und darüber hinaus helfen, höhere Tierschutzstandards auch außerhalb der EU anzuregen. Im Mai prüften die Europaabgeordneten die Umsetzung dieses ersten EU-Tierschutz-Aktionsplans.


Das EU-Parlament hatte bereits durch seinen Agrarausschuss im März einen Bewertungsbericht erstellt. Diesem Bericht stimmten die Abgeordneten am 5. Mai zu.


Der Aktionsplan aus Sicht des EU-Parlaments

In einem elf Seiten langen, umständlich formulierten Dokument hat das Parlament herausgestellt, dass sich das Tierschutzniveau in der EU im Prüfungszeitraum 2006-2010 verbessert habe, wenngleich manche Zielsetzungen auch nicht erreicht wurden. Insbesondere hätte sich das Mehr an Tierschutz im internationalen Handel für die EU-Agrarier nicht ausgezahlt. Denn es sei nicht gelungen, die Welthandelsorganisation (WTO) zur finanziellen Anerkennung erhöhter Tierschutzanforderungen zu gewinnen. Mit anderen Worten: Im internationalen Handel zählt weiterhin die Billigproduktion. An anderer Stelle rügt der Bericht, dass die Anwendung vorhandener Alternativen zum Tierversuch nicht zwingend erfolgt.

Die Parlamentarier forderten die Kommission auf, noch in 2010 eine eigene Bewertung des Aktionsplans vorzunehmen und anschließend einen Folgeplan für die Jahre 2011-2015 auszuarbeiten. Dieser müsse, so das Parlament, bereits die erforderlichen Finanzmittel berücksichtigen, denn mehr Tierschutz in der Landwirtschaft sei teuer und daher finanziell zu unterstützen, um so Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Schließlich beschlossen die Abgeordneten, die Kommission solle spätestens 2014 einen Vorschlag für ein allgemeines Tierschutzrecht in Europa vorlegen, außerdem ein europäisches Zentrum für Tierschutz und Tiergesundheit schaffen und den Vollzug der bestehenden Bestimmungen durch häufigere Kontrollen und härtere Strafen verbessern. Neben Versuchstieren und landwirtschaftlichen Tieren soll sich der zukünftige Aktionsplan auch Haustieren, streunenden Hunden und Katzen sowie den Tieren in Zoo und Zirkus annehmen.

Um den Erfolg des Tierschutzaktionsplans zu bewerten, haben sich die EU-Abgeordneten Beurteilungskriterien gewählt. Das tragende Element spielt zu Recht die Aufnahme des Tierschutzes in Artikel 13 des Lissabon-Vertrages[1]. Danach müssen Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang geschützt werden. Dass dieser Schutzanspruch jedoch nicht uneingeschränkt gilt, wissen wir aus dem Staatsziel Tierschutz. So sieht denn auch der Lissabon-Vertrag vor, religiöse Riten, kulturelle Traditionen und regionales Erbe gegen Tierschutzanforderungen abzuwägen. Ein weitaus schwergewichtigerer Gegner des Tierschutzes aber ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit, die fast immer aus Kostengründen ein Mehr an Tierschutz von vornherein aushebelt. So investiert die Landwirtschaft höchstens dann in Tierschutzmaßnahmen, wenn diese vom Gesetzgeber angemessen subventioniert werden. Umso mehr ist es zu begrüßen, dass das EU-Parlament für den Folgeplan auch die Bereitstellung finanzieller Mittel voraussetzt.


Der Aktionsplan aus Sicht des Bundesverbandes

Es stellt sich schon die Frage, warum das EU-Parlament in seiner Bewertung völlig unberücksichtigt ließ, dass während der Laufzeit des aktuellen Aktionsplans 2006-2010 zahlreiche tierschutzrechtliche Bestimmungen erlassen wurden, die in Widerspruch zu Artikel 13 des Lissabon-Vertrages und den Anforderungen des Aktionsplans Tierschutz stehen. Die nachstehenden Beispiele verdeutlichen dies:

Nach der Richtlinie zur Schweinehaltung, die Ende 2008 beschlossen wurde, haben die Schweine mit 0,55 Quadratmetern pro Tier kaum Platz und keine Möglichkeiten, ihre arteigenen Verhaltensweisen auszuleben. Die schädlichen Betonvollspaltenböden sind ebenso zugelassen wie die tierquälerischen Kastenstände und Abferkelkäfige. Nicht besser sieht es bei den Masthühnern aus. Es wurde eine Besatzdichte von bis zu 42 Kilogramm Lebendgewicht pro Quadratmeter zugelassen, obwohl der wissenschaftliche Veterinärausschuss der EU feststellte, dass oberhalb einer Besatzdichte von 30 Kilogramm mit ernsthaften Problemen zu rechnen ist.

Ignoriert wurde die Einschätzung des Veterinärausschusses auch bei der EU-Schlachtverordnung. Obwohl der Einsatz des stromführenden Wasserbades bei der Schlachtung von Geflügel so schnell wie möglich durch reizfreie Gase ersetzt werden sollte, ist diese tierquälerische Methode weiterhin erlaubt. Gleiches gilt für die Gasbetäubung von Schweinen. Auch der Verpflichtung zur Betäubung vor rituellen Schlachtungen kam die EU nicht nach.


Ausblick

Weder Artikel 13 des Lissabon-Vertrages noch ein weiterer Aktionsplan wird den Tieren automatisch zum garantierten Recht verhelfen, ihre spezifischen Bedürfnisse ausleben zu können. Auch der nächste Aktionsplan wird Erfolge nur auf dem Papier ausweisen, während der Blick in den Stall die alten Missstände offenbart. Entscheidende Änderungen werden erst dann zu erreichen sein, wenn Tierschutzrecht nicht mehr von den Tiernutzern zurechtgestutzt werden darf, sondern von unabhängigen Gerichten überprüft wird. Das Klagerecht im Tierschutz ist also eine Forderung, die nicht nur national, sondern auch in der EU etabliert werden muss, um die Durchsetzung bestehenden Tierschutzrechts zu gewährleisten. Zur Weiterentwicklung des Tierschutzes ist es ebenso unabdingbar, dass die Mitgliedstaaten weiterhin national höhere Tierschutzstandards einführen dürfen. Die neue Versuchstierrichtlinie sieht vor, dieses Recht erstmalig zu beschneiden und zwar mit der Begründung, so Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der EU-Mitgliedstaaten ausschalten zu wollen.

Dennoch ist ein neuer Aktionsplan für die Entwicklung des Tierschutzes nicht gänzlich ohne Chancen. Die Aufgabenstellungen des EU-Parlaments an die Kommission sowie die Forderung, Tierschutzbestimmungen in alle relevanten EU-Politiken einzubeziehen, bietet dem organisierten Tierschutz zahlreiche Möglichkeiten, Konzepte für mehr Tierschutz in Brüssel zu platzieren. Auch der Wille der Abgeordneten, dass Tierprodukte, die in die EU importiert werden, die Tierschutzbestimmungen der EU erfüllen müssen, birgt die Möglichkeit, strengere Tierschutzstandards über die europäischen Grenzen hinaus durchzusetzen.

Die EU-Kommission ist bereits in einem ersten Schritt der Aufforderung des Parlaments gefolgt und hat im Internet eine öffentliche Befragung zur Umsetzung des Tierschutzrechts durchgeführt, an der sich auch der Bundesverband beteiligt hat.


[1] Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der durch den Vertrag von Lissabon geänderten Fassung


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Quelle:
tierrechte - Nr. 53/August 2010, S. 14-15
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Oktober 2010