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TIERHALTUNG/489: Bioaerosole aus der Geflügel-Intensivhaltung (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03 / 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Bioaerosole aus der Geflügel-Intensivhaltung
Eine Gesundheitsgefahr für Mensch und Tier

Von Dr. med. Hans Peter Ammann


Möchten Sie in der Nachbarschaft zu einer Geflügel-Intensivhaltung leben? Nein? Kein Wunder, denn der Geflügel-Intensivhaltung entweichen weit mehr gesundheitsschädliche Bioaerosole als allen anderen Tierhaltungen. Das gilt auch für Hühnermastanlagen mit 39.500 Stallplätzen, die relativ problemlos errichtet werden können, weil eine Beteiligung der Öffentlichkeit und eine Umweltverträglichkeitsvorprüfung erst ab 40.000 Stallplätzen vorgeschrieben ist.

Aerosole allgemein sind nichts Neues, es hat sie schon immer gegeben. Es sind feste oder flüssige Partikel von 0,5-200 µm (tausendstel Millimeter) Durchmesser, die in der Luft oder in anderen Gasen schweben. Sind Aerosole organischer Herkunft, werden sie als Bioaerosole bezeichnet. Dazu gehören Viren, Bakterien, Pilzsporen, Pollen, Schnupftröpfchen, Federstaub, Hautschüppchen oder Endotoxine (Bestandteile der äußeren Zellmembran gramnegativer Bakterien). Viele von ihnen sind mögliche Auslöser von Infektionen, Allergien oder Vergiftungen, können also die Gesundheit von Mensch und Tier bedrohen.

Aerosole in der Atemluft von über 20 µm Größe werden bereits in Nase, Mund und Rachen abgefangen. Sind die Partikel kleiner als 20 µm, werden viele von ihnen von der Wand der Luftröhre und der Bronchien abgefangen und zurück in den Rachenraum geflimmert. Die kleinsten Partikel jedoch können ins Lungengewebe gelangen, setzen sich dort fest, werden resorbiert oder ins umliegende Gewebe transportiert. Beides kann die Lungenfunktion beeinträchtigen. Sind die feinsten Partikel Bioaerosole, können sie Entzündungen, spezifische Infektionskrankheiten, allergische und toxische Reaktionen verursachen.

Die Konzentration von Bioaerosolen ist in Hühnermastställen höher als in anderen Tierställen. Das gilt vor allem für die Zeit zwischen dem 30. und 40. Tag der Hühnermast, also kurz vor dem Ausstallen der Tiere. Dann kann z.B. die Konzentration an Endotoxinen 30-mal höher als in einem Rinderstall und sechsmal höher als in einem Schweinestall sein.

Unter den Bakterien, die sich als Bioaerosole in der Luft befinden können, bereitet Staphylococcus aureus besondere Sorge, denn er kommt wegen seiner hohen Überlebens- und Anpassungsfähigkeit fast überall vor. Als Bioaerosol verliert er nach fünf Minuten bei 22°C und 50% Luftfeuchtigkeit erst 1% seiner Vermehrungsfähigkeit, kann also lange in der Luft schwebend überleben. Das Bakterium ist auch auf der menschlichen Haut zu finden. Wegen seiner Anpassungsfähigkeit kann S. aureus überall Varianten bilden, die resistent gegen Antibiotika und Desinfektionsmittel sind und sich dann bei der Reinigung des Hühnerstalls während des Belegungswechsels nicht mehr zuverlässig entfernen lassen.

In der Geflügel-Intensivhaltung ist der vorbeugende Einsatz von Antibiotika die Norm. Sie dürfen zwar nicht mehr als "Leistungsförderer" den Futtermitteln beigemischt werden, wohl aber zur Behandlung und Prophylaxe bakteriell verursachter Krankheiten. Wegen der hohen Tierzahlen ist eine Behandlung einzelnder Tiere in der Intensivhaltung nicht üblich. Es gibt auch keine separaten Krankenabteile in den Industrie-Geflügelställen, weil das Absondern weniger erkrankter Tiere aus der Masse zu zeitaufwendig und teuer wäre. Außerdem verbreiten sich Infektionen in den riesigen Tiergruppen wie ein Lauffeuer, begünstigt durch die Enge und die stressbedingte Schwächung des Immunsystems. Deshalb erhält im Massentierhaltungsstall immer die gesamte Herde die eingesetzten Antibiotika. Bei häufiger prophylaktischer Anwendung haben manche Bakterienstämme, unter ihnen S. aureus, schon Resistenzen gegen die eingesetzten Antibiotika entwickelt, die dadurch unwirksam geworden sind. Geraten solche Bakterien als Bioaerosole in die Luft, befallen den Menschen und erzeugen bei ihm eine Krankheit, dann kann diese kaum noch wirksam mit Antibiotika behandelt werden.

Das Phänomen der Antibiotikaresistenz bei Bakterien ist auch von anderen Orten bekannt, wo diese Substanzen viel und oft eingesetzt werden. Als besonders gefährlich gilt die Staphylococcus-Variante MRSA (M-ethicillin R-esistenter S-taphylococcus A-ureus). Zunächst waren Infektionen mit diesem Erreger nur aus Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen bekannt. Mittlerweile steigt aber die Zahl der Erkrankten, die ohne jeden Aufenthalt in einer solchen Einrichtung mit MRSA infiziert sind. Dies kann z.B. durch die ambulante Übertragung von MRSA durch Personen geschehen, die sich in einer der Einrichtungen infizieren, die Keime nach draußen tragen und dann durch Tröpfchen auf andere Menschen übertragen.

Fahrlässiger Einsatz von Antibiotika in der Intensiv-Tierhaltung erhöht das Risiko für die Entstehung und weitere Ausbreitung solcher Infektionen. 2001 wurden noch 1,1% der MRSA-Erkrankungen ambulant verursacht, 2006 waren es bereits 2,7%, und die Tendenz steigt noch immer. In den USA, dem Land mit dem höchsten Geflügelfleischkonsum, gehört die ambulant übertragene MRSA-Erkrankung inzwischen zu den häufigsten entzündlichen antibiotika-resistenten Haut- und Weichteil-Infektionen (Infoblatt für Ärzte des LUA Sachsen).

Wenn man die Intensität von Staphylococcus-Emissionen aus den Mastställen betrachtet, verwundert das nicht. Bedenkt man dann noch, dass diese Ställe oft in weniger als einem Kilometer Entfernung zu anderen Ställen oder zu menschlichen Ansiedlungen, Krankenhäusern, Altenheimen, Schulen oder Kindergärten errichtet werden, dann kann einem Angst und Bange werden, denn je nach Windrichtung können die Staphylococcen in verschiedene Richtungen verdriftet werden und unter geeigneten Wetterbedingungen auch noch mehr als 1 km von der Emissionsquelle entfernt vermehrungsfähig bleiben.

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass mit jeder weiteren Errichtung eines Massentierstalles das Damoklesschwert einer Infektion mit Staphylococcus-Keimen, die resistent gegen Antibiotika sind, ein wenig tiefer hängt.


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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 03/2009, Seite 9-11
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2009