Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/1629: Ein neues Geschäftsmodell krempelt die Branche um (SB)



Andy Lee verteidigt seinen Titel gegen Peter Quillin

Andy Lee verteidigt den Titel der WBO im Mittelgewicht gegen seinen Vorgänger Peter Quillin. Dieser hatte den Gürtel zurückgegeben, weil er nicht gegen den damaligen Pflichtherausforderer Matt Korobow antreten wollte. Verantwortlich für dieses überraschende Manöver war sein Berater Al Haymon, der bei der Versteigerung der Austragungsrechte gegen Korobows Promoter Roc Nation den kürzeren gezogen hatte. Der Verzicht auf den Titel war um so erstaunlicher, als Quillin damit eine Börse von 1,4 Millionen Dollar entging.

Der Verband ordnete daraufhin einen Kampf um den vakanten Titel zwischen Matt Korobow und Andy Lee an, aus dem der Außenseiter aus Irland als Sieger hervorging. Lee hätte nun eigentlich mit dem Ranglistenersten Billy Joe Saunders in den Ring steigen müssen, der jedoch für eine Entschädigung in unbekannter Höhe auf sein Vorrecht verzichtet und gegen den Sieger antreten wird. Man kann wohl davon ausgehen, daß Al Haymon tief in die Tasche gegriffen hat, um den Briten für diese Vorgehensweise zu erwärmen.

Daß der 31 Jahre alte Quillin unmittelbar nach seinem freiwilligen Rücktritt als Champion sofort eine neue Titelchance bekommt, löste harsche Kritik an der Verbandspolitik, aber auch an dem wachsenden Einfluß Al Haymons aus. Der in 31 Kämpfen ungeschlagene US-Amerikaner gilt als klarer Favorit, während Lee, für den 34 Siege und zwei Niederlagen zu Buche stehen, den absehbaren Verlust seines frischgewonnenen Gürtels wohl nur durch einen Niederschlag abwenden kann. Das war ihm bei seinen letzten beiden Auftritten gelungen, da er jeweils nach Punkten deutlich im Rückstand lag, als er mit dem rechten Haken das Blatt unversehens zu seinen Gunsten wendete.

Sollte sich Quillin erwartungsgemäß durchsetzen, bekäme er auch mit Saunders einen Gegner vor die Fäuste, der ihm liegt. Der Brite ist zwar beweglich und technisch versiert, sieht aber in der Regel schlecht gegen Kontrahenten aus, die aggressiv zur Sache gehen und ihrerseits nicht allzu beschränkt in ihrem Repertoire sind. Welche Börse der US-Amerikaner für den Kampf gegen Lee erhält, ist nicht bekannt, doch dürfte er für die entgangenen 1,4 Millionen entschädigt werden. Rechnet man die mutmaßliche Titelverteidigung gegen Billy Joe Saunders dazu, dürfte Peter Quillin gut damit fahren, den Plänen seines einflußreichen Beraters keine Steine in den Weg zu legen. [1]

Diese Entwicklung liefert neuen Stoff für Spekulationen über die Absichten Al Haymons, der bislang stets im Hintergrund geblieben ist und selten öffentlich in Erscheinung tritt. Indessen setzt er nun das von der Promoterin Kathy Duva abgebrochene Vorhaben in die Tat um, den professionellen Boxsport ins landesweite kostenfreie Fernsehen zurückzubringen, was die Breitenwirkung enorm erhöhen dürfte. Seine Veranstaltungsreihe "Premier Boxing Champion" wird bei NBC zu sehen sein, wozu sich eine Kooperation mit Spike TV gesellt. Überdies führt Haymon offenbar auch Gespräche mit ESPN über eine entsprechende Zusammenarbeit.

Einige ehemals weltbekannte Boxer wie Roberto Duran und Sugar Ray Leonard zollen ihm dafür hohes Lob, andere sehen seine Aktivitäten in einem weniger positiven Licht. Jedenfalls hat seine Präsenz Bewegung in einige stagnierende Karrieren von Boxern gebracht, die mit ihren jeweiligen Promotern in langwierige Streitigkeiten verwickelt waren oder dies immer noch sind. Andre Ward ist inzwischen freigekommen und hat bei Roc Nation unterschrieben. Mickey Garcia zieht vor die Schranken des Gerichts, und Julio Cesar Chavez soll nach langer Zwangspause am 18. April auf Andrzej Fonfara treffen, was sein bisheriger Promoter Bob Arum unbedingt verhindern will. Dieser besteht auf einen letzten Kampf des Mexikaners unter seiner Regie, der seinen Vertrag bis zu Ende erfüllen müsse. Chavez ist jedoch auch mit Haymon assoziiert, der für gewöhnlich bekommt, was er will.

Außerdem sagt man Al Haymon nach, er verschaffe den rund 150 Boxern, die inzwischen Beraterverträge mit ihm abgeschlossen haben, gut dotierte Auftritte gegen nicht allzu gefährliche Kontrahenten. Außenstehenden ist das natürlich ein Dorn im Auge, wobei man nicht außer acht lassen darf, daß zu den monierten Übereinkünften stets zwei Seiten gehören. Billy Joe Saunders hätte die Entschädigung auch ablehnen und auf einen sofortigen Titelkampf gegen Andy Lee bestehen können. Leo Santa Cruz wurde von Haymon aus dem Vertrag mit den Golden Boy Promotions freigekauft, wozu deren Präsident Oscar de la Hoya sein Einverständnis gab.

Soweit bekannt, hat Al Haymon noch keinem Boxer Schaden zugefügt, der für ihn gearbeitet oder ihn verlassen hat. Als der Argentinier Lucas Mattysse seiner Wege ging, wurde keine schmutzige Wäsche gewaschen, wie das bei etlichen Promotern in ähnlich gelagerten Fällen nicht selten der Fall ist. Und sollten Gerüchte zutreffen, wonach die Verträge mit Haymon eine Klausel enthalten, die den Boxern auferlegt, sich nach Ende des Vertragsverhältnisses nicht negativ über ihn zu äußern, wäre das keineswegs ungewöhnlich für die Branche. Das eingangs angeführte Beispiel Peter Quillins spricht jedenfalls für die bislang nicht widerlegte These, daß Al Haymon seine Vertragspartner in finanzieller Hinsicht vergleichsweise gut versorgt. [2]

Um Haymons tendenzielle Monopolbildung angemessen zu analysieren und zu kritisieren, muß man sich mit einem strategischen Entwurf befassen, der wesentlich umfassender als die sattsam bekannte Rivalität miteinander verfeindeter Promoter angelegt ist. Während diese im Zweifelsfall die Karrieren von Boxern blockieren, Verhandlungen verschleppen, Kämpfe verhindern und mitunter die gesamte Branche in Mitleidenschaft ziehen, um ihre Interessen durchzusetzen, scheint Al Haymons Geschäftsmodell die Abläufe eher zu verflüssigen und die Präsentation des professionellen Boxsports für ein landesweites Publikum anzustreben. Die Konsequenzen für alle Beteiligten in Gestalt einer Neugestaltung und -verteilung der generierten Umsätze und abgeschöpften Profite gilt es insofern erst noch auszuloten, als sie die traditionellen Beziehungen und Muster der Branche in mancherlei Hinsicht sprengen und zurücklassen.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/02/andy-lee-vs-peter-quillin-for-the-wbo-160lb-title-saunders-to-step-aside/#more-187927

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/02/the-al-haymon-factor/#more-187948

7. Februar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang