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INITIATIVE/349: PROVIEH macht ernst - Schluss mit der Verstümmelung von Ferkeln (PROVIEH)


PROVIEH Heft 3 - Oktober 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

PROVIEH macht ernst: Schluss mit der Verstümmelung von Ferkeln

Von Europareferentin Sabine Ohm


Es ist Zeit, dass mehr Bewegung in die Abschaffung der Ferkelkastration in Deutschland kommt. Seit Kampagnenbeginn im Juni 2008 ist zwar schon Einiges geschehen: Die gesamte Branche sprach sich in der Düsseldorfer Erklärung im September 2008 für die Einführung der Ebermast aus; im Juli 2009 konnten wir McDonald's und Burger King zum Ausstieg aus dem Verkauf von Kastratenburgern bis 2011 bewegen; in der Zwischenzeit wurden unzählige Forschungsprojekte für die reibungslose Umstellung auf die Ebermast ins Leben gerufen; und der Zertifizierer QS hat zum 1. April 2009 den Einsatz von Schmerzmitteln bei der Kastration als Zwischenschritt verpflichtend eingeführt. Ab dem 1. Januar 2011 führt ein Verstoß sogar zum Ausschluss aus dem QS-System. Die Bauern stöhnen, nicht ganz zu Unrecht; denn die Injektion des Schmerzmittels selbst ist schmerzhaft und stresst das Ferkel vor der eigentlichen Kastration zusätzlich. Von Vorteil sind zwar die Linderung des postoperativen Schmerzes und die Senkung des Infektionsrisikos, aber das ist alles noch kein Grund zum Jubeln.

Immer noch sträuben sich konservative Akteure mit Finten und Fisimatenten gegen die Ebermast. Die Einen greifen auf zweifelhafte Umfragen mit tendenziösen Fragen zurück, um die angeblich kritische Haltung des deutschen Lebensmitteleinzelhandels zu "belegen". Andere torpedieren das ab Herbst von der Firma Tönnies vorgesehene faire Abrechnungsverfahren für Eber: anstelle einer Pauschalsumme pro Tier mit Bezahlung nach Wert der Teilstücke - so, wie es bei Sauen und Kastraten in Deutschland seit Jahren üblich war.

Indes zeigen die Holländer einmal mehr, wo's wirklich lang geht: Zwischen 2006 und 2010 wurde der Verkauf von Kastratenfleisch in den Niederlanden um 2/3 gesenkt. Bisher wurden dort ca. 1,5 Millionen unkastrierte Eber vermarktet, ohne Probleme oder Reklamationen. Das beweist wiederum, was auch erfahrene Experten aus der Schlacht- und Verarbeitungsbranche bereits öffentlich bekunden: Die noch laufende Entwicklung der "elektronischen Nase" ist keine notwendige Bedingung für die Ebermast. Längst existieren andere praktikable Methoden zur Erkennung des sogenannten Ebergeruchs. Er kommt bei unter 3 % der Tiere vor und ist der eigentliche Grund für die vorbeugende Kastration. Die holländische Tierschutzorganisation "Varkens in Nood" traf nach eigener Aussage inzwischen sogar mit 90 % der Supermarktketten Abkommen. Sie sagten den vollständigen Verzicht auf Kastratenfleisch bis spätestens Juli 2011 zu.

Der deutsche Lebensmitteleinzelhandel und die fleischverabeitenden Betriebe dagegen zieren sich noch mehrheitlich, trotz der positiven Erfahrungen in den Niederlanden. Nachdem immer mehr Bauern in Deutschland auf Ebermast umstellen, gibt es auch keine Lieferengpässe. Das bedeutet, den deutschen Fleischeinkäufern gehen die Argumente aus. Deshalb startet PROVIEH gleich nach den Sommerferien eine neue Aktion nach bewährtem Muster (siehe Kastratenburger, Heft 3/2009). Wir bitten dazu unsere Aktiven in ganz Deutschland wieder um ihre Mithilfe. Anprangern wollen wir dabei neben der Ferkelkastration zwei weitere grausame Verstümmelungen, die routinemäßig an den kaum ein paar Tage alten Tieren vorgenommen werden: Schwanzkupieren und Kürzung der Eckzähne.

Die Schweine werden in den meisten konventionellen Betrieben zu dicht gedrängt und bei zu schlechter Luft auf kahlen Vollspaltenböden ohne das vorgeschriebene Beschäftigungsmaterial gehalten. Dies führt u.a. zum Schwanzbeißen. Deshalb werden den Ferkeln die Schwänze vorsorglich abgeknipst und die Eckzähne gleich mit - damit sie nicht etwa an den Ohren ihrer Artgenossen kauen. Die EU-Schweinehaltungsrichtlinie verbietet diese routinemäßigen Verstümmelungen, schreibt stattdessen die Verbesserung der Haltungsbedingungen und vor allem das Angebot von natürlichem Beschäftigungsmaterial vor. Denn wissenschaftliche Arbeiten der Europäischen Lebensmittelaufsichtsbehörde (EFSA) hatten ergeben, dass vor allem das Nicht-Ausleben natürlicher Verhaltensweisen die Tiere frustriert und zu Verhaltensstörungen wie Schwanzbeissen führt. Zu den arttypischen Verhaltensweisen gehören bei Schweinen das Wühlen und Kauen, womit sie unter natürlichen Bedingungen ca. 80 % ihrer Wachzeit beschäftigt sind.

