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TIERHALTUNG/540: EHEC-Epidemien - Ein weiteres Menetekel aus der Intensivtierhaltung (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2/2011
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

EHEC-Epidemien - Ein weiteres Menetekel aus der Intensivtierhaltung

von Sievert Lorenzen


Kolibakterien (Escherichia coli) sind keine Gemüsebewohner. Sie bewohnen den Darm von Mensch und vielen Tieren, können nur dort gedeihen und bilden einen wichtigen Bestandteil unserer Darmflora. Die krankhaft veränderten Kolibakterien, die als EHEC bekannt sind (Enterohämorrhagische Escherichia coli) erzeugen keine Seuchen bei Pflanzen, die auf Menschen übergreifen, sondern sie erzeugen Seuchen bei Menschen und Tieren, und mit deren Kot können die Bakterien auf (nicht in) Pflanzen gelangen und eine Weile überleben. Mein Friseur war ganz überrascht von diesen schlichten Erkenntnissen, denn die politisch Verantwortlichen verwiesen mit schicksalsschwerer Miene immer nur auf Gemüse als möglichen Auslöser der von EHEC erzeugten Epidemie. Diese begann im Mai 2011 und forderte bis zum 8. Juni 25 Todesopfer, so viele wie bisher keine andere von EHEC erzeugte Epidemie.


Mittlerweile sind rund 1.000 EHEC-Stämme bekannt, von denen 42 das gefürchtete "hämolytisch-urämische Syndrom" (HUS) auslösen können, das in Blutgefäßsystem, Nieren und Gehirn schwere Schäden anrichten kann bis hin zur Todesfolge. Zu diesen EHEC-Stämmen gehört O104:H7 (O wie der Buchstabe), der in Mai und Juni 2011 grassierte. Der Stamm ist seit 2001 bekannt und hat seitdem durch Antibiotikamissbrauch in der Massentierhaltung seine Resistenz gegen Antibiotika deutlich steigern können. Das ist ein Zuchterfolg des Menschen! Warum? Weil seit Jahrzehnten massiver Antibiotika-Missbrauch in der intensiven Massentierhaltung stattfand, der die Zucht von Bakterienstämmen ermöglichte, die gegen viele Antibiotika resistent sind.

Es gilt als gesichert, dass die meisten, wenn nicht alle EHEC-Stämme im Zuge der intensiven Massentierhaltung entstanden sind: Die Darmflora von Nutztieren wurde außer durch Antibiotika auch durch das einseitige Hochleistungsfutter geschwächt und konnte deshalb eine ihrer wichtigen Funktionen immer weniger wahrnehmen, nämlich fremde und schädliche Bakterien an der Besiedlung des Darms zu hindern. Davon profitierten schädliche Bakterien wie die EHEC-Stämme. EHEC entstand aus gesunden Kolibakterien, in deren Erbgut durch "natürliche Gentechnik" fremde Gene eingebaut wurden, mit denen zum Beispiel die gefürchteten Shiga-Toxine 1 und 2 gebildet werden können. Diese Gifte sind nach dem Ruhr-Bakterium Shigella dysenteriae benannt, das nahe verwandt mit E. coli ist und die Gene für die Shiga-Toxine natürlicherweise besitzt.

Rinder der Intensivhaltung gelten als das wichtigste EHEC-Reservoir. Den erwachsenen Rindern scheinen EHEC-Stämme nicht viel zu schaden, wohl aber den neugeborenen Kälbern, wenn diese noch am ersten Lebenstag von ihrer Mutter getrennt werden und nicht rechtzeitig die lebenswichtige Biestmilch (Kolostrum) bekommen, die so wichtig für den schnellen Aufbau des Immunsystems ist. Bei solchen Kälbern kann eine EHEC-Infektion blutigen Durchfall erzeugen, und durch die blutenden Darmwunden können die Gifte der EHEC-Bakterien in die Blutbahn gelangen und Schäden in Milz, Leber, Niere, Gehirn und Gelenken anrichten, die zum Tode der Kälber führen. Ähnliche Symptome sind auch von HUS-Patienten bekannt. In artgerechter Mutterkuhhaltung spielt blutiger Kälberdurchfall so gut wie keine Rolle.

Was bedeuten die angeführten Erkenntnisse für die Aufklärung der EHEC-Epidemie von Mai/Juni 2011? Gut möglich ist, dass der EHEC-Stamm O104:H7 aus der Intensivhaltung von Rindern oder vielleicht von Schweinen stammt. Wenn ja, dann gelangen die Bakterien in die Gülle, die wie üblich ungeklärt auf die Felder gespritzt und neuerdings auch als Dünger in Biogasanlagen ("Maiskraftwerken") benutzt wird. Aus der Gülle können Aerosole (kleinste Schwebeteilchen) massenhaft in die Luft gelangen und verweht werden, und nach dem Ausbringen der Gülle kann Starkregen einen Teil in Fließgewässer schwemmen. In beiden Fällen kann Gemüse verschmutzt werden. Außer dem Verzehr von solchem Gemüse kann auch das Einatmen der Aerosole zu einer Infektion führen. Seit dreißig Jahren ist schon bekannt, dass EHEC-Keime beim Schlachten eines Rindes als Verschmutzung auf dessen Fleisch gelangen können. Wird es zu Hackfleisch verarbeitet und im Hamburger nur unzureichend durchgebraten, können sich Menschen - wie schon mehrfach geschehen - mit EHEC infizieren.

Ein möglicher Impfstoff würde das Problem von Infektionen mit EHEC nicht lösen. Sinnvoll wäre die entschiedene Abkehr von der intensiven Tierhaltung, denn so würde den EHEC-Stämmen die Lebensgrundlage entzogen werden.


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Quelle:
PROVIEH Heft 2/2011, Seite 18-19
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2012