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MELDUNG/2006: Deutsch-italienischer Dauerbrenner (SB)



Tyron Zeuge trennt sich unentschieden von Giovanni de Carolis

Der 24jährige Berliner Tyron Zeuge ist beim Versuch gescheitert, in seiner Heimatstadt jüngster deutscher Profiweltmeister aller Zeiten zu werden. Vor 5.000 Zuschauern in der Max-Schmeling-Halle trennte er sich nach zwölf Runden unentschieden von Giovanni de Carolis, der damit regulärer Weltmeister des Verbands WBA im Supermittelgewicht bleibt. Wie man einschränkend hinzufügen muß, ist dieser Titel unter dem des Superchampions angesiedelt, den derzeit Felix Sturm innehat. Wie groß der qualitative Abstand zwischen diesen beiden Kategorien ist, hängt natürlich von den jeweiligen Boxern ab, die diese Positionen einnehmen. Da Sturm im Herbst seiner Karriere nicht ohne glückliche Umstände in den Besitz der Trophäe gelangt ist, liegen in diesem Fall keine Welten zwischen den beiden obersten Etagen im Haus der WBA.

Zeuge spielte im Kampf gegen den sieben Jahre älteren Italiener frühzeitig seine bewegliche Beinarbeit und die Schnelligkeit seiner Schläge aus, so daß er anfangs die bessere Figur machte. Er ließ den Weltmeister ein ums andere Mal ins Leere laufen und konterte mit sehenswerten Kombinationen. Der erfahrene De Carolis wußte sich jedoch zu helfen und verlegte sich auf Schläge zum Körper, die er leichter als Kopftreffer anbringen konnte.

So entspann sich ein lebhafter Kampf, bis der Berliner von der siebten Runde an Probleme mit seiner linken Schulter bekam. Wie er später berichtete, habe er Schmerzen verspürt und den linken Arm nicht mehr richtig einsetzen können. Er habe zwar noch versucht, die Auslage zu wechseln und das Beste daraus zu machen, doch habe es leider nicht mehr gereicht. In der Folge gelang es ihm immer seltener, Druck aufzubauen, worauf der Italiener des öfteren in der Halbdistanz mit harten Einzelschlägen zum Kopf durchkam. Lediglich die neunte und zwölfte Runde verliefen noch zu Gunsten des Herausforderers. Am Ende sah einer der drei Punktrichter den Berliner mit 115:114 in Front, während das 114:114 der beiden anderen in der Gesamtwertung den Ausschlag gab.

Giovanni de Carolis behielt damit den Titel und baute seine Bilanz auf 24 Siege, sechs Niederlagen sowie ein Unentschieden aus. Der an Nummer 14 der WBA-Rangliste geführte Tyron Zeuge blieb zwar weiterhin ungeschlagen, schloß aber nach 18 Erfolgen erstmals einen Kampf unentschieden ab. Der Italiener zollte dem Berliner Respekt, der ihn dank seiner Beweglichkeit vor große Probleme gestellt habe. Und sein Trainer Italo Mattioli fügte hinzu, man habe an diesem Abend einen künftigen Champion im Ring gesehen. Tyron brauche nur noch ein wenig mehr Zeit. Dessen Promoter Kalle Sauerland sprach von einer Werbung für den Boxsport, die geradezu nach einer Revanche schreie. Er gehe davon aus, daß sich beiden bald wieder im Kampf um die WBA-Weltmeisterschaft gegenüberstehen würden. Zeuge wird von Jürgen Brähmer trainiert, dem regulären WBA-Weltmeister im Halbschwergewicht. Nach den Worten des Schweriners habe man gerade erst angefangen und werde eine erneute Chance nutzen. [1]

Während die Einschätzung in Zeuges Team trotz des knapp verfehlten Titelgewinns insgesamt positiv ausfiel, übten ausländische Kommentatoren harsche Kritik an der Wertung der Punktrichter. Wenngleich sich der Berliner flüssig bewegt habe und schnelle Hände ins Feld führen könne, ließen seine Schläge doch Wirkung vermissen. Hingegen habe De Carolis durchweg die klareren und härteren Treffer gelandet, weshalb die Mehrzahl der Runden zu seinen Gunsten verlaufen sei. Daß die Einstufung der beiderseitigen Leistungen derart weit divergierte, lag zum einen sicherlich an den unterschiedlichen Boxphilosophien diesseits und jenseits der Großen Teichs. In den USA legt man größeren Wert auf die Wucht der Treffer, während in Europa technisch herausgeboxte Vorteile wenn nicht favorisiert, so doch stärker als von US-amerikanischen Fans und Experten gewürdigt werden.

Von diesen grundsätzlichen Tendenzen abgesehen, geben die unerfreulichen Vorerfahrungen des Italieners mit Auftritten in Deutschland durchaus Anlaß zu Bedenken. Als De Carolis im Oktober 2015 nach Punkten gegen Vincent Feigenbutz verlor, setzte es heftige Kritik an der Wertung, da viele in dem Italiener den besseren Boxer gesehen hatten. Feigenbutz machte damals die Sache noch schlimmer, indem er sich zu unflätigen Äußerungen über den Gegner hinreißen ließ. Als dann in den sozialen Medien ein Proteststurm folgte, sah er sich zu einer Entschuldigung gezwungen. Er sei jederzeit zu einer Revanche bereit und werde dabei auf überzeugende Weise seine Überlegenheit demonstrieren. Im Januar kam es tatsächlich zum Rückkampf, doch diesmal nahm De Carolis die Punktrichter ganz aus der Rechnung und setzte sich in der elften Runde entscheidend durch.

Daß Giovanni de Carolis große Lust verspürt, erneut das Risiko einer Punktwertung zu seinen Lasten einzugehen, indem er Tyron Zeuge eine Revanche gewährt, ist kaum anzunehmen. Ob der Kampfvertrag eine entsprechende Klausel enthielt, die den Italiener zu einem solchen Schritt verpflichtet, ist nicht bekannt. Andererseits kann der Weltmeister mit seinen wiederholten Auftritten in Deutschland vermutlich recht gutes Geld verdienen, das er anderswo kaum bekäme, zumal er in den USA nahezu unbekannt ist. Man kann wohl davon ausgehen, daß nach Vincent Feigenbutz auch Tyron Zeuge eine zweite Chance bekommt, sich mit Giovanni de Carolis zu messen. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxen.com/news-archiv/newsdetails/article/zeuge-muss-warten/23.html

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/07/giovanni-de-carolis-vs/#more-213533

19. Juli 2016


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