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TIERHALTUNG/653: Die überzähligen Kälber - Teil 2 (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Die überzähligen Kälber, Teil 2

Von Kathrin Kofent


Mit dem Wegfall der Milchquoten ist eine Veränderung auf dem Milchmarkt zu erwarten. Befürchtet wird, dass nur noch Großbetriebe bei wachsendem Preiskampf auf dem Milchmarkt bestehen können (siehe siehe PROVIEH Magazin 1/2015, Seite 6).

Während Deutschland in der EU der größte Milchproduzent ist, liegt der Anteil an im Inland gemolkener Biomilch mit 2,3 Prozent weit hinter anderen europäischen Ländern wie Schweden (2013 fast 13 Prozent) oder dem Spitzenproduzenten Österreich (um die 15 Prozent). Hier ist also noch viel Luft nach oben.

Nach wie vor werden die meisten weiblichen Biokälber in der Milcherzeugung nach der Trennung von der Mutterkuh - wie auch auf konventionellen Betrieben üblich - mit der Eimertränke aufgezogen. Die Bullenkälber werden meist an konventionelle Mäster verkauft, da die für Biobetriebe vorgeschriebene Vollmilchmast nicht rentabel ist (siehe PROVIEH Magazin 4/2014, Seite 6 ff).


Es gibt andere Wege

Alternativ zur Intensivierung der Produktion in der konventionellen Landwirtschaft hat sich ein Teil der Biobranche auf "neue Wege" begeben. Landwirte zeigen, dass ökonomische und zugleich tiergerechte Milchwirtschaft sich keinesfalls gegenseitig ausschließen.

Dass Milchproduktion und Kälberaufzucht annähernd tiergerecht möglich sind, und dabei auch noch den Landwirt ernähren können, verdeutlicht ganz konkret eine aktuelle Gegenüberstellung von fünf baden- württembergischen Biobetrieben, welche aufgrund ihres individuellen Kälberaufzuchtsmanagements ausgewählt worden waren. In den fünf Betrieben werden neben dem üblichen Trennen von der Mutter mit anschließender Eimer-Vollmilchtränke noch drei weitere mutter- oder ammengebundene Aufzuchtverfahren praktiziert:

- Die Kälber kommen zweimal täglich vor oder nach den Melkzeiten zu ihren Müttern, um zu trinken

- die Kälber sind während der Melkzeiten bei einer Amme

- die Kälbergruppe wird dauerhaft mit einer bestimmten Anzahl an Ammen- beziehungsweise Mutterkühen gehalten.

Einer der dort beschriebenen Höfe ist besonders interessant. Der Antonihof erwies sich mit seiner Methode als der wirtschaftlichste und ist zugleich besonders tiergerecht: Landwirt und PROVIEH-Mitglied Christoph Trütken stellte den elterlichen Betrieb seiner Frau Birgit Strohmeier 2008 auf Biolandwirtschaft um. Nicht ohne Grund erhielt der Antonihof 2013 für seine vorbildliche Milchviehhaltung den baden-württembergischen Landestierschutzpreis. 30 Kühe (Fleckvieh und Braunvieh) grasen hier von Anfang April bis Ende Oktober auf den hofnahen Weiden. Zu den Melkzeiten gibt es statt Kraftfutter hochwertiges Heu aus der eigenen Solar-Trocknung. Auch im Winter reicht die alleinige Raufuttergabe aus. Dann leben die Kühe in einem großzügigen, lichtdurchfluteten Zweiraumstall mit Tiefstreu-Liegehalle, Laufhof und Fresshalle.

Von Anfang Mai bis Ende Juli werden die Milchkühe, ebenso wie die Ammen, im Natursprung gedeckt. So kalbt die Herde saisonal im zeitigen Frühjahr. Diese sogenannte Blockabkalbung vereinfacht das Fütterungsmanagement. Der gesamten Herde wird die gleiche Ration gefüttert. So kann das vorhandene Grundfutter optimal dem Laktationsstadium angepasst verfüttert werden. Aufgrund der großen Stallfläche von acht bis zehn Quadratmeter Liegefläche pro Tier bringen die Kühe ihre Kälber entspannt in der Gruppe zur Welt und werden erst nach der Geburt in aller Ruhe von der Herde getrennt. Die weibliche Nachzucht und ein Teil der männlichen Kälber werden dann daran gewöhnt bei sogenannten Ammenkühen zu trinken. Bei den Ammen handelt es sich um Kühe, die auch fremde Kälber trinken lassen. Oft werden aus der Milchkuhherde ausgemusterte Tiere verwendet, die ihre Laufbahn als Milchkuh aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen beenden mussten. So können beispielsweise Kühe, die Euterprobleme haben oder unter leichten Bewegungseinschränkungen leiden und für die der Fußmarsch von der Weide zweimal täglich zum Melken nicht zumutbar ist, sehr gut als erfahrene Mütter in der Ammenherde eingesetzt werden. Jeder Amme werden drei Kälber anvertraut. Hervorzuheben ist, dass die Kälber ihre Hörner behalten dürfen und - vergleichbar mit der Mutterkuhhaltung bei Fleischrindern - bis zum Alter von etwa neun Monaten gemeinsam mit den Ammen auf den hofferneren Weiden laufen können. Die Kälber können somit jederzeit Milch saugen, was ihrem Bedürfnis sehr viel näher kommt, als das Tränken mit dem Eimer. Unter natürlichen Bedingungen saugen junge Kälber fünf- bis zehnmal am Tag und trinken bei jeder Mahlzeit jeweils fünf bis zehn Minuten. Hierbei nehmen sie durchschnittlich zehn Kilogramm Milch täglich auf. Im Vergleich dazu bekommen die Kälber bei der Eimertränke üblicherweise zweimal täglich bis zu drei Liter Milch. Dieser Vergleich verdeutlicht, wie wenig tiergerecht eine solche Aufzucht ist. Zudem lernen die Jungtiere von den Alttieren. Bald sollen alle männlichen Kälber auf dem Antonihof aufgezogen werden können. Ein Bauantrag für eine Stallerweiterung auf 35 Milch- und 17 Ammenkuhplätze ist gestellt und soll in Zukunft Platz für alle Bullenkälber bieten.

Die tierschutzrelevanten Probleme der Milchviehhaltung sind sehr vielschichtig. PROVIEH sieht die Zeit gekommen, dass ein Umdenken einsetzen muss. Zu hoffen ist, dass die Biobetriebe bei ihrer Zukunftsplanung das Wohl der Kuh und ebenso das ihrer weiblichen wie auch männlichen Kälber insgesamt im Auge haben. Der Antonihof zeigt auf, dass Wirtschaftlichkeit und bestmögliche Tiergerechtheit in Einklang gebracht werden können. Dies lässt Raum für Hoffnung, dass viele - auch konventionelle Betriebe - die alten Pfade verlassen und bessere Wege einschlagen. Das Wohl des Tieres und die Wertschätzung müssen in den Vordergrund rücken. Selbst wenn nur ein Prozent der Milchviehbetriebe etwas verbessern und im Idealfall dem Konzept von Landwirt Trütken folgen würden, könnte das Leben von rund 43.000 Kälbern und deren Mütter verbessert werden.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2015, Seite 10-12
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2015

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