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MELDUNG/2133: Gennadi Golowkins Dilemma (SB)



Wunschgegner "Canelo" sitzt am längeren Hebel

Wie erwartet haben Gennadi Golowkin und sein Promoter Tom Loeffler beschlossen, nicht gegen den WBO-Weltmeister Billy Joe Saunders anzutreten. Statt dessen wollen sie versuchen, den Sieger des Kampfs zwischen Saul "Canelo" Alvarez und dessen mexikanischem Landsmann Julio Cesar Chavez jun. im September vor die Fäuste zu bekommen. Die beiden populärsten Mexikaner treffen am kommenden Samstag in Las Vegas aufeinander. Dem in 37 Auftritten ungeschlagenen Kasachen entgeht damit die Gelegenheit, sich den letzten Titel im Mittelgewicht zu sichern, den er noch nicht in seinem Besitz hat. Saunders verteidigt nun seinen Gürtel am 8. Juli in London gegen den Pflichtherausforderer Avtandil Khurtsidze, der eine beachtliche Schlagwirkung aufzubieten hat, die dem Briten zum Verhängnis werden könnte. Sollte das der Fall sein, stünde es Golowkin natürlich offen, einen Kampf gegen den Georgier anzustreben, der ihn allerdings vor größere Probleme als Saunders stellen würde.

Tom Loeffler zufolge war Golowkins Punktsieg über Daniel Jacobs am 18. März im Madison Square Garden so strapaziös, daß ein Kampf gegen Saunders im Juni zu früh gekommen wäre. Warum der Kasache den körperlich überlegenen Lokalmatador nicht in aller Entschiedenheit angriff, sondern sich zwölf Runden lang aufs Boxen verlegte, ist nicht bekannt. Die hinterher allenthalben kolportierte Version, Jacobs habe nicht nur den Nimbus vorzeitiger Siege des Kasachen gebrochen, sondern diesen regelrecht entzaubert, mutet abwegig an. Eher schon handelte es sich um eine Strategie, Golowkins technische Qualitäten zur Geltung zu bringen und dem Publikum im Bezahlfernsehen ausgiebige Unterhaltung zu präsentieren. Wenngleich Jacobs zweifellos einer der anspruchsvollsten Gegner war, mit dem der führende Akteur des Mittelgewichts bislang im Ring gestanden hat, stellt die nachträgliche Behauptung des New Yorkers, er sei der wahre Sieger gewesen, den Kampfverlauf auf den Kopf.

Zweierlei war aus Perspektive Golowkins schiefgegangen: Zum einen gelang es ihm nicht, den überaus beweglichen Kontrahenten in den späten Runden auf die Bretter zu schicken. Zum anderen fiel die Zahl der Buchungen im Pay-TV mit 170.000 recht bescheiden aus. Daniel Jacobs war zwar regulärer Weltmeister der WBA und in seinem New Yorker Umfeld sehr populär, beim zahlenden Boxpublikum landesweit jedoch kein ausgesprochener Star. Davon abgesehen schreitet die Polarisierung an der Spitze der Branche so unaufhaltsam voran, daß sich nur noch die spektakulärsten Duelle hervorragend verkaufen lassen, was zwangsläufig zu Lasten aller anderen geht. Überdies sind die Kosten zwischen 60 und 80 Dollar für die Übertragung - in Ausnahmefällen sogar um die 100 Dollar - so hoch, daß sich wachsende Teile der Bevölkerung diesen Luxus nicht mehr leisten können.

Wenngleich auf den ersten Blick nicht auszuschließen war, daß der vermeintlich auf ein Durchschnittsmaß reduzierte Kasache weniger furchterregend wirken mochte und deshalb den Kampf gegen Saul "Canelo" Alvarez leichter bekommen würde, dürfte das Gegenteil der Fall sein. Golowkin kann nicht länger mit dem Trumpf einer langen Serie vorzeitiger Siege aufwarten und zudem keine hohen Zuschauerzahlen im Pay-TV ins Feld führen. Daher ist seine Verhandlungsposition eher schwächer als stärker geworden, was "Canelos" Promoter Oscar de la Hoya umgehend unterstrich, indem er Golowkin schlechtredete.

