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MELDUNG/2324: Mittelgewicht - Deutungsmacht sticht ... (SB)



Daniel Jacobs empfiehlt sich Saul "Canelo" Alvarez

Wenn Saul "Canelo" Alvarez am 4. Mai 2019 in Las Vegas seinen nächsten Auftritt gibt, möchte Daniel Jacobs mit ihm in den Ring der T-Mobile Arena steigen. Als Weltmeister der IBF im Mittelgewicht rechnet sich der New Yorker gute Chancen aus, das Interesse des Mexikaners zu wecken, der Champion der Verbände WBA und WBC in derselben Gewichtsklasse ist. Zudem hat sich "Canelo" am 15. Dezember durch einen Sieg über den Briten Rocky Fielding im Madison Square Garden den sekundären Titel des regulären WBA-Weltmeisters im Supermittelgewicht gesichert. Es steht jedoch zu erwarten, daß er nach diesem Ausflug ins niedrigere Limit zurückkehren wird. [1]

Fielding, der nach allgemeiner Auffassung als schwächster Weltmeister im Supermittelgewicht galt, erwies sich als leichte Beute für den Mexikaner. Dieser Coup erlaubte es ihm, den gefährlichsten Gegnern im Mittelgewicht wie Gennadi Golowkin und Jermall Charlo aus dem Weg zu gehen, ohne sein Gesicht zu verlieren. Schließlich ging er ja das Wagnis eines Aufstiegs in die höhere Gewichtsklasse ein und sicherte sich dort auf Anhieb einen Titel. Er dachte sogar laut darüber nach, dort zu bleiben, doch hätte das zwangsläufig bedeutet, sich in absehbarer Zeit mit Callum Smith zu messen, dem Superchampion der WBA und derzeit wohl besten Akteur dieses Limits. Daß "Canelo" und sein Team dieses Risiko nicht eingehen, liegt auf der Hand.

Während Jacobs und sein britischer Promoter Eddie Hearn von Matchroom Boxing offensiv für einen Kampf gegen Alvarez werben, enthält sich Oscar de la Hoya von den Golden Boy Promotions bislang jeden Hinweises, nach welchem Kontrahenten ihm gegenwärtig der Sinn steht. Wenngleich De la Hoya den IBF-Champion vor einiger Zeit als möglichen Gegner ins Gespräch gebracht hat und gute Geschäftsbeziehungen zu Eddie Hearn unterhält, gibt er sich mit Blick auf mögliche Verhandlungen nicht die Blöße, Daniel Jacobs als Wunschkandidaten auszuweisen. Grundsätzlich dürften die Interessen in dieser Konstellation ungleich verteilt sein. Für "Canelo" wäre der New Yorker nicht gerade der große Wurf, da Jacobs Anfang 2017 gegen Gennadi Golowkin verloren hat.

Damals schloß sich der Mexikaner jener Fraktion an, die von einem ganz knappen Ausgang des Kampfs sprachen und Jacobs ebenbürtig, wenn nicht gar überlegen sahen. Diese Einschätzung speiste sich jedoch vor allem daraus, daß Golowkin erstmals seit 2008 nicht vorzeitig gewonnen hatte. Wenngleich sich verschiedene Gründe wie insbesondere die beiderseitige taktische Marschroute anführen ließen, warum der Niederschlag ausgeblieben war, trug "Canelo" nach Kräften zur Aufwertung der These bei, sein Erzrivale sei in die Jahre gekommen und lasse sichtlich nach. Rückblickend gesehen nahm damit ein Kampf um die Deutungsmacht seinen Lauf, der dazu führen sollte, daß der Mexikaner ein Unentschieden im ersten Duell mit Golowkin und sogar einen Sieg bei der Revanche geschenkt bekam. Beide Kämpfe fanden in Las Vegas statt, wo Saul Alvarez de facto nicht nach Punkten verlieren kann.

Nüchtern eingeschätzt hatte Daniel Jacobs geschickt gegen Golowkin gekämpft und sich den gefürchteten Schlägen des Favoriten durch ständige Bewegung entzogen. Dessen ungeachtet erwies sich der Kasache definitiv als der überlegene Boxer, so daß an der Niederlage des New Yorkers nicht zu rütteln war. Jacobs, der zuvor nur gegen Dmitri Pirog verloren hatte, schien im Kampf gegen Golowkin einen erheblichen Teil seiner früheren Substanz eingebüßt zu haben. Er setzte sich zwar zuletzt gegen Macij Sulecki und beim Titelgewinn gegen Sergej Derevjantschenko durch, doch konnte er dabei von Glück reden, ungeschoren davongekommen zu sein. Will er noch einmal sehr viel Geld verdienen und zumindest seine Außenseiterchance wahren, muß der Kampf gegen "Canelo" sobald wie möglich über die Bühne gehen. Ansonsten liefe Jacobs Gefahr, einem anderen Gegner zu unterliegen, womit er kein Thema für den Mexikaner mehr wäre.

Sollte sich Saul Alvarez darauf verlegen, alle Titel im Mittelgewicht zusammenzuführen, wäre Daniel Jacobs die erste Wahl. Behielte der Mexikaner dabei die Oberhand, könnte er sich den WBO-Weltmeister Demetrius Andrade vornehmen, um ihm die vierte und letzte maßgebliche Trophäe in dieser Gewichtsklasse abzujagen. Da auch Andrade bei Matchroom Boxing USA unter Vertrag steht, wäre das nach Fielding und Jacobs bereits der dritte Akteur Eddie Hearns in Folge, mit dem es "Canelo" zu tun bekäme. Dann würde der britische Promoter vermutlich darauf drängen, daß der Mexikaner im Supermittelgewicht gegen Callum Smith antritt.

Was Demetrius Andrade betrifft, ist der bislang ungeschlagene Rechtsausleger angesichts seiner mobilen Kampfesweise ein unbequemer Gegner, der sich nur selten stellen läßt. Bei seinem letzten Auftritt setzte er sich nach einem langweiligen Kampf einstimmig nach Punkten gegen den wenig bekannten Walter Kautondokwa durch und baute seine Bilanz auf 26 Siege aus. Am 18. Januar trifft Andrade im Madison Square Garden auf Artur Akavow, die Nummer acht der WBO-Rangliste. Der Kampf wird vom Streamingdienst DAZN übertragen, mit dem Eddie Hearn einen langfristigen und hochdotierten Vertrag abgeschlossen hat, den er unablässig im Vereinigten Königreich und in den USA bedient. Der britische Promoter wird Andrade absehbar solange mit handhabbaren Herausforderern versorgen, bis er eine Chance gegen "Canelo" bekommt.

Neben Gennadi Golowkin verkörpert Jermall Charlo die größte Gefahr für Saul Alvarez im Mittelgewicht. Der 28jährige Interimsweltmeister des WBC aus Houston ist in 28 Kämpfen ungeschlagen und für gewöhnlich wesentlich besser als beim mühsamen Punktsieg gegen Matt Korobow am vergangenen Wochenende in New York. Ihm fiel es recht schwer, mit dem in der Rechtsauslage boxenden und geschickt konternden Russen zurechtzukommen, was jedoch keineswegs darauf schließen läßt, daß seine Grenzen damit bereits abgesteckt seien. "Canelo" ist kleiner als Korobow und könnte Charlo nicht einfach überrennen, wie er das zuletzt mit Fielding getan hat.

Solche Einwände will der renommierte Trainer Roberto Garcia nicht gelten lassen, dessen Einschätzung zufolge "Canelo" die Oberhand gegen seinen Pflichtherausforderer Jermall Charlo behielte, wenn die beiden schließlich aufeinandertreffen. Die Zwillingsbrüder Jermall und Jermell Charlo seien talentierte und gute Boxer, doch "Canelo" sei stark, verbessere sich laufend weiter und verfüge über die geeignete Kampfesweise, sich dabei durchzusetzen. Er behaupte nicht, daß es ein leichter Kampf wäre, den der Mexikaner bereits in der Tasche habe. Aber er sei überzeugt davon, daß Saul Alvarez zumindest im Mittelgewicht keinen Gegner fürchten müsse. Ihm stünden bedeutende Kämpfe in Aussicht, die er hoffentlich auch bestreiten werde. Es wäre doch langweilig, ihn abermals mit vergleichsweise schwachen Gegnern wie zuletzt in New York im Ring zu sehen. Verdenken könne man es "Canelo" aber nicht, daß er nach dem schweren Gang gegen Golowkin eine leichtere Etappe einlege. Das machten alle Boxer, aber nur Alvarez werde für etwas kritisiert, was sein gutes Recht sei.

