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MELDUNG/2209: Superman meidet Vabanquespiele (SB)



Adonis Stevensons zweiter Name ist Nummer Sicher

In der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince geboren, ist Adonis Stevenson seit langem kanadischer Staatsbürger und lebt in Blainville, Quebec. Im Alter von mittlerweile 40 Jahren sitzt "Superman", wie er sich im Ring nennt, als WBC-Weltmeister im Halbschwergewicht so fest im Sattel, als sei er eine unabweisliche Institution. Daß ihm der in Las Vegas lebende Schwede Badou Jack nun den Titel streitig machen will, gibt im Nebenlauf Aufschluß darüber, wie es dem Kanadier gelungen ist, sich seit dem 8. Juni 2013 WBC-Champion nennen zu dürfen. Damals schickte er den hoch gehandelten US-Amerikaner Chad Dawson im Bell Centre von Montreal bereits in der ersten Runde geschlagen auf die Bretter und stieg damit zum Weltmeister auf.

Das Bell Centre taucht im Laufe seiner Profikarriere immer wieder als Austragungsort der Kämpfe auf, wahlweise in jüngerer Zeit mitunter auch das Pepsi Coliseum in Quebec City oder seltener andere große Hallen in diesen beiden Städten. Der Champion tritt ausschließlich im eigenen Land und damit vor heimischem Publikum an, womit er sich dauerhaft einen Vorteil sichert. Die einzige Niederlage seiner Laufbahn bezog er im April 2010 bei einem seiner ganz wenigen Kämpfe in den USA, als er überraschend dem krassen Außenseiter Darnell Boone in Salisbury unterlag, an dem er sich dann drei Jahre später revanchierte.

Die kommende Titelverteidigung gegen Badou Jack ist nur deshalb möglich, weil sich der Pflichtherausforderer Eleider Alvarez dafür ausbezahlen läßt, sein Vorrecht zurückzustellen. Damit sind wir beim zweiten Kunstgriff des Champions, den Konditionen seiner Kämpfe nachzuhelfen. Alvarez läßt sich bereits zum zweiten Mal finanziell abfinden, nachdem er sich im Sommer schon einmal auf eine offenbar lukrative Entschädigung eingelassen hat, so daß Stevenson einen Gegner seiner Wahl vorziehen konnte. Tatsächlich hat der Kanadier seinen Titel zuletzt vor vier Jahren pflichtverteidigt, als er den Briten Tony Bellew am 30. November 2013 in Quebec City bezwang. Diese Praxis, die vom Verband protegiert wird, erlaubt es Stevenson, gefährlichen Kontrahenten aus dem Weg zu gehen und sich paßförmige Kandidaten für seine freiwilligen Titelverteidigungen auszusuchen. Für die führenden Akteure der WBC-Rangliste ist das natürlich eine frustrierende Situation, da ihre Chancen auf einen Titelkampf in unabsehbar weite Ferne rücken. [1]

Läßt man die letzten Herausforderer des Weltmeisters Revue passieren, zeichnet sich ein recht klares Muster ab. Es sind zwar nicht völlig unbekannte Namen, aber eben auch keine Rivalen der höchsten Kategorie, die Stevensons Regentschaft ernsthaft gefährdet hätten. Daß ihm diese Praxis seit Jahren vorgeworfen wird, stört ihn offenbar wenig, da er sie unbeirrt durchträgt. Sein namhaftester Gegner nach dem Titelgewinn war Tavoris Cloud im September 2013, dann folgten noch im selben Jahr Tony Bellew, 2014 der in New York lebende Pole Andrzej Fonfara und der Russe Dmitri Suckotski, 2015 Sakio Bika und Tommy Karpency, im vergangenen Jahr nur Thomas Williams und schließlich am 3. Juni 2017 noch einmal Andrzej Fonfara, obgleich schon ihr erster Kampf klar genug zugunsten Stevensons ausgegangen war, als daß jemand eine Revanche herbeigesehnt hätte. Alvarez wurde ausbezahlt und der Champion nahm sich im Bell Centre den Polen zur Brust, der bereits in der zweiten Runde geschlagen am Boden lag.

So machte der in der Rechtsauslage boxende Adonis Stevenson seinem Ruf alle Ehre, gewaltig zuschlagen zu können, doch waren die Umstände dieses einseitigen Kampfs schlichtweg enttäuschend. Als Eleider Alvarez am 3. Juni im Vorprogramm gegen Jean Pascal antrat und dabei knapp nach Punkten die Oberhand behielt, schien dies der Vorbereitung auf einen nachfolgenden Kampf gegen Stevenson zu dienen. Nun stellt sich heraus, daß dieses Manöver insofern eine Zeitverschwendung war, als Alvarez abermals auf sein Vorrecht verzichtet und diesmal Badou Jack den Vortritt läßt. Warum der 33jährige riskiert, seine besten Jahre damit zu vergeuden, auf Stevenson zu warten, ist nicht klar. Womöglich nimmt er einfach viel Geld mit und geht davon aus, daß der Weltmeister um so mehr nachgelassen hat, wenn er ihn einige Zeit später vor die Fäuste bekommt.

