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MELDUNG/1990: Wachablösung in Sicht (SB)



Oleksandr Ussyk fordert Krzysztof Glowacki heraus

Der in 26 Kämpfen ungeschlagene Pole Krzysztof Glowacki verteidigt den WBO-Titel im Cruisergewicht am 17. September in Gdansk gegen den Ranglistenersten und Pflichtherausforderer Oleksandr Ussyk, für den neun Siege zu Buche stehen. Als sich die Kontrahenten bei einer Pressekonferenz in Warschau Auge in Auge gegenüberstanden, sah man deutlich, daß der Olympiasieger des Jahres 2012 aus der Ukraine der größere von beiden ist. Dabei lächelte der 29jährige Ussyk in siegessicherer Zuversicht, als stehe für ihn außer Frage, daß er dem gleichaltrigen Champion die erste Niederlage beibringen werde. [1]

Glowacki hatte im August 2015 für eine faustdicke Überraschung gesorgt, als er den langjährigen WBO-Weltmeister Marco Huck geschlagen auf die Bretter schickte. Der Titelverteidiger erzielte im sechsten Durchgang einen Niederschlag und kämpfte in der Folge ohne Rücksicht auf die eigene Deckung, um einen vorzeitigen Sieg zu erzwingen. Wenngleich sich der Pole auf der Verliererstraße zu befinden schien, schickte er Huck in der elften Runde zweimal zu Boden, worauf der Kampf beendet wurde. Da der erstmals in Eigenregie auftretende Marco Huck bei seinem Debüt in den USA zum Zeitpunkt des Abbruchs in Führung lag (96:93, 95:94, 96:93), hätte er lediglich diszipliniert weiterboxen müssen, um den Sieg davonzutragen und seinen Titel zu behalten.

Ein derartiges Geschenk wird der 1,90 m große Oleksandr Ussyk dem sieben Zentimeter kleineren Polen nicht machen, zumal er stärker und technisch versierter als Huck ist. Der Ukrainer wird sicher seine körperlichen Vorteile und boxerischen Fertigkeiten geschickt zu seinem Vorteil nutzen, um Glowacki systematisch das Nachsehen zu geben. In manchen Prognosen ist sogar davon die Rede, daß Ussyk dem Titelverteidiger entweder sämtliche Runden abnehmen oder ihn vorzeitig besiegen werde. Da Glowacki das Überraschungsmoment schon gegen Huck verbraucht hat, wäre es ein Widerspruch in sich zu erörtern, ob der Pole auch diesmal den Favoriten auf dem falschen Fuß erwischen könnte.

Sollte es Glowacki dennoch gelingen, vor heimischem Publikum die Oberhand zu behalten, hätte er die größte Gefahr in der WBO-Rangliste aus dem Feld geschlagen. Dann müßte er sich lediglich über Mairis Briedis und Murat Gassijew Sorgen machen, die im Gegensatz zum Rest der Top 15 als starke Gegner einzuschätzen sind.

Bei seinem letzten Auftritt behielt Krzysztof Glowacki im April gegen den früheren IBF-Weltmeister Steve Cunningham die Oberhand, der sich einstimmig nach Punkten geschlagen geben mußte. Der Pole erzielte in der zweiten Runde zwei Niederschläge und schickte den Herausforderer dann im elften und zwölften Durchgang auf die Bretter. Wie die Wertung der Punktrichter von 115:109, 115:109 und 116:108 zeigt, brauchte Glowacki diese vier Niederschläge, um sicher zu gewinnen. Zwischendurch verlor er etliche Runden an Cunningham, der ihn ausboxte und in höherer Frequenz schlug. Wie schon im Kampf mit Marco Huck zeigte sich auch gegen Steve Cunningham, daß der Pole kein Champion ist, der einen hochklassigen Kontrahenten mit technischen Mitteln unter Kontrolle halten kann.

Oleksandr Ussyk schied bei den Olympischen Spielen 2008 in Beijing im Viertelfinale des Schwergewichts gegen den Italiener Clemente Russo aus, der sich danach gegen Deontay Wilder durchsetzte und schließlich im Finale dem Russen Rachim Tschachkijew unterlag. Ähnlich prominent besetzt war das olympische Turnier 2012 in London: Dort gewann Ussyk im Viertelfinale gegen Artur Beterbijew, deklassierte den Bulgaren Tervel Pulew im Halbfinale und behielt im Finale gegen Clemente Russo die Oberhand.

Der Ukrainer konnte also auf einer soliden boxerischen Ausbildung und erfolgreichen Amateurlaufbahn aufbauen, als er Ende 2013 ins Profilager wechselte. Wenngleich er dort weit weniger Kämpfe als Glowacki bestritten hat, weiß er fast alle Vorteile auf seiner Seite. Er wird sich kaum an den Seilen festsetzen lassen, sondern dank seiner Beweglichkeit solche Engpässe meiden, fleißig mit dem Jab arbeiten und bei Gelegenheit wuchtige Schläge ins Ziel bringen. Zudem pflegt er für eine gewisse Frist nicht mit vollem Einsatz zu schlagen, sondern sich etwas zurückzunehmen, um seinen Gegner irgendwann plötzlich mit heftigen Volltreffern zu überfallen, auf die dieser nicht eingestellt ist.

Glowacki braucht folglich ein robustes Kinn, will er nicht frühzeitig auf dem Boden landen, da Ussyk wahrscheinlich noch härter zuschlägt als Marco Huck. Zudem darf er nicht wie gegen Steve Cunningham viele Runden abgeben, da es ihm schwerlich gelingen würde, den Ukrainer durch einen oder mehrere Niederschläge zu bezwingen. Zumindest ist Ussyk auch für gute Nehmerqualitäten bekannt, und da er wie der Weltmeister in der Rechtsauslage boxt, kann Krzysztof Glowacki nicht einmal daraus einen Vorteil ziehen. Es spricht also vieles dafür, daß ein tief enttäuschtes Publikum in Gdansk am 17. September einen neuen Weltmeister zu sehen bekommt.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/krzysztof-glowacki-vs/#more-212319

25. Juni 2016


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