An Saul "Canelo" Alvarez scheiden sich einfach die Geister, wobei niemand in Abrede stellt, daß er ein außergewöhnlicher Boxer ist. Während die einen zu ihm halten und der Überzeugung sind, er habe auch Gennadi Golowkin in die Schranken gewiesen und sei der unangefochtene Superstar der Branche, machen seine Kritiker geltend, er habe die vier oder fünf wichtigsten Kämpfe seiner Karriere nur mit Hilfe ihm gewogener Punktrichter nicht verloren. Zudem steuere ihn sein Promoter Oscar de la Hoya seit Jahren an den gefährlichsten Rivalen vorbei und erfinde zur Begründung die abenteuerlichsten Ausflüchte. Überdies verfügt "Canelo" bislang über die Fähigkeit, nach dem offiziellen Wiegen durch nächtliche Rehydration sehr viel Gewicht zuzulegen, ohne deshalb mehr als seine üblichen Konditionsprobleme erkennen zu lassen. Der Mexikaner ist angesichts seiner riesigen Fangemeinde beiderseits der Grenze nach dem Rücktritt Floyd Mayweathers insofern der Platzhirsch, als er in den USA die Arenen füllt und die besten Quoten im Fernsehen einfährt. Er ist deshalb unentbehrlich nicht nur für seinen Promoter Golden Boy, sondern auch für Las Vegas und die gesamte Branche.

Gennadi Golowkin wurde beim ersten Kampf gegen "Canelo" in der T-Mobile Arena mit einem krassen Fehlurteil über den Tisch gezogen, so daß er sich mit einem Unentschieden abspeisen lassen mußte. Bei der Revanche am selben Austragungsort boxte der Mexikaner besser als bei ihrer ersten Begegnung, aber keineswegs überlegen, wie seine Anhänger behaupteten. Las man die Berichte von Befürwortern und Kritikern des Mexikaners, konnte man glauben, von zwei völlig verschiedenen Kämpfen zu hören. Wie immer in solchen Fällen empfiehlt sich ein Studium der Aufzeichnung, am besten ohne Ton, um sich vom Toben des Publikums nicht beeinflussen zu lassen, das jeden Schlag seines Favoriten wie einen Volltreffer bejubelt. Die eigenständige Sichtung des Materials unterstützt die Statistik von CompuBox, wonach Golowkin wesentlich häufiger geschlagen und auch häufiger getroffen hatte. Und da er in den letzten Runden offensiver zu Werke gegangen war und die wirksameren Schläge ins Ziel gebracht hatte, wäre ein knapper Vorsprung zu seinen Gunsten die angemessene Wertung gewesen.

Seither hat sich unter Experten, wenngleich nicht auf ganzer Linie so doch wohl mehrheitlich, die Auffassung durchgesetzt, daß Saul Alvarez in Las Vegas stets die Oberhand behält, sofern es zu einer Punktwertung kommt. Golowkins Promoter Tom Loeffler blieb aufgrund seiner schwächeren Verhandlungsposition kaum eine andere Wahl, als abermals einer Austragung in der T-Mobile Arena zuzustimmen. Sollte es jemals zu einem dritten Kampf kommen, wird er mit Sicherheit nicht an einem neutralen Ort, sondern zwangsläufig in Las Vegas stattfinden. Mit dem Sieg bei der Revanche in der Tasche wird Oscar de la Hoya erst recht nicht zulassen, daß sein wichtigster Boxer anderswo entzaubert wird. "Canelo" ist zwar gegen Rocky Fielding erstmals in New York angetreten, doch war das Risiko angesichts des relativ schwachen Gegners kalkulierbar. Der Mexikaner setzte sich binnen vier Runden durch und wird am 4. Mai 2019 definitiv wieder vor heimischer Kulisse in der T-Mobile Arena kämpfen. Wer immer dort auf ihn trifft müßte ihn schon geschlagen auf die Bretter schicken, um zum Sieger erklärt zu werden.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/12/daniel-jacobs-were-trying-to-secure-the-canelo-fight/

30. Dezember 2018


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