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MELDUNG/2345: Schwergewicht - kein Schönheitswettbewerb ... (SB)



Andy Ruiz will nicht nach England reisen

Andy Ruiz, der sich durch seinen Sieg über Anthony Joshua zum neuen Weltmeister der Verbände WBA, WBO und IBF im Schwergewicht gekrönt hat, will die Revanche gegen den Briten keinesfalls in dessen Heimat austragen. Deshalb müssen sich Joshua und sein Promoter Eddie Hearn darauf gefaßt machen, in die Vereinigten Staaten oder nach Mexiko zu reisen, wollen sie sich die verlorenen Gürtel zurückholen. Für den ehemaligen Champion dürfte es keine große Sache sein, dem Wunsch seines Bezwingers nachzukommen, zumal ihm ein Rückkampf im New Yorker Madison Square Garden durchaus entgegenkäme. Wo könnte er sich gegebenenfalls besser rehabilitieren und sein Ansehen beim US-amerikanischen Publikum wiederherstellen, als am Schauplatz seiner spektakulären Niederlage! Indessen zögert Eddie Hearn die Entscheidung über den Austragungsort noch immer hinaus, da er es offenbar vorziehen würde, seinem Boxer einen Heimvorteil zu verschaffen.

Joshuas Siege über Joseph Parker und Carlos Takam in Cardiff waren umstritten, da sich der Brite in beiden Fällen einer bemerkenswerten Gunst des Ringrichters erfreute. Der Kampf gegen Takam endete auf höchst unbefriedigende Weise, als der Referee in der zehnten Runde wie aus dem Nichts dazwischenging und auf Abbruch entschied, obgleich der Herausforderer zwar in Bedrängnis geraten war, aber keineswegs geschlagen wirkte. Im Falle Parkers sorgte der Ringrichter unablässig dafür, daß der Neuseeländer dem Publikumsliebling nicht zu nahe kam, so daß Joshua seine größere Reichweite ungehindert ausspielen konnte, ohne aus der Nahdistanz traktiert zu werden. Angesichts dieser Vorgeschichte ist nur zu verständlich, warum Ruiz es ablehnt, seinerseits in eine derart mißliche Situation zu geraten, obgleich der Kampf auf der Insel zweifellos eine Riesenarena wie jene in der walisischen Hauptstadt bis an den Rand füllen würde.

Da Andy Ruiz Weltmeister dreier Verbände ist, macht er zu Recht den Anspruch geltend, über den Austragungsort bestimmen zu können. Sein vorzeitiger Sieg in der siebten Runde gegen den hochgehandelten Briten verschafft ihm in den laufenden Verhandlungen über die Modalitäten des Rückkampfs entsprechende Vorteile. Wenngleich sich Anthony Joshua, Eddie Hearn und die britische Fangemeinde nur schwer damit abfinden, das Monopol verloren zu haben, können sie sich doch der Einsicht schwerlich verschließen, daß die Karten vorerst neu gemischt sind. [1]

Der britische Promoter hatte erst kürzlich erklärt, daß entweder die USA oder das Vereinigte Königreich zur Debatte stünden. Laut Dan Rafael von ESPN machte er jedoch zuletzt geltend, einige Angebote in letzter Minute von seiten anderer Veranstaltungsorte hätten die Bekanntgabe der Entscheidung verzögert, die nun in wenigen Tagen folgen soll. Berücksichtigt man, daß Hearn schon seit vier Wochen vorgehalten hat, die Benennung des Austragungsorts stehe unmittelbar bevor, mutet die zögerliche Vorgehensweise allmählich recht seltsam an. Denn aus Joshuas Perspektive macht eine Revanche in England oder Wales insofern wenig Sinn, als es ihm gerade darum geht, die Herzen des US-Publikums zu erobern. Das ging zwar im ersten Anlauf fürchterlich schief, da er sich der als leichte Beute ausgesuchten Nummer 15 der WBO-Rangliste sensationell geschlagen geben mußte. Ruiz war jedoch nicht nur wesentlich stärker, als von britischer Seite vermutet, sondern Joshua in diesem Kampf schlichtweg überlegen, da er die notorische Konditionsschwäche des Briten zu nutzen wußte. Trüge der Brite den Rückkampf nicht in den USA aus, wäre dessen Ausgang für das dortige Publikum allenfalls von marginalem Interesse und verfehlte das angestrebte Ziel selbst im Falle einer gelungenen Revanche.

Eddie Hearn denkt jedoch offenbar weit über den Tag hinaus und möchte nichts unversucht lassen, Joshua umgehend wieder als Weltmeister zu installieren. Selbst der Preis, sich zu diesem Zweck wieder auf die Insel und vor die heimische Fangemeinde zurückzuziehen, scheint ihm nicht zu hoch zu sein. Aus seiner Sicht geht es wohl in erster Linie darum, die Karriere seines prominentesten und einträglichsten Boxers zu retten, die im Falle einer erneuten Niederlage gegen Andy Ruiz endgültig in Scherben läge. Viele Experten haben ohnehin dringend davon abgeraten, unmittelbar nach dem desaströsen Scheitern abermals gegen Ruiz anzutreten, der keineswegs zufällig, sondern auf recht souveräne Weise die Oberhand behalten hat. Was Joshua tatsächlich besser machen müßte, liegt zwar auf der Hand, doch ist nicht abzusehen, wie er das mit seinem langjährigen Team, das seine Schwächen nicht zu beheben verstand, in dieser kurzen Frist bewerkstelligen könnte. [2]

Letzten Endes spielt es keine Rolle, wo die Revanche ausgetragen wird, sofern der Ringrichter dem Briten nicht auf grenzwertige Weise zu Hilfe kommt. Anthony Joshua wird nach einigen Runden müde werden, da sein Kreislauf von der muskelbepackten Statur überfordert ist. Im Ring mit Andy Ruiz wirkt er wie ein Bodybuilder, der einem nach gängigen ästhetischen Maßstäben äußerlich eher unansehnlichen Kontrahenten gegenübersteht. Daß diese Ästhetik als solche das Verhängnis ist und über die Qualitäten eines hervorragenden Boxers wie Ruiz nicht das geringste aussagt, zumal sie wie in diesem Fall sogar fatalen Fehleinschätzungen Vorschub leistet, müßte dem Briten eigentlich dämmern. Doch selbst wenn die Einsicht endlich reifen sollte, daß er keinen Schönheitswettbewerb zu gewinnen hat, bedürfte es einer grundsätzlichen und langwierigen Umgestaltung des gesamten Trainingsprogramms.

Was kritische Stimmen seit jeher an Anthony Joshua bemängelt haben, konnte Eddie Hearn mit einer exzellenten Auswahl jeweils passender Gegner lange Zeit aus dem Feld schlagen. Es kamen günstige Gelegenheiten, gewogene Ringrichter und in zunehmendem Maße die Dominanz des erfolgreichen britischen Gespanns zu Hilfe, so daß die Möglichkeiten, Joshuas Karriere auszusteuern, anwuchsen. Schon Wladimir Klitschko hatte es in der Hand, dem ein vorläufiges Ende zu setzen, doch ließ er den fast schon geschlagenen Briten leichtfertig davonkommen. Andy Ruiz hat die längst bekannten Grenzen Joshuas nicht etwa offengelegt, sondern beherzt aus ihnen Kapital geschlagen. Sollte er bei der Revanche nicht minder entschieden zu Werke gehen als beim ersten Streich, sieht es finster für den britischen Hoffnungsträger aus.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/07/andy-ruiz-jr-says-no-uk-joshua-rematch-in-u-s-or-mexico/

[2] www.boxingnews24.com/2019/07/hearn-expects-to-decide-joshua-vs-ruiz-jr-rematch-venue-this-weekend/

13. Juli 2019


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