PROVIEH hat wegen der in Deutschland weit verbreiteten Missstände bei der EU Klage eingereicht (vgl. Heft 1/2010). Seither wurde von der EU-Kommission im November 2009 ein Workshop zu diesem Thema unter Beteiligung von PROVIEH abgehalten. Dort wurde ein eindeutiges Signal an die Wirtschaft gesendet: Ein Zurück gibt es nicht, die Tierschutzbestimmungen müssen umgesetzt werden!

Allerdings bekamen wir im August 2010 enttäuschende Post von der Kommission mit einer noch enttäuschenderen Stellungnahme des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMELV) im Anhang: Statt die Missstände zuzugeben und offensiv an die Problematik heranzugehen, wird alles schöngeredet. Seitenlang wird Rechenschaft über angeblich umfangreiche Aufklärung der Landwirte durch Informationsbroschüren abgelegt, doch nach Umfragen konnten wir keinen einzigen Schweinehalter auftreiben, der je so ein Informationsblatt über die Vermeidung von Schwanzbeißen und die permanente Bereitstellung von ausreichend Beschäftigungsmaterial bekommen hätte. Jahrelang haben die Behörden Ställe mit Betonvollspaltenböden genehmigt und haben so die Einhaltung der Bestimmungen praktisch unmöglich gemacht, weil das bisher bekannte Beschäftigungsmaterial die Spalten verstopft und deshalb das gängige Güllemanagement verhindert. Das BMELV gibt an, mit allen relevanten Akteuren in Kontakt zu sein - PROVIEH als Beschwerdeführer und Deutschlands größter und ältester Nutztierschutzverein hat allerdings nichts vom BMELV gehört, weder über die angeblichen Forschungsbemühungen einer nun einberufenen Expertengruppe noch über einen möglichen Zeitplan für den Ausstieg aus dem Schwanzkupieren und dem Zähneschleifen.

Die Kommission will die Beschwerdeakte anlässlich der Beteuerungen und Beschönigungen des BMELV am liebsten gleich wieder schließen. Vor Ort hat sie bislang nicht versucht, unsere Anschuldigungen zu verifizieren. Inspektionen sollen erst 2011 vorgenommen werden. Aber wenn man das BMELV weiter machen lässt wie bisher, ändert sich bis 2011 sicher nichts, so dass die EU-Prüfer auch dann noch fündig werden. Aber der dann folgende Sanktionsprozess wäre wieder langwierig. Darauf will PROVIEH nicht warten, denn so könnte es noch Jahre dauern, bis die Schweine endlich das bekommen, was ihnen per Gesetz zusteht: echte Verbesserungen bei den Haltungsbedingungen inklusive ständigen Zugang zu ausreichend Beschäftigungsmaterial, statt routinemäßige Verstümmelungen.

Deswegen hat PROVIEH auch heftig gegen die Schließung der Akte protestiert, Widersprüche in der deutschen Stellungnahme aufgedeckt und neue Beweise ins Feld geführt. Wir fordern mehr staatlich finanzierte praktische Forschungsarbeit, zum Beispiel in den "Landwirtschaftlichen Lehr- und Versuchsanstalten" der einzelnen Bundesländer. Es kann doch nicht angehen, dass allen deutschen Lehrlingen auf ihrer Pflichtstation in diesen staatlichen Einrichtungen weiterhin gesetzeswidrige Haltungsbedingungen und Verstümmelungen als Normalfall beigebracht werden.

Damit sich die Akteure nicht zu lange Zeit lassen und schneller nach Lösungen suchen, wird PROVIEH neben der Klage bei der EU notfalls auch eine breit angelegte Verbraucheraufklärungskampagne führen. Zum Auftakt wird die umseitig abgebildete Kampagnenpostkarte verteilt.


Quellen:

1) In deutschen Supermärkten prangt das QS-Siegel auf fast 90 % des Schweinefleisches.

2) Vgl. http://www.stopcastration.eu/

3) PROVIEH tritt seit seiner Gründung für artgerechte Haltung auf Einstreu statt Haltung auf nackten Vollspaltenböden ein, da nur so das Ausleben natürlicher Verhaltensweisen wie Kauen und Wühlen ausreichend ermöglicht wird.


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Quelle:
PROVIEH Heft 3, Oktober, 2010, Seite 30-32
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2011