Stevenson, für den 29 Siege und eine Niederlage zu Buche stehen, hat im Laufe von vier Jahren seinen Titel nur achtmal verteidigt und pflegt gewissermaßen jenseits der Turbulenzen aller übrigen Verbände gravitätisch, aber gemächlich seine Regentschaft. Wenngleich er stets für sich in Anspruch genommen hat, der beste Halbschwergewichtler der Welt zu sein, ging er nie ernsthaft auf die Forderung Sergej Kowaljows ein, ihre Titel zusammenzuführen, als der Russe noch Weltmeister der WBA, WBO und IBF war. Dies führte zwar des öfteren zu heftigen verbalen Kontroversen, verleitete den Kanadier aber nicht zu riskanten Vabanquespielen um die alleinige Vorherrschaft in seiner Gewichtsklasse.

Kowaljow war lange die treibende Kraft, was einen Kampf gegen Stevenson betraf, in dem die Frage nach dem weltbesten Halbschwergewichtler endgültig geklärt werden sollte. Zeitweise schien die Realisierung dieses Duells zum Greifen nahe, da beide Akteure beim Sender HBO unter Vertrag standen. Dann wechselte der Kanadier jedoch überraschend zu Showtime, was zum einen damit zusammenhing, daß er sich dem einflußreichen Berater Al Haymon anschloß, der ausschließlich mit diesem Sender kooperiert. Stevensons Schachzug gab jedoch zwangsläufig zu Spekulationen Anlaß, er gehe damit Kowaljow aus dem Weg, den er bis dahin als seiner nicht würdig abgetan hatte. Seitdem die beiden wegen ihrer enormen Schlagwirkung gefürchteten Akteure bei verschiedenen Sendern auftraten, war es praktisch unmöglich, sie zusammen in den Ring zu bringen.

Als sich die beiden Lager 2016 endlich doch zusammengerauft hatten, um Nägel mit Köpfen zu machen, scheiterte der ins Auge gefaßte Termin an einer nicht herbeizuführenden Übereinkunft der beteiligten Sender. HBO und Showtime arbeiten seit Jahren nicht mehr zusammen und haben lediglich für den umsatzstarken Kampf zwischen Floyd Mayweather und Manny Pacquiao Anfang Mai 2015 eine Ausnahme gemacht. Das Duell zwischen dem Russen und dem Kanadier stellte zwar ebenfalls eine weithin eingeforderte Sternstunde in Aussicht, die jedoch hinsichtlich des finanziellen Ertrags nicht annähernd so unverzichtbar erschien, weshalb die Verantwortlichen der Sender kein zweites Mal über ihren Schatten sprangen.

Der 34jährige Badou Jack kommt ursprünglich aus dem Supermittelgewicht, wo er WBC-Weltmeister war. Wenige Tage nach seinem turbulenten Kampf gegen den Briten James DeGale, der unentschieden endete, legte der Schwede den WBC-Titel nieder und stieg ins Halbschwergewicht auf. Bei ihrem Duell im Barclays Center in Brooklyn war Jack in der ersten Runde auf den Brettern gelandet, während der britische IBF-Champion im zwölften Durchgang zu Boden gehen mußte, aber ebenfalls wieder auf die Beine kam. Wie Jacks Promoter Floyd Mayweather hinterher bekanntgab, war der Wechsel ins höhere Limit fest eingeplant, da es dem Schweden immer schwerer gefallen sei, vor seinen Auftritten genügend Gewicht zu reduzieren.

Im Halbschwergewicht nahm Badou Jack in seinem bislang letzten Kampf am 26. August dem regulären WBA-Weltmeister Nathan Cleverly aus Wales durch K.o. in der fünften Runde den Titel ab. Seither sind für den Schweden 22 Siege, eine Niederlage sowie zwei Unentschieden notiert. Er legte den zweitrangigen Titel nieder, ohne ihn auch nur ein einziges Mal verteidigt zu haben, und steuert nun Stevenson und dessen WBC-Gürtel an. Vermutlich war Jack bei diesem Manöver nicht zuletzt daran gelegen, dem WBA-Interimsweltmeister Dmitri Biwol aus dem Weg zu gehen. Außerdem läßt sich mit einem Kampf gegen Adonis Stevenson natürlich sehr viel mehr Geld verdienen als im Falle des jungen und gefährlichen, aber beim Publikum noch längst nicht eingeführten Russen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/12/eleider-alvarez-step-aside-let-stevenson-fight-badou-jack/#more-249020

2. Dezember 2017


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