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MELDUNG/2190: Russische Namen auf amerikanischer Zunge (SB)



Biwol, Beterbijew, Kowaljow - Wachablösung im Halbschwergewicht

Der Verband WBA setzt seine Ankündigung in die Tat um, seine drei Titel in jeder Gewichtsklasse auf einen zu reduzieren. Die Entuferung in die jeweils mit einem eigenen Gürtel ausgewiesenen Ränge des Superchampions, regulären Weltmeisters und Interimsweltmeisters, welche so oder ähnlich nicht nur bei der World Boxing Association seit Jahren ihr Unwesen treibt, diente aus Sicht der Verbände verschiedenen Zwecken. Zum einen ließ sich mit diesem Verfahren die Zahl angeblich bedeutender Akteure und Kämpfe in die Höhe treiben, zum anderen kassieren die Verbände bei allen Titelkämpfen mit, indem sie einen gewissen Prozentsatz der Börse in die eigene Tasche stecken. Die geradezu zwangsläufige Folge dieser Praxis war jedoch, daß nur noch Experten den Überblick behielten, während dem breiteren Publikum mehr oder minder schleierhaft war, was da im einzelnen gespielt wurde. Wie in jeder anderen Sportart wünscht sich die Zuschauerschaft auch im Boxsport eine nachvollziehbare und eindeutige Rangfolge, ohne deren Kenntnis der überwiegende Teil des Reizes verlorengeht, das Geschehen zu verfolgen und fachsimpelnd zu kommentieren. Verhallt der Ruf nach dem "wahren Champion" allzu lange ungehört, schaufelt sich der Boxsport mangels Idolen und identifikationsstiftenden Vorbildern auf die Dauer sein eigenes Grab.

Wie WBA-Präsident Gilberto Mendoza mitgeteilt hat, gehe sein Verband nun daran, die Situation im Halbschwergewicht zu bereinigen. Dort war Andre Ward der Superchampion, Badou Jack der reguläre Weltmeister und Dmitri Biwol der Interimsweltmeister. Da Ward seine Karriere beendet und Jack den Titel niedergelegt hat, blieb nur noch der 26 Jahre alte Russe übrig. Der in elf Auftritten ungeschlagene Biwol ist ab sofort alleiniger WBA-Weltmeister, sein Kampf gegen den Australier Trent Broadhurst am 4. November in Monte Carlo eine erste freiwillige Titelverteidigung. Der Sieger dieses Duells, das von HBO Boxing übertragen wird, muß sich dann binnen 120 Tagen dem in der WBA-Rangliste bestplazierten Akteur stellen. [1]

Die letztgenannte Auflage mutet recht kompliziert an, ist aber darauf zurückzuführen, daß der Verband Dmitri Biwol gestattet hat, den an Nummer zwei geführten Sullivan Barrera zu überspringen und gegen Broadhurst anzutreten. Barrera gefiel das ganz und gar nicht, da er sich mit Blick auf die Titelvergabe ausgebootet sah. So erklärt sich die auf ihn gemünzte Anweisung der WBA an Biwol, was dessen übernächsten Gegner betrifft. Rein theoretisch könnte natürlich der Australier die Oberhand gegen den nun vollwertigen Weltmeister behalten, doch praktisch wird das kaum passieren. [2]

Dmitri Biwol gilt neben Artur Beterbijew und dem ehemaligen Champion Sergej Kowaljow als gefährlichster Akteur im Halbschwergewicht, das künftig komplett in russischer Hand sein könnte, zumindest was seine höchsten Ränge betrifft. Den Titel des WBC hat der Kanadier Adonis Stevenson in seinem Besitz, der jedoch seit Jahren gewissermaßen auf einem anderen Gleis fährt, so daß es nie zu einem direkten Aufeinandertreffen mit Sergej Kowaljow kam, der längere Zeit Weltmeister aller übrigen Verbände war, bis er von Andre Ward entthront wurde. Der 33jährige Kalifornier gewann auch die Revanche gegen den Russen, in dem allerdings viele Experten abermals den Sieger gesehen hatten, der mit fragwürdigen Mitteln übervorteilt worden sei.

Diese Kontroverse ist jedoch kein relevantes Thema mehr, seit Andre Ward seine Karriere als ungeschlagener Weltmeister beendet hat. Nicht wenige Fachjournalisten vermuten, daß einer der maßgeblichen Gründe für diese Entscheidung war, Dmitri Biwol aus dem Weg zu gehen. Wäre der Kalifornier Champion mehrerer Verbände im Halbschwergewicht geblieben, hätte er sich eher früher als später mit diesem Pflichtherausforderer messen müssen. Zudem hätte ihm wohl auch Artur Beterbijew in absehbarer Zeit im Nacken gesessen, der am 11. November in Fresno, Kalifornien, auf Enrico Kölling trifft. Dieser Kampf war ursprünglich als Qualifikation beim Verband IBF ausgewiesen, wurde aber nach dem Rücktritt Wards zum Duell um den nunmehr vakanten Titel aufgewertet.

Beterbijew hätte Ward vor kaum lösbare Probleme gestellt, da er im Unterschied zu Kowaljow höchst gefährlich in der Nahdistanz ist. Er kann einen Gegner im Infight niederschlagen, so daß sich der Kalifornier ausgerechnet in seinem bevorzugten Metier der größten Gefahr ausgesetzt sähe. Solange Ward gegen Kowaljow aus der Distanz boxte, stand er auf verlorenem Posten und landete in ihrem ersten Kampf prompt nach wenigen Runden auf den Brettern. Erst als er dem Russen dicht zu Leibe rückte, klammerte, wühlte, festhielt und zugleich schlug, die Grenzen des Regelwerks unter Duldung des Ringrichters ständig strapazierte und überschritt, gewann er die Oberhand. Im Falle Artur Beterbijews würde er sich bei dieser Vorgehensweise wuchtige Treffer einhandeln und kaum zwölf Runden überstehen.

Doch solche Überlegungen spielen nun keine Rolle mehr, da Andre Ward die Boxhandschuhe mangels lukrativer Perspektiven und aufgrund körperlichen Verschleißes an den Nagel gehängt hat. Dmitri Biwol ist neuer Weltmeister der WBA, Artur Beterbijew wird wohl in Kürze denselben Rang beim Verband IBF bekleiden. Sergej Kowaljow ist derzeit dabei, die WBO zu überzeugen, daß sein nächster Auftritt zum Kampf um den vakanten Titel aufgewertet wird. Soweit sich Fans und Kommentatoren in den USA noch nicht mit den Namen russischer Weltmeister im Halbschwergewicht vertraut gemacht haben, wird es höchste Zeit. Die Karten sind neu gemischt.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/espn/now

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/10/bivol-vs-broadhurst/#more-244801

13. Oktober 2017


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