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JUSTIZ/232: Beim Tierschutz versagt der Rechtsstaat (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2018
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Beim Tierschutz versagt der Rechtsstaat


Tierquälerei, besonders solche im großen Stil, wird in Deutschland nicht oder nicht adäquat bestraft. Entsprechende Verfahren werden oft eingestellt oder gar nicht verfolgt. Dies sind nicht nur die Erfahrungen von Tierschutz- und Tierrechtsverbänden. Mehrere Studien belegen massive Defizite beim Vollzug von Tierschutzvergehen.


Jens Bülte, Professor für Wirtschaftsstrafrecht an der Universität Mannheim, kritisiert, dass viele Staatsanwaltschaften Tierschutzverstöße unzureichend verfolgen. Er spricht deswegen von einer "faktischen Straflosigkeit institutionalisierter Agrarkriminalität". Um dies zu untermauern, hat Bülte Tierschutzfälle aus dem Bereich Massentierhaltung aus den vergangenen 40 Jahren ausgewertet. Trotz einer Vielzahl von Anzeigen fand er nur eine einzige Verurteilung. Dazu zwei Beispiele: Wenn Hundebesitzer ihre Tiere bei Hitze in ihren Autos zurücklassen, droht ihnen nach Paragraph 18 Tierschutzgesetz eine hohe Geldbuße. Wenn tausende von Schweinen in einer Mastanlage qualvoll ersticken, weil eine Lüftungsanlage ausgefallen ist, wird der Betreiber in der Regel nicht bestraft und erhält möglicherweise sogar noch staatliche Subventionen. Der Tierschutz wird schlicht wirtschaftlichen Interessen untergeordnet. Besonders deutlich wird dies im Fall der millionenfachen Tötung männlicher Eintagsküken. Hier argumentierte das Oberveraltungsgericht Münster einem Verbot des Kükenschredderns stünden die im Grundgesetz geschützten Interessen der Züchter entgegen. Ein Verbot sei für die Brütereien ökonomisch nicht zumutbar und damit ein vernünftiger Grund im Sinne des Grundgesetzes.


Verfahren werden meist eingestellt

Schon 2015 kam eine explorative Studie des Thünen-Instituts für Betriebswirtschaft zu dem Ergebnis, dass viele Verfahren gegen Tierschutzvergehen eingestellt werden. Wird ein Verfahren tatsächlich aufgenommen, werden oft nur geringe Strafen verhängt. Entscheidende Faktoren hierfür seien geringe Fachkenntnisse der beteiligten Staatsanwälte und Richter, fehlendes Engagement sowie die schlechte personelle Ausstattung von Staatsanwaltschaften und Veterinärämtern. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die Juristin Carmen Lööck in ihrer Dissertation, für die sie Daten des Statistischen Bundesamtes und der Staatsanwaltschaften Flensburg und Lübeck auswertete. Viele Tierschutz-Verfahren werden danach aus Opportunitätsgründen eingestellt. Obwohl hohe Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren möglich sind, werden in 90 Prozent der Fälle nur Geldstrafen verhängt.


Staatsanwaltschaften verletzen Verfolgungspflichten

Eine weitere aktuelle Studie der Umweltschutzorganisation Greenpeace kommt zu dem gleichen Ergebnis. Dazu ließ Greenpeace insgesamt acht Einstellungsbescheide in Ermittlungsverfahren juristisch untersuchen. Bei einem Verfahren wurden Ferkel durch Aufschlagen auf den Boden getötet. Obwohl der Staatsanwalt davon ausging, dass die Tiere durch das Aufschlagen auf den Boden erheblich litten, behauptete er, dass dies durch die Bilder nicht zweifelsfrei zu belegen sei. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Die Umweltschutzorganisation wirft den Staatsanwälten vor, ihre Ermittlungs- und Verfolgungspflichten zu verletzen. Die Hamburger Rechtsanwältin Davina Bruhn kritisiert, dass die Staatsanwaltschaften viel zu selten eigene Untersuchungen veranlassen. Stattdessen spielten sie das Leiden der Tiere herunter. Dies führe dazu, dass "eine Bekämpfung gravierender und systematischer Verstöße gegen das Tierschutzrecht im Bereich der Massentierhaltung, nicht stattfindet", klagt Bruhn.


Massentierhaltung gesellschaftlich adäquat"

Hinzu kommt, dass Staatsanwaltschaften und Gericht behaupten, die Missstände in der industriellen Tierhaltung seien gesellschaftlich akzeptiert. Besonders deutlich wird dies in einer Urteilsbegründung des Landgerichts Heilbronn. In dem Prozess ging es um einen Tierschützer, der die Missstände in einer Putenmastanlage filmen wollte und im September 2018 wegen Hausfriedensbruch verurteilt wurde. Laut dem Landgericht Heilbronn sei zwar "allgemein anerkannt, dass die Mast in Massentierhaltungen nicht artgerecht erfolgen kann" und dass Tieren dabei "auch Schmerzen und Unwohlsein zugefügt" werde. Dennoch sei Massentierhaltung nicht verboten. Sie werde zumindest derzeit noch als "sozial adäquat" angesehen. Es sei "von der Mehrheit gesellschaftlich erwünscht, dass große Mengen an Fleisch günstig angeboten werden". Dies sei ein "vernünftiger Grund", der laut Tierschutzgesetz erlaubt, dass Tieren Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt werden. Die unterschiedliche Auslegung des Begriffs des "vernünftigen Grundes" kommt auch hier wieder zum Tragen. Im Hinblick auf das Staatsziel Tierschutz hält Anwalt Hans-Georg Kluge die Auslegung des Landgerichts Heilbronn für völlig abwegig. Danach ist es nicht rechtmäßig Tieren Leid zuzufügen, um möglichst billig Fleisch zu produzieren. Das Oberlandesgericht Stuttgart wies die Revision des Tierschützers jüngst zurück. Um eine Grundsatzentscheidung zu erreichen, soll der Fall nun vor dem Bundesverfassungsgericht entschieden werden.


Fazit: Tierschutzrecht bleibt auf der Strecke

Während Gerichte argumentieren, Massentierhaltung sei "sozial adäquat", belegen Umfragen das Gegenteil. Eine repräsentative Umfrage der Universität Göttingen vom Juni 2018 zeigt, dass sich die Einstellung der Deutschen zu den sogenannten Nutztieren völlig verändert hat. Danach machen die meisten kaum noch Unterschiede zwischen "Haus- und Nutztieren" und wollen, dass die Haltung besser an die Bedürfnisse der Tiere angepasst wird. Doch die Realität sieht anders aus: Trotz 16 Jahren Staatsziel Tierschutz gelingt es heute noch nicht einmal, die minimalen Anforderungen an die Tierhaltung in der Landwirtschaft und im Labor zuverlässig zu kontrollieren, von wirksamen Sanktionen ganz zu schweigen. Tierhalter müssen selbst bei massiver, ja sogar systematischer Tierquälerei keine Strafen fürchten, weil weder Kontrolle noch Strafverfolgung funktionieren. Wenn wirtschaftliche Interessen dahinterstecken, bleiben Tierschutzrecht und damit auch der Rechtsstaat auf der Strecke.


Meist nicht umgesetzt: Paragraph 17 Tierschutzgesetz

Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder 2. einem Wirbeltier a) aus Rohheit erhebliche Schmerzen oder Leiden oder b) länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 3/2018, S. 4-5
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Mühlenstr. 7a, 40699 Erkrath
Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2019

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