Wie Tom Loeffler betont, sei er weiterhin im Gespräch mit Eric Gomez, dem Präsidenten der Golden Boy Promotions. Sollte "Canelo" den bevorstehenden Kampf gewinnen, habe er erste Priorität in den Plänen Golowkins. Behalte jedoch Chavez die Oberhand, wäre dieser die erste Wahl. Da Oscar de la Hoya jedoch in seinem Unternehmen das letzte Wort hat und einen Kampf gegen den Kasachen seit über einem Jahr im Munde führt, ohne daß es dazu gekommen wäre, ist Skepsis geboten. De la Hoya wird seinen prominentesten Akteur keinesfalls gegen Golowkin antreten lassen, solange er mit einer Niederlage rechnen muß.

Gennadi Golowkin hat notgedrungen schon sehr viel Zeit mit dem Warten auf "Canelo" verschwendet, was auch für die aktuelle Situation gilt. So ist nicht auszuschließen, daß er abermals hingehalten wird und Saul Alvarez eine Revanche mit Chavez vorzieht. "Canelo" und De la Hoya haben sich immer wieder Golowkins Namen bedient, um die Kämpfe gegen James Kirkland, Amir Khan und Liam Smith aufzuwerten, die als Vorspiel zum weithin geforderten Duell mit dem Kasachen interpretiert wurden. Da Golowkin inzwischen 35 Jahre alt ist, scheint man im Lager des Mexikaners unter diversen Ausflüchten darauf zu warten, daß Golowkin seine Gefährlichkeit einbüßt. Dem erst 26jährigen "Canelo" bleibt noch viel Spielraum, den angeblichen Wunschgegner hinzuhalten, zumal er dank seiner riesigen mexikanischen Fangemeinde und einer erheblich größeren Zuschauerzahl im Pay-TV am längeren Hebel sitzt.

Daß Oscar de la Hoya versichert hat, er werde unmittelbar nach dem Sieg "Canelos" gegen Chavez noch im Ring die Kampagne für den Kampf gegen Golowkin auf den Weg bringen, will erfahrungsgemäß nichts besagen. Der erfahrene Promoter setzt jede Menge Gerüchte in die Welt und weiß den eigenen Vorteil wie kaum ein anderer zu wahren. Bedenklich stimmt in diesem Zusammenhang, daß er David Lemieux im Vorprogramm gegen Marcos Reyes antreten läßt und den Kanadier als mögliche Option für "Canelos" Septemberkampf ins Gespräch gebracht hat. Sollte Alvarez verlieren, würde ihm eine zweifellos vertraglich vereinbarte Möglichkeit zur Revanche die Gelegenheit verschaffen, im Herbst einen Rückkampf zu bestreiten. Zudem ist ein Auftritt "Canelos" im Dezember geplant, bei dem Miguel Cotto der Gegner sein könnte. Der Puertoricaner will seine Karriere vor Ablauf des Jahres beenden und wäre mithin eine überaus günstige Wahl für Saul Alvarez, der schon einmal gegen ihn gewonnen hat. [1]

Vieles spricht daher gegen einen Kampf zwischen Golowkin und "Canelo" im Herbst, so daß sich unentwegt die Frage stellt, ob der Kasache nicht besser seiner Wege gehen und Saul Alvarez links liegenlassen sollte. Das ist freilich leichter gesagt als getan, da der mexikanische Rotschopf nun einmal die mit Abstand attraktivste und lukrativste Wahl im Mittelgewicht wäre und ein Sieg über ihn der Türöffner in die Beletage der Zunft sein dürfte. Angesichts dieses Dilemmas möchte man dem Kasachen fast wünschen, daß Julio Cesar Chavez am kommenden Wochenende triumphiert und damit die Karten neu mischt.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/05/golovkin-wait-canelo-chavez-jr-fight-wants-winner/#more-233568

3. Mai 2017


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