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MELDUNG/1820: Ein Abschied auf Raten (SB)



Devon Alexander unterliegt dem Außenseiter Aron Martinez

Aron Martinez, der vor dem Kampf in Glendale, Arizona, bei den Buchmachern als 50:1-Außenseiter gehandelt worden war, hat die Karriere des ehemaligen Weltmeisters Devon Alexander womöglich beendet. Der frühere Champion im Halbwelter- und Weltergewicht war nach 305 Tagen und damit der längsten Pause seiner Laufbahn in den Ring zurückgekehrt. Der 28jährige Favorit aus St. Louis gab zunächst eine solide Vorstellung, wurde aber mit zunehmender Dauer ihres Duells von seinem fünf Jahre älteren Gegner mehr und mehr in die Defensive gezwungen und herumgestoßen. Martinez legte zwar keine besonderen technischen Fertigkeiten an den Tag, machte aber in einem von häufigem Klammern geprägten Kampf die robustere Figur und wurde dafür von den Punktrichtern mit einer klaren Wertung belohnt (97:93, 97:93, 96:94).

Die ersten Runden gingen an Alexander, der einige Treffer aus der Distanz landen konnte, jedoch bereits in dieser Phase häufiger klammerte als sauber boxte. Den Zuschauern gefiel das nicht, weshalb sie frühzeitig ihrem Unmut Luft machten, wozu sie in der Folge noch reichlich Gelegenheit bekommen sollten. Martinez beschränkte sich mehr oder weniger darauf, mit gesenktem Kopf direkt auf den Gegner loszugehen, der durch diese häufigen Stöße schließlich in der siebten Runde eine Rißwunde über dem rechten Auge davontrug. Er beklagte sich darüber in der Pause bei seinem Trainer Kevin Cunningham, der ihm daraufhin drohte, den Kampf abzubrechen, sollte sein Schützling nicht entschlossener zur Sache gehen.

In einem kurzen Gespräch mit dem übertragenden Sender ESPN während der achten Runde machte Cunningham seinem Ärger darüber Luft, daß Alexander der vereinbarten taktischen Marschroute nicht folge. Martinez marschierte unbeirrt auf den Favoriten los und versetzte ihm kurz vor Ende der achten Runde einen schweren Treffer, der Alexanders Kopf zurückschnellen ließ. Vor dem letzten Durchgang des auf zehn Runden angesetzten Kampfs wies Cunningham seinen Boxer eindringlich an, er benötige nun einen Niederschlag, wolle er das Blatt noch wenden. Alexander wurde jedoch auch in den verbliebenen drei Minuten klar von Martinez dominiert, der den bedeutendsten Sieg seiner Karriere sicher nach Hause brachte.

Damit verbesserte der in Los Angeles lebende gebürtige Mexikaner seine Bilanz auf 20 Siege, vier Niederlagen sowie ein Unentschieden, während für den gestrauchelten Favoriten nun 26 gewonnene und vier verlorene Auftritte zu Buche stehen. Berücksichtigt man, daß Martinez drei seiner letzten vier Kämpfe verloren hatte, mutet sein Erfolg auf den ersten Blick um so erstaunlicher an. Andererseits hätte Alexander gewarnt sein müssen, da der hispanische Gegner bei seinem vorangegangenen Auftritt am 6. Juni Robert Guerrero, der nach wie vor zu den führenden Weltergewichtlern gezählt werden kann, in ihrem Kampf zu Boden geschickt und am Ende nur knapp und umstritten nach Punkten verloren hatte.

Martinez zog nach seinem überraschenden Erfolg mit den Worten Bilanz, die Rolle des Außenseiters sporne ihn nur um so mehr an, sein Bestes zu geben. Zudem sei er körperlich robuster als Alexander und habe stets im Weltergewicht gekämpft. Er habe in den zurückliegenden Wochen beim Sparring mit wesentlich schwereren und zugleich schnellen Partnern trainiert, um sich optimal auf diesen Kampf vorzubereiten. Im Rahmen des Formats Premier Boxing Champions bei ESPN aufzutreten, räume ihm günstigste Gelegenheiten ein, solche Auftritte zu bestreiten, und so sei er bereit, sich mit jedem zu messen, den man ihm im Ring gegenüberstelle. [1]

Devon Alexanders Problem war jedoch weniger die solide und energische Vorgehensweise seines Gegners, als seine eigene nachlassende Verfassung. In früheren Zeiten hätte er einen Kontrahenten dieses Kalibers jederzeit dominiert und nicht zur Entfaltung kommen lassen. Nun hat er bereits den zweiten Kampf in Folge und den dritten seiner letzten vier Auftritte mit einer desolaten Vorstellung verloren. Er war wesentlich langsamer als in der Vergangenheit und schien konditionell nicht in der Lage zu sein, sich länger als drei oder vier Runden von seinem Gegner zu lösen, um aus der Distanz zu boxen.

Vor einigen Jahren gehörte Alexander mit Siegen über namhafte Gegner wie Lucas Matthysse und Marcos Maidana zu den führenden Akteuren im Halbwelter- und Weltergewicht. Die vernichtende Niederlage gegen Shawn Porter im Jahr 2013 war ein Wendepunkt in seiner Karriere, da er seither nie wieder in der Verfassung früherer Tage antrat. Im Dezember 2014 mußte er sich dem Briten Amir Khan klar nach Punkten geschlagen geben, und sein aktueller Versuch, nach langer Pause über den Aufbaugegner Aron Martinez wieder Fuß zu fassen, endete in einem weiteren Debakel.

Hätte Ringrichter Wes Melton das ständige Klammern, Schieben und Wegdrehen Alexanders unterbunden, wäre dessen vorzeitige Niederlage kaum abzuwenden gewesen. Martinez war in der Nahdistanz derart überlegen, daß er in einem regelkonformen Kampf höchstwahrscheinlich einen Niederschlag herbeigeführt hätte. Wenngleich Alexander mit 28 Jahren keineswegs so alt ist, wie er an diesem Abend wirkte, sollte er entweder einen Abschied ins Auge fassen oder zumindest ins Halbweltergewicht zurückkehren. Träfe er auf einen der führenden Weltergewichtler wie Keith Thurman, Shawn Porter, Timothy Bradley, Danny Garcia oder Errol Spence, nähme der Kampf für ihn einen katastrophalen Verlauf. [2]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/13891260/aron-martinez-defeats-devon-alexander-unanimous-decision

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/10/alexander-vs-martinez-selby-vs-montiel-live-results/#more-200512

16. Oktober 2015


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