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MELDUNG/2182: Ein klarer Fall für die Ruhmeshalle (SB)



Andre Ward erklärt seine Karriere für beendet

Im Alter von 33 Jahren hat Andre Ward überraschend seine Karriere für beendet erklärt. Dieser Schritt mutet insofern erstaunlich an, als der Kalifornier erst vor drei Monaten auch die Revanche gegen Sergej Kowaljow gewonnen und damit die Titel der Verbände WBA, WBO und IBF im Halbschwergewicht erfolgreich verteidigt hat. Bislang stand Wards ambitioniertes Vorhaben im Raum, einen hochdotierten Kampf im Cruisergewicht auszutragen und danach sogar ins Schwergewicht aufzusteigen, um sich dort mit dem Weltmeister Anthony Joshua zu messen. Da sich diese Pläne offenbar zerschlagen haben, hängt der in 32 Auftritten ungeschlagene Champion die Boxhandschuhe an den Nagel.

Die beiden Kämpfe gegen Kowaljow wurden vom Sender HBO im Pay-TV vermarktet, doch wäre Ward bei einem Verbleib im Halbschwergewicht höchstwahrscheinlich wieder aus dem Bezahlfernsehen in die kostenfreie Übertragung zurückgerutscht, was seine Einkünfte erheblich geschmälert hätte. Zudem stünden ihm als Weltmeister dreier Verbände in absehbarer Zeit Pflichtverteidigungen gegen so gefährliche Herausforderer wie Artur Beterbijew und Dmitri Biwol ins Haus. Beterbijew dürfte im Infight selbst Ward überlegen sein, der damit seiner Domäne beraubt wäre. Und Biwol ist ein Gegner, der mit beiden Händen so wirkungsvoll wie Gennadi Golowkin schlagen kann, so daß der Kalifornier auch in diesem Fall nichts zu lachen hätte.

Aus diesem Grund ging niemand davon aus, daß Ward im Halbschwergewicht bleiben würde, um seine Titel zu verteidigen. Auch sollte man nicht vergessen, daß er in beiden Fällen nur umstritten gegen Sergej Kowaljow gewonnen hat. Im November 2016 schien er auf der Verliererstraße zu sein, bis ihm die Punktrichter überraschend den Sieg zusprachen, der noch lange für hitzige Kontroversen sorgen sollte. Bei der Revanche im Juni versetzte er dem Russen drei Tiefschläge in Serie, worauf Ringrichter Tony Weeks, der davon nichts bemerkt hatte, Kowaljow aus dem Kampf nahm. An einem Kräftemessen mit WBC-Champion Adonis Stevenson zeigte sich Ward nicht interessiert.

Seine Signale, er sei geneigt, gegen den früheren WBC-Weltmeister Tony Bellew im Cruisergewicht anzutreten, riefen zunächst eine positive Antwort des Briten auf den Plan. Inzwischen hat sich Bellew jedoch auf eine Revanche mit seinem Landsmann David Haye im Schwergewicht festgelegt, die attraktiver und einträglicher für ihn sein dürfte. Wards Trainer Virgil Hunter führte einen Kampf gegen Anthony Joshua im Munde, der jedoch mit zwei anstehenden Pflichtverteidigungen und einem geplanten Duell der Weltmeister gegen Deontay Wilder aus den USA auf längere Sicht ausgebucht ist. Andre Ward hat den überwiegenden Teil seiner Laufbahn im Supermittelgewicht zugebracht und ist erst in jüngerer Zeit ins Halbschwergewicht aufgestiegen, nachdem ein Kampf gegen Sergej Kowaljow durch einen Vertrag mit dem Sender HBO vorgebahnt war. Die führenden Akteure des Cruisergewichts wie Oleksandr Ussyk, Mairis Briedis, Denis Lebedew und Murat Gassijew sind ihm körperlich derart überlegen, daß ein dauerhafter Wechsel in dieses Limit ohnehin nicht zur Disposition stand. [1]

Mit einer Goldmedaille bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen, der bislang letzten eines männlichen US-amerikanischen Boxers, hatte Andre Ward den Grundstein für eine erfolgreiche Profilaufbahn gelegt. Sein damaliger Promoter Dan Goossen verschaffte ihm 2009 einen Platz im Super-Six-Turnier, das von Promoter Kalle Sauerland konzeptionell entwickelt worden war und vom Sender Showtime umgesetzt wurde. Obgleich man dem Kalifornier im Konzert der weltbesten Supermittelgewichtler nur geringe Chancen eingeräumt hatte, setzte er sich auf beeindruckende Weise gegen die hochkarätige Konkurrenz durch. Durch einen Sieg über den favorisierten Dänen Mikkel Kessler in Oakland sicherte er sich zugleich seinen ersten Titel. In der Folge behielt er auch unangefochten gegen Allan Green, Sakio Bika und Arthur Abraham die Oberhand, worauf er schließlich im Finale 2011 den Briten Carl Froch nach Punkten besiegte, sich einen weiteren Gürtel holte und das Turnier als weltbester Akteur seiner Gewichtsklasse gewann.

Neun Monate später wechselte Ward zu HBO und traf auf Chad Dawson, einen damaligen Weltmeister im Halbschwergewicht. Der Kalifornier setzte sich auch in diesem hochkarätigen Kampf durch, den er in der zehnten Runde zu seinen Gunsten beendete. Es folgte ein jahrelanger Streit mit seinem Promoter Dan Goossen, der erst nach dessen Ableben Ende 2014 einer Lösung zugeführt werden konnte. Ward, der deswegen geraume Zeit keinen Kampf mehr bestritten hatte, schloß sich Roc Nation Sports an und gewann binnen zwölf Monaten gegen Paul Smith, Sullivan Barrera und Alexander Brand, womit er sich auf das bereits vorgeplante Duell mit Sergej Kowaljow im Halbschwergewicht vorbereitete.

Als der Vertrag mit HBO nach den beiden Kämpfen gegen den Russen ausgelaufen war, einigte sich Ward mit dem Sender auf eine weitere Zusammenarbeit, die offenbar auf vier Auftritte ausgelegt war, zu denen es nun nicht mehr kommen wird. Wie sein letzter Rivale Kowaljow anmerkte, sei Wards Rücktritt günstig für den Boxsport, da nun "gute und starke" Akteure um die vakanten Titel kämpfen könnten. Seine beiden Niederlagen seien Geschichte, die er bereits vergessen habe. Er richte seinen Blick nach vorn, um neue Ziele ins Visier zu nehmen. An eine mögliche Rückkehr Wards zu einem späteren Zeitpunkt verschwende er keinen Gedanken.

In einer Stellungnahme legte Andre Ward seine persönlichen Gründe für den Rücktritt dar. Er kehre dem aktiven Boxsport den Rücken, weil er körperlich dessen Anforderungen nicht mehr entsprechen könne und daher nicht länger in den Ring steigen wolle. Da er seiner Familie, seinem Team und den Fans nicht mehr sein Bestes geben könne, ziehe er es vor, die Karriere zu beenden. Während die Öffentlichkeit nur seine Auftritte im Scheinwerferlicht wahrnehme, sei es doch vor allem die Tortur des beständigen Trainings und der Vorbereitung auf den Kampf, die in den letzten zwei oder drei Jahren ihren Tribut gefordert habe. Er habe die Zähne zusammengebissen, um all das durchzustehen, doch nun sei der Zeitpunkt gekommen, einen Schlußstrich zu ziehen. [2]

Ward wird sich künftig wohl auf seine Arbeit als Kommentator bei HBO Boxing konzentrieren und hat im übrigen im Laufe seiner Karriere sicher genug Geld verdient, so daß mit einer Rückkehr in den Ring aufgrund finanzieller Engpässe in seinem Fall nicht zu rechnen ist. Wenngleich er seine erfolgreiche Karriere, in der er geraume Zeit als weltbester Boxer aller Gewichtsklassen gehandelt wurde, früher als erwartet beendet hat, ist ihm der Einzug in die Ruhmeshalle des Boxsports in Cooperstown so gut wie sicher.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/09/andre-ward-retires/#more-243432

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/20775014/pound-pound-king-world-titleholder-andre-ward-says-leaving-boxing

25. September 2017


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