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MELDUNG/1977: Rekonvaleszent sinnt auf Rache (SB)



Dillian Whyte trifft auf den Franzosen Cyril Leonet

Nach einer Operation an der linken Schulter im Dezember nimmt der ambitionierte britische Schwergewichtler Dillian Whyte am 25. Juni in der Londoner O2 Arena seine Karriere wieder auf. Der 28jährige Brite, für den 16 gewonnene Auftritte und ein Mißerfolg notiert sind, trifft in einem auf sechs Runden angesetzten Kampf auf den vier Jahre älteren Franzosen Cyril Leonet, der zehn Siege, acht Niederlagen und zwei Unentschieden vorzuweisen hat. Das Duell, in dem die ungleichen Rollen klar verteilt sind, findet im Vorprogramm der Titelverteidigung des IBF-Weltmeisters Anthony Joshua gegen den US-Amerikaner Dominic Breazeale statt.

Whyte hat damit bei seinem Auftritt, der im Rahmen der Übertragung durch den britischen Sender Sky Box Office im Pay-TV einem breiteren Publikum zugänglich ist, seinen Erzrivalen Joshua direkt vor Augen, der ihn im Dezember in der siebten Runde besiegt hat. Whyte konnte damals im zweiten Durchgang einen Volltreffer landen, der seinen Gegner in Bedrängnis brachte, zog sich dabei jedoch die Verletzung zu, die ihn in der Folge stark beeinträchtigte und so dem Kontrahenten freie Bahn schuf.

Dillian Whyte strebt eine Revanche gegen seinen populären Landsmann an, um mit einer auskurierten Schulter sich und der Welt zu beweisen, daß er doch der bessere Boxer sei. Noch zu Amateurzeiten hat er diesen Gegner im Jahr 2009 in einem Kampf zweimal niedergeschlagen und am Ende klar besiegt. Ein ähnlicher Verlauf schien sich auch im Dezember anzubahnen, als Joshua ins Wanken geriet. Ob er wenig später gefallen wäre, hätte sich Whyte nicht verletzt, blieb jedenfalls eine offene Frage, die Stoff zur Begründung eines Rückkampfs liefert. Wann es dazu kommen könnte, ist vorerst aber nicht abzusehen, da Joshua erfolgreich weitergezogen und IBF-Weltmeister geworden ist. Auch sein Titelgewinn in London war insofern ein Glücksfall, als er mit dem US-Amerikaner Charles Martin einen relativ schwachen Champion vor die Fäuste bekam, dem Anfang des Jahres der damals vakante Gürtel mehr oder minder in den Schoß gefallen war, als sein Gegner wegen einer schweren Knieverletzung aufgeben mußte.

Es liegt auf der Hand, daß Dillian Whyte für seinen ersten Auftritt nach der Operation an der Schulter keinen gefährlichen Gegner vorgesetzt bekommt. Der Brite wird zunächst prüfen, ob er wieder uneingeschränkt zu Werke gehen kann, und in der Folge sicher versuchen, den Franzosen trotz der verkürzten Anzahl der Runden auf die Bretter zu schicken. Sofern er beschwerdefrei zu boxen imstande ist und wie erwartet mehr oder minder problemlos gegen Cyril Leonet gewinnt, soll im Dezember ein Kampf um den nationalen Titel gegen Dereck Chisora folgen. Die Trophäe als solche ist für beide Akteure von nachrangiger Bedeutung, da es in diesem Duell vor allem darum geht, den Weg für bedeutendere Auftritte zu ebnen.

Da Whyte mitunter als jüngere, größere und stärkere Ausgabe Dereck Chisoras beschrieben wird, dürfte er in diesem Kampf die Oberhand behalten. Diese Charakterisierung ist nicht aus der Luft gegriffen, da die beiden Schwergewichtler eine ähnliche Kampfesweise bevorzugen. Whyte boxt jedoch technisch versierter, verfügt über den besseren Jab und schlägt noch heftiger zu als sein älterer Landsmann, der wohl nur seine weitaus größere Erfahrung in die Waagschale werfen kann.

Einen Kampf gegen Anthony Joshua auf die Bahn zu bringen, wäre an sich kein Problem, da inzwischen auch Whyte bei Matchroom Sport unter Vertrag steht. Ob sich Promoter Eddie Hearn zu dieser Option entschließt, hängt von verschiedenen Gesichtspunkten ab. So ließe sich die Revanche in England ausgezeichnet vermarkten, in den USA jedoch sicher nicht, sofern der Sender Showtime überhaupt bereit wäre, den Kampf dort auszustrahlen. Natürlich muß Joshua zunächst gegen Breazeale gewinnen und Whyte erst Leonet und dann Chisora in die Schranken weisen.

Dereck Chisora für dieses Vorhaben zu gewinnen, sollte nicht allzu schwierig sein, da er derzeit schlechte Karten hat und in den Verhandlungen keine großen Ansprüche stellen kann. Er hat zuletzt einen Kampf um den Titel des Europameisters gegen den Bulgaren Kubrat Pulew verloren, seinen Kollegen in den Reihen des Berliner Promoters Sauerland Event. Auch in diesem Fall spielte der zur Disposition stehende Gürtel keine nennenswerte Rolle, zumal beide Akteure in früheren Jahren schon einmal Europameister waren. Vielmehr stand die Frage an, wer von beiden wieder Tritt fassen und wer zurückfallen würde. Natürlich ist Chisora bewußt, daß ihm mit Dillian Whyte dieselbe Ausgangslage zugedacht wäre, das Trittbrett für einen favorisierten Kontrahenten abzugeben. Sollte er sich diesem Ansinnen verweigern, das angesichts der Zusammenarbeit zwischen Matchroom Sport und Sauerland Event naheläge, würde Eddie Hearn eben einen anderen Gegner für Whyte besorgen, so daß Chisora über kein Druckmittel verfügt.

Unterdessen zeigt sich Dillian Whyte bemüht, seinen kommenden Gegner nicht allzu schlecht aussehen zu lassen. Eddie Hearn habe ihn gefragt, ob er nach seiner Schulteroperation sofort wieder voll zur Sache gehen könne und wolle. Ihm selbst sei daran gelegen, sich mit einer anspruchsvollen Aufgabe zurückzumelden, wofür die bedeutende Veranstaltung in der O2 Arena beste Voraussetzungen biete. Cyril Leonet sei ein guter Akteur, der seit sechs oder sieben Jahren nicht mehr verloren habe. Hier irrt der britische Schwergewichtler, wobei offen bleibt, ob er einer Fehlinformation aufgesessen ist oder es besser gewußt, aber geglaubt hat, niemand werde seine Aussage überprüfen. Cyril Leonet hat 2012 gegen Mickael Vieira und Newfel Ouatah sowie 2014 gegen den weithin unbekannten Japaner Kotatsu Takehara verloren. Aber das grenzt an Erbsenzählerei und ist allenfalls ein Kuriosum am Rande, zumal es keinen Deut an der eindeutigen Rollenverteilung in diesem Kampf ändert. [1]


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/06/dillian-whyte-vs-cyril-leonet-june-25/#more-211680

11. Juni 2016


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