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MELDUNG/2070: Kontroverse mit langer Halbwertzeit (SB)



Wertung des Kampfs zwischen Ward und Kowaljow heftig umstritten

Wenngleich der spektakuläre Kampf zwischen Sergej Kowaljow und Andre Ward in Las Vegas inzwischen eine Woche zurückliegt, schlägt die Kontroverse angesichts des umstrittenen Ergebnisses noch immer hohe Wellen. Während die einen der festen Überzeugung sind, Ward habe zu Recht knapp nach Punkten gewonnen (114:113, 114:113, 114:113) und den Russen als Weltmeister der Verbände WBA, WBO und IBF im Halbschwergewicht entthront, attestiert das andere Lager Kowaljow den besseren Auftritt und spricht davon, daß man ihn der Gürtel beraubt habe. Einige Kommentatoren hoben gar den Umstand hervor, daß der in Florida lebende Russe gegen den US-Star vor dessen Publikum und einem durchweg amerikanischen Kampfgericht von vornherein schlechte Karten gehabt habe.

Da der Vertrag die Option einer Revanche enthielt, besteht Kowaljow auf einen sofortigen Rückkampf, der im Frühjahr 2017 über die Bühne gehen soll. Er müsse Ward im zweiten Anlauf geschlagen auf die Bretter schicken, um es nicht erneut auf das fragwürdige Urteil der Punktrichter ankommen zu lassen. Sollte der Kalifornier tatsächlich der Auffassung sein, überlegen gekämpft und verdient gewonnen zu haben, könne ihn ja eigentlich nichts daran hindern, sich erneut auf die Probe stellen zu lassen.

Kowaljow hatte die Chance, frühzeitig Nägel mit Köpfen zu machen, als er Ward in der zweiten Runde mit einer Kombination niederschlug. Der Herausforderer kam jedoch schnell wieder auf die Beine und klammerte geraume Zeit, um sich zu erholen, was der Ringrichter durchgehen ließ. Der Russe setzte nicht entschieden nach und ließ Ward dadurch vom Haken, weil er offenbar glaubte, den Gegner unter Kontrolle zu haben. Da Ward zu diesem Zeitpunkt noch offen mitkämpfte, sah es in der Anfangsphase tatsächlich so aus, als sei Kowaljow mit seinem gefährlichen Jab und der wuchtigen Rechten Herr im Ring.

Der Kampf begann sich jedoch allmählich zu drehen, als ihn Ward dicht am Gegner mehr und mehr in einen Ringkampf verwandelte und Kowaljow dadurch am Schlagen hinderte. Wenngleich der Russe durchweg die härteren Treffer landen konnte, vermied Ward einen Abtausch aus der Distanz und wühlte im Infight, wobei er häufig einen Arm des Gegners festhielt, um selbst zu schlagen. Dieses Metier beherrscht er wie kaum ein anderer Boxer, was freilich nur funktioniert, wenn ihn der Ringrichter gewähren läßt.

Laut der Statistik von CompBox hat der Russe häufiger geschlagen und mehr Treffer erzielt, während Ward allenfalls insofern effektiver boxte, als er relativ gesehen weniger Versuche brauchte, um sein Ziel zu finden. Der US-Amerikaner traf fast ausschließlich mit dem Jab, der wenig Wirkung zeitigte, aber von den Punktrichtern offensichtlich favorisiert wurde. Wenngleich Kowaljow also häufiger und gefährlicher getroffen hatte, stand er am Ende mit leeren Händen da. Daß man sich unter diesen Umständen mit dem offiziellen Ergebnis kaum anfreunden kann, nimmt nicht wunder.

Es fehlte andererseits nicht an Stimmen, die Ward für die Fähigkeit lobten, seine taktische Marschroute im Kampf komplett zu ändern und sich Kowaljows Schwäche in der Nahdistanz zunutze zu machen. Andre Ward ist in 31 Kämpfen ungeschlagen und wird als einer der besten Akteure aller Gewichtsklassen gehandelt, weil er es verstanden hat, jeden Gegner zu neutralisieren. Sich drehend und wendend, greifend und klammernd, doch aus nächster Nähe immer noch schlagend fährt der Kalifornier seine Siege ein. Der Berliner Arthur Abraham, der Däne Mikkel Kessler und der Brite Carl Froch wissen ein Lied davon zu singen, wie wenig Andre Ward, damals noch im Supermittelgewicht, beizukommen war.

Der Kalifornier ist zweifellos ein exzellenter Boxer auf höchstem Niveau, dessen Aufstieg jedoch untrennbar mit wohlwollenden Kampfrichtern verbunden ist, die ihn im Ring gewähren ließen und bei der Punktwertung belohnten. Bezeichnenderweise tritt Ward vorzugsweise im heimischen Umfeld an, ausnahmsweise in Atlantic City oder Las Vegas, nie in New York oder gar im Ausland. Bekäme er es mit einem Referee zu tun, der Klammern konsequent unterbindet, ermahnt und im Zweifelsfall auch eine mit einem Punktabzug verbundene Verwarnung ausspricht, da er kein Wrestling duldet und einen regelkonformen Boxkampf sehen will, wäre Ward seiner entscheidenden Stärken beraubt.

Hätte Kowaljows Trainer John David Jackson seinen Schützling anspornen müssen, rückhaltlos auf den Gegner loszugehen, um ein vorzeitiges Ende herbeizuführen? Das ist leichter gesagt als getan, zumal Ward ein sehr erfahrener und variabler Gegner ist, dem man nicht ins offene Messer laufen darf. Kowaljow ist kein zweiter Gennadi Golowkin, der seinen Gegnern den Fluchtweg abschneidet, in hoher Frequenz zu Kopf und Körper schlagen kann und dabei eine Wirkung entfaltet, die ihresgleichen sucht. Zudem läßt der Kasache kein Klammern zu, so daß selbst Andre Ward kaum Gelegenheit bekäme, sich auf diese Weise durchzusetzen.

Da nun aber die Würfel gefallen sind, geht es für Kowaljow und seinen Trainer vor allem darum, Mittel und Wege zu finden, Ward bei der Revanche den Wind aus den Segeln zu nehmen. Kommt der Russe mit seinem Jab und den gefährlichen Kombinationen zum Zuge, braucht er den Kalifornier nicht zu fürchten. Wie aber kann er den Infight verhindern, bei dem ihm Ward schlichtweg überlegen ist? Da dessen bevorzugte Kampfesweise kein Geheimnis war, wird Jackson zweifellos versucht haben, seinen Boxer darauf vorzubereiten. Das hat jedoch keine ersichtlichen Früchte getragen, da Kowaljow selber kaum schlug, wenn sein Gegner klammerte, und häufig getroffen wurde, sobald er sich aus dem Clinch löste. Da Andre Ward mit allen Wassern gewaschen ist und seine Stärke dicht am Gegner über Jahre perfektioniert hat, kann ihm der Russe auf diesem Gebiet unmöglich den Rang ablaufen. Daher steht Sergej Kowaljow im Falle einer Neuauflage ihres Duells vor dem Problem, den Kontrahenten derart mit Schlägen einzudecken, daß dieser die Lust verliert, sich ihm zu nähern. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/11/kovalev-knockout-ward-rematch-robbed/#more-221890

25. November 2016


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