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MELDUNG/1622: Rechnung ohne den Wirt (SB)




George Groves entwirft grandiose Luftschlösser

Vielleicht wird man eines Tages konstatieren, daß der Brite George Groves seinem großen Ziel nie näher gekommen war als im November 2013. Damals stieg er als Außenseiter mit seinem erfahrenen Landsmann Carl Froch in den Ring, dem Weltmeister der Verbände WBA und IBF im Supermittelgewicht. Groves ging so zuversichtlich und angriffslustig zu Werke, daß der Titelverteidiger bereits in der ersten Runde auf dem Boden lag und in der Folge derart verunsichert wirkte, daß er den jungen Herausforderer Runde für Runde davonziehen lassen mußte. Hätte sich dieser damit begnügt, den Gegner zu beschäftigen und seinen Vorsprung weiter auszubauen, wäre ihm wohl die Wachablösung gelungen. Groves war sich seiner Sache jedoch so sicher, daß er weiter den Schlagabtausch suchte und die Gefahr unterschätzte, bis ihn Froch plötzlich mit einem schweren Treffer von den Beinen holte und den Sieg davontrug.

In der Nachlese schlug die Kontroverse hohe Wellen, ob der Abbruch durch den Ringrichter nicht voreilig gewesen sei. Groves forderte eine Revanche, die im Mai 2014 vor der Rekordkulisse von 80.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion über die Bühne ging. Wieder machte der Herausforderer anfangs eine so gute Figur, daß er das unvollendete Werk im zweiten Anlauf zum Abschluß zu bringen schien. Abermals setzte sich der Weltmeister mit zunehmender Kampfdauer immer besser in Szene und riß den Kontrahenten schließlich mit einem Volltreffer aus allen Träumen.

Daß sich George Groves, der zwischen den beiden Kämpfen beim Berliner Promoter Sauerland Event unterschrieben hatte, nach der erneuten vorzeitigen Niederlage nicht hinten anstellen mußte, verdankte er dem WBC. Der Verband gewährte ihm einen Ausscheidungskampf gegen den wenig bekannten Franzosen Christopher Rebrasse, den der Brite im September 2014 recht mühsam nach Punkten gewann. Damit war er neuer Pflichtherausforderer des WBC-Weltmeisters Anthony Dirrell und durfte erneut von einem Titel träumen. Groves bestritt zur Überbrückung einen Kampf gegen Denis Douglin, den er zwar gewann, aber wiederum in enttäuschender Manier absolvierte. Als hätten ihm die beiden Niederlagen gegen Carl Froch die Substanz geraubt, wirkte er ungeachtet des schwachen Gegners wie ein Schatten besserer Tage.

Mit einer Bilanz von 21 Siegen und zwei Niederlagen steht der 26jährige nun vor der Frage, ob er es tatsächlich mit dem ungeschlagenen Anthony Dirrell aufnehmen kann und will, für den 26 gewonnene Auftritte und ein Unentschieden zu Buche stehen. Wenngleich nicht abzusehen ist, wie Groves diesen Kampf gewinnen sollte, schmiedet er hochfliegendere Pläne denn je. Er werde den WBC-Champion besiegen, während James DeGale dessen älteren Bruder Andre Dirrell schlagen und neuer IBF-Weltmeister werden könne. Anschließend biete sich ein Superkampf der beiden britischen Titelträger an, in dem die Gürtel zusammengeführt würden. Das wäre ein phantastisches Ereignis, das selbst den letztjährigen Auftritt in Wembley übertreffe.

Diese Kette der Eventualitäten fängt bodenständig an, verliert sich aber bald in wilden Spekulationen. Carl Froch hat wiederholt erklärt, daß er den IBF-Titel nicht gegen seinen Pflichtherausforderer James DeGale verteidigen will. Folglich wird ihm der Verband den Gürtel früher oder später abnehmen und in einem Kampf zwischen DeGale und dem an zweiter Stelle der Rangliste folgenden Andre Dirrell neu vergeben.

Die Ausgangssituation stellt sich für die Briten jedoch insofern unwägbar dar, als bislang keiner von beiden im Gespräch mit einem der Brüder Dirrell ist. Ob und wann Groves zum Zuge kommt, ist ungewiß, da der WBC-Weltmeister allenfalls dann gegen ihn antreten will, wenn viel Geld dabei zu verdienen ist. Sofern Sauerland nicht mit einer hohen Börse lockt, muß der Herausforderer warten, bis der Champion seine freiwillige Titelverteidigung absolviert hat, vorüber noch etliche Monate ins Land ziehen werden.

Doch selbst wenn es zu den Kämpfen kommen sollte, wie sie Groves vorschweben, dürften die beiden Briten dabei schlechte Karten haben. DeGale ist schlichtweg zu langsam und schlägt zu ausladend, um einem hochklassigen Gegner wie Andre Dirrell gefährlich zu werden. Dieser boxt erheblich variabler und bringt seine Treffer auf kürzerem Wege an den Mann, so daß er diesen Gegner vorführen würde. Alles, wozu James DeGale imstande ist, kann der ältere Dirrell viel besser, so daß ein höchst einseitiger Kampfverlauf zu erwarten wäre.

George Groves, dessen mangelnde Nehmerqualitäten Carl Froch zweimal offengelegt hat, würde Anthony Dirrell um so eher ins Messer laufen. Der WBC-Champion ist nicht nur schnell und technisch versiert, sondern verfügt auch über eine Schlagwirkung, die jene Frochs sogar übertreffen dürfte. Selbst wenn Groves noch einmal in der Verfassung wie vor dem ersten Kampf gegen seinen Landsmann in den Ring steigen könnte, was eher unwahrscheinlich ist, würde das nicht ausreichen, um die volle Distanz mit dem Weltmeister zu überstehen. [1] Viele Experten raten Groves deshalb, lieber eine Revanche mit DeGale anzustreben, den er schon einmal besiegt hat. Davon will der junge Brite jedoch überhaupt nichts wissen, der nach wie vor Qualitäten für sich geltend macht, die seine Darbietungen in den letzten vier Kämpfen bei weitem übersteigen.


Fußnote:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/01/groves-wants-dirrell-then-degale-fight/#more-187589

30. Januar 2015


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