Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2207: Warum nicht gleich im Aztekenstadion boxen? (SB)



Gennadi Golowkin bringt Revanche in Mexiko-Stadt ins Gespräch

Wie Gennadi Golowkin überraschend mitgeteilt hat, möchte er die Revanche mit Saul "Canelo" Alvarez am 5. Mai 2018 im Aztekenstadion der mexikanischen Hauptstadt austragen. Er erklärt sich damit bereit, den Gang in die Höhle des Löwen anzutreten, ist "Canelo" doch der mit Abstand populärste mexikanische Boxer, seit Juan Manuel Marquez die Handschuhe an den Nagel gehängt hat. Warum der Kasache von sich aus vorschlägt, den Rückkampf in Mexiko-Stadt über die Bühne zu bringen, was nicht einmal sein Gegner und dessen Promoter Oscar de la Hoya in Erwägung gezogen haben, bedarf einiger Erläuterungen.

Der erste Kampf der beiden Mittelgewichtler fand am 16. September in der T-Mobile Arena in Las Vegas statt, wo "Canelo" schon viele Male aufgetreten war und als Lokalmatador in den Ring stieg. Golowkin diktierte das Geschehen mit seinem Jab und boxte den Mexikaner zwölf Runden lang aus. Er wurde jedoch von den Punktrichtern über den Tisch gezogen, die teils abstruse Wertungen abgaben, die in der Summe auf ein für Alvarez höchst schmeichelhaftes Unentschieden hinausliefen. Da eine Punktrichterin "Canelo" absurderweise zehn Runden zugesprochen hatte, stand zeitweise der Verdacht im Raum, es habe sich nicht nur um eine krasse Fehlleistung, sondern sogar eine Manipulation gehandelt. Das Team des Kasachen schätzte jedoch die Kräfteverhältnisse realistisch ein und verzichtete auf einen offiziellen Einspruch gegen das Urteil.

Damit stand fest, daß Golowkin in Las Vegas und sicher auch in Texas niemals nach Punkten gegen "Canelo" gewinnen würde. Selbst wenn man voraussetzen wollte, daß das Kampfgericht nicht vorsätzlich Partei für den Mexikaner ergreift, muß man wohl davon ausgehen, daß es sich vom Publikum beeinflussen läßt und zu sehen glaubt, was die mexikanischen Boxfans in ihrer grenzenlosen Euphorie herbeisehnen. Für den Kasachen, seinen Trainer Abel Sanchez und Promoter Tom Loeffler wäre die logische Konsequenz, die Revanche beispielsweise in New York und damit an einem neutralen Ort auszutragen. Darauf würden sich jedoch Saul Alvarez und die Golden Boy Promotions niemals einlassen. [1]

Da Oscar de la Hoya aufgrund der größeren Popularität seines Boxers und der damit verbundenen Einkünfte am längeren Hebel sitzt, diktiert er mehr oder minder, ob der weithin geforderte Rückkampf überhaupt stattfindet. Wenngleich er dann und wann behauptet, daß die Revanche selbstverständlich kommen werde, signalisiert er im nächsten Moment sein Interesse an anderen Optionen. Golowkins Promoter hat zwar angekündigt, daß er nicht länger als bis Anfang Dezember auf eine definitive Zusage warten werde, doch bislang ist nichts passiert. Statt dessen ließ Golden Boy verlauten, man wolle zunächst den Titelkampf zwischen WBO-Weltmeister Billy Joe Saunders und dem Kanadier David Lemieux am 16. Dezember abwarten. Offensichtlich setzt man auf Lemieux, dessen Co-Promoter Oscar de la Hoya ist, und hat überhaupt nicht vor, Golowkin im Mai erneut zu begegnen.

De la Hoya, der selbst ein sehr erfolgreicher und überaus beliebter Boxer war, weiß natürlich, wie gefährlich der Kasache für "Canelo" ist. Um seine Geldmaschine in Schwung zu halten, wird er stets verhindern, daß die Kontrahenten unter gleichen äußeren Bedingungen aufeinandertreffen. Zugleich ist ihm bewußt, wie sehr das Publikum eine Revanche einfordert und es übelnehmen würde, ergriffe man ersichtlich das Hasenpanier. Auch das Team des Kasachen ist nicht naiv und weiß sehr genau, daß der Rückkampf am seidenen Faden hängt. Aus solchen Erwägungen dürfte der unverhoffte Vorstoß Golowkins resultieren, da er das Beharren des gegnerischen Lagers auf dem Heimvorteil in Las Vegas mit seinem Vorschlag noch übertrifft, am besten gleich in Mexiko-Stadt anzutreten.

Was die finanzielle Seite betrifft, ließe sich das gewaltige Aztekenstadion mit diesem Spektakel sicher füllen. Allerdings sind "Canelos" Auftritte in Las Vegas so gut etabliert, daß sich dort alles in allem wohl noch mehr Geld verdienen ließe. Das könnte sich als schlagendes Element erweisen, die Initiative des Kasachen zu entsorgen. Sollte es sich aber vor allem um einen taktischen Schachzug Golowkins handeln, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen, wäre im Falle einer Zurückweisung seines Vorschlags nichts verloren. Er kann den Mexikaner ohnehin nur an einem Ort vor die Fäuste bekommen, wo "Canelo" die Gunst des Publikums und mithin auch der Punktrichter auf seiner Seite hat.

Sollte es tatsächlich zur Revanche kommen, stellt sich dem Kasachen die Kernfrage, auf welche Weise er eine kaum beeinflußbare Entscheidung zu seinen Gunsten herbeiführen kann. Golowkin hat Kell Brook in London in die Aufgabe getrieben und damit den Punktrichtern das Wasser abgegraben, die den Lokalmatador zum Zeitpunkt des Abbruchs in Führung gesehen hatten. Auch dort lag ein Fehlurteil in der Luft, behaupten doch Brook und zahlreiche britische Kommentatoren bis heute, der Kasache habe nur mit viel Glück den absehbaren Untergang abgewendet. Als Golowkin dann Anfang des Jahres in New York auf Daniel Jacobs traf und boxend einen Punktsieg erkämpfte, statt einen Niederschlag zu erzwingen, endete sein Nimbus, jeden Gegner vorzeitig zu besiegen, was seit 2008 durchgängig der Fall gewesen war. Wie sich dabei zeigte, kann der Kasache die gefährlichsten Kontrahenten dank überlegener boxerischer Mittel in die Schranken weisen, auch ohne daß sie am Boden liegenbleiben oder aus dem Kampf genommen werden. Zugleich wird es dabei aber eng für ihn, wenn der Gegner mit einem klaren Heimvorteil antritt, wie das auch bei Jacobs der Fall gewesen war.

Floyd Mayweather jun., Erislandy Lara und Gennadi Golowkin haben Saul "Canelo" Alvarez dank überragender technischer Mittel lektioniert. Mayweather hat gewonnen, Lara verloren und Golowkin ein Unentschieden abbekommen. Von den stilistischen Unterschieden dieser drei Gegner des rothaarigen Mexikaners einmal abgesehen, spiegeln die Punktwertungen vor allem den jeweiligen Einfluß der genannten Akteure in der Branche wider. Der Kasache ist ein aufsteigender Stern, doch "Canelo" ein Platzhirsch, dem die Herde im Zweifelsfall folgt. Um diesem Mißverhältnis ein Ende zu machen, muß Golowkin den Mexikaner geschlagen auf die Bretter schicken und damit für eindeutige Verhältnisse sorgen. [2]

Das ist jedoch leichter gesagt als getan, zumal bei einem anspruchsvollen und robusten Gegner wie "Canelo", der sich nach dem offiziellen Wiegen durch nächtliches Rehydrieren aufzublasen pflegt. Einen Niederschlag mit aller Gewalt erzwingen zu wollen, erweist sich in der Mehrzahl der Fälle als Eigentor. Trainer Abel Sanchez zeigt sich jedenfalls erst dann recht zufrieden, wenn sein Boxer den Modus des Straßenkämpfers zurückfährt und das gesamte Repertoire ausspielt, das weit vielschichtiger ist, als es die meisten Kommentatoren wahrhaben wollen.

Saul Alvarez ist zwar nicht allzu beweglich, aber in einer gewissen Distanz ein schnell schlagender Konterboxer. Seine wohl größte Schwäche besteht indessen darin, daß er in jeder Runde kaum länger als eine Minute hochtourig kämpfen kann und danach Erholungspausen einlegen muß. Bei schwächeren oder körperlich unterlegenen Gegnern fällt ihm das nicht auf die Füße, weil ihre Schläge ihm wenig anhaben können. Das sähe im Falle Golowkins ganz anders aus, dessen Schlagwirkung gefürchtet ist. Gelänge es ihm, "Canelo" so unter Druck zu setzen, daß sich dieser verausgabt und kaum noch ernsthaft kontern kann, wäre das möglicherweise ein Einfallstor, die vorzeitige Entscheidung herbeizuführen. Der Haken dabei ist natürlich, daß der Kasache Risiken eingehen müßte, die er eigentlich nicht nötig hat. Er kann den Mexikaner so ausmanövrieren und ausboxen, daß dieser die Mehrzahl der Treffer einstecken muß und kaum zum Kontern kommt. Da aber die Punktrichter diese Überlegenheit nicht honorieren, ist wohl oder übel eine brachialere Vorgehensweise gefragt.

Ist der Weltmeister der Verbände WBA, WBC, IBF und IBO in die Jahre gekommen, weil er nach 37 Siegen erstmals nur ein Unentschieden erzielt hat? Haben sich bereits gegen Daniel Jacobs Alterserscheinungen abgezeichnet, da er sich mit einem Erfolg nach Punkten begnügen mußte? Diese vielfach kolportierte Kritik steht schon deshalb auf tönernen Füßen, weil Golowkin den langersehnten Kampf gegen "Canelo" nur deswegen bekommen hat, weil dessen Lager nachlassende Qualitäten des Kasachen erkannt zu haben glaubte. Selbst das Fehlurteil von Las Vegas ist insofern nicht zwangsläufig ein Rückschlag, als es das Team des Mexikaners in der Annahme bestärken könnte, im zweiten Anlauf die Oberhand zu behalten. Ohne deswegen über einen vermeintlichen Masterplan Golowkins zu spekulieren, hat ihm doch die aufkeimende Hoffnung der Konkurrenz zumindest Türen geöffnet, die vordem von der Furcht angesichts seiner Dominanz versiegelt waren.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/11/golovkin-wants-canelo-rematch-mexico/#more-248672

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/11/ggg-need-ko-canelo-beat-mexico-city/#more-248796

30. November 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang