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MELDUNG/544: Amateurbox-Weltverband plant Olympiateilnahme von Profis (SB)



Überfälliger Durchbruch oder ambitioniertes Luftschloß?

Der Amateurbox-Weltverband AIBA plant, künftig auch Profis an Olympischen Sommerspielen teilnehmen zu lassen. Verbandspräsident Wu Ching-Kuo aus Taiwan stellte seinen Entwurf beim Regelmeeting des Exekutiv-Komitees in der kasachischen Hauptstadt Astana vor. Demnach sollen professionelle Boxer bereits bei den Spielen 2016 in Rio de Janeiro um Gold, Silber und Bronze kämpfen, sofern sie die Regularien der AIBA akzeptieren.

Wie diese aussehen sollen, steht allerdings noch nicht fest. Klar ist nur, daß Boxer, die im neuen Konzept "AIBA Professional Boxing" erfaßt sind, nach bestimmen Kriterien bei Olympischen Spielen starten dürfen. Das Programm bewertet die Profis nach nationalen, kontinentalen und weltweiten Ranglisten. Wu Ching-Kuo, der das bisherige Alterslimit der Amateure von derzeit 35 auf 40 Jahre anheben möchte, will Details seiner Idee bis zum Jahresende vorlegen.

An Beispielen für die Teilnahme von Berufssportlern an Olympischen Spielen mangelt es nicht. Professionelle Tennisspieler kämpfen seit 1988 um Medaillen: Steffi Graf siegte damals in Seoul, das Doppel Michael Stich/Boris Becker triumphierte 1992. Basketball ist seit 1992 dabei, Beachvolleyball kam wie Radsport und Baseball vier Jahre später hinzu. Von 2016 an stehen Golf und Siebener-Rugby im Programm.

Der Schweizer Denis Oswald, Mitglied der Exekutive des Internationalen Olympischen Komitees, reagiert zurückhaltend auf diese Entwicklung. Wie er sagte, sei es den Weltverbänden seit der IOC-Session 1981 in Baden-Baden selbst überlassen, ob Profis in ihren Sportarten starten dürfen. Eine Entscheidung über Profiboxen sei in der Exekutive noch nicht gefallen. "Das nächste Mal treffen wir uns am 26. August. Allerdings bin ich nicht so euphorisch, dafür müßte ich mehr darüber wissen, wie sich die AIBA eine Wettkampfgestaltung vorstellt."

Der frühere Bundestrainer Adolf Angrick, derzeit verantwortlich für die österreichischen Amateure, weist auf eines der vielen ungelösten Probleme hin. Dürften Profis an Olympischen Spielen teilnehmen, müßten sie auch ein Startrecht bei den bisherigen Amateur-Weltmeisterschaften haben. Andernfalls würden die WM-Titel entwertet.

Feuer und Flamme für die neue Perspektive ist hingegen Jürgen Kyas, Präsident des deutschen Amateurbox-Verbands: "Es wird Gravierendes, Sensationelles, Umwälzendes passieren!" Dieser Durchbruch werde zu einer weltweiten Stärkung des Boxsports führen. "Das Internationale Olympische Komitee wird uns absolut keine Steine in den Weg legen. Das ist alles schon abgesprochen und lag auf dem Tisch. Das IOC folgt uns bereitwillig, es wäre schließlich ein Riesengewinn für Olympia." Allerdings sieht der 63jährige die Notwendigkeit, beide Teilbereiche sowohl von den Regeln als auch den finanziellen Gegebenheiten her kompatibel zu machen: "Wenn alle an einem Strang ziehen, sollte das bis 2016 gelingen." Andere Sportarten hätten dem Boxen diesbezüglich den Weg bereitet. "Es ist an der Zeit, daß wir das auch tun."

Im Profilager zeigt man sich aufgeschlossen für die Idee, hält aber zugleich mit Bedenken nicht hinter dem Berg. "Bisher waren sich Amateure und Profis spinnefeind - das kam von Amateurseite", sagte Hagen Döring, Sportdirektor des Berliner Sauerland-Boxstalls. "Daß sie sich jetzt öffnen, ist schon revolutionär, so als würden die Grünen mit der CDU regieren. Da wird eine geistige Hemmschwelle überwunden." Der Schritt komme allerdings 20 bis 30 Jahre zu spät: "Sie lernen, aber sie lernen eben langsam."

Der 38jährige sieht jedoch einen Berg von Problemen, der zuvor aus dem Weg geräumt werden müßte. Gegenwärtig seien Profi- und Amateurboxen noch zwei verschiedene Welten. Das gelte nicht nur für die unterschiedliche Kampfdauer, sondern auch für die Trainingsweise. Während Profiställe Helden entwickelten, hätten Amateurverbände aufgrund der öffentlichen Finanzierung andere Ziele. Zudem müßte sich ein Olympia-Profi auf eine Turnierform umstellen, und sein Arbeitgeber wäre gehalten, ihm ein entsprechendes Umfeld zu bieten. Vorerst ungeklärt sei auch die finanziellen Frage. Einmal angenommen, im Finale des Olympiaturniers träfen zwei Profiweltmeister aufeinander. Beide wollen ihre Börsen verdienen, die Boxteams ebenfalls, die Weltverbände sind mit im Boot. Wie stünde es in diesem Fall um den Verlierer? Er wäre für eine außerhalb von Olympia liegende Titelvereinigung diskreditiert, so Döring.

Promoter Kalle Sauerland sieht ebenfalls enormen Klärungsbedarf. Seines Erachtens sind Amateur- und Profiboxen zwei verschiedene Sportarten. Während ein Radrennen oder ein Tennismatch für Profis und Amateure gleich seien, könne man zwölf Runden bei den Profis und dreimal drei Minuten oder auch fünfmal drei bei den Amateuren nicht vergleichen.

Diesen Einwand mag Profitrainer Fritz Sdunek nicht gelten lassen, der mit Andreas Zülow (1988) und Andreas Tews (1992) selbst zwei Olympiasieger geformt hat und sich derzeit mit Profiweltmeister Vitali Klitschko im Trainingslager in Kitzbühel aufhält. "Grundsätzlich ist es eine tolle Sache. Das olympische Boxen würde viel mehr in den Fokus rücken. Beide Seiten müßten aber Abstriche machen", sagt der 64 Jahre alte Coach und verweist darauf, daß es bei den englischen Profis bereits eine vergleichbare Wettkampfform gibt. Die dort ausgetragene Show heißt "Prize Fighter" und wird in Turnierform durchgeführt. Dabei ermitteln in der Regel acht Boxer an einem Abend im K.o.-System über jeweils drei mal drei Minuten den Gesamtsieger, der rund 30.000 Euro Preisgeld erhält. Übertragen wird die Veranstaltung von Sky Sports, bislang gingen 17 Turniere in elf verschiedenen Gewichtsklassen über die Bühne.

Exweltmeister Arthur Abraham ist im Prinzip begeistert, macht sich aber Gedanken über die Rolle reiner Amateure: "Ich weiß nicht, wie ein Kampf laufen soll, wenn in der ersten Runde ein Amateur aus einem kleinen Land gegen einen Profichampion ausgelost wird." Jedenfalls dürfe er unter diesen Umständen seine Karriere nicht so schnell beenden, denn es wäre doch Wahnsinn, Olympiasieger zu werden, meint der Berliner.

Sein alter Intimfeind Felix Sturm, Superchampion der WBA im Mittelgewicht, ist ausnahmsweise gleicher Meinung. Er könne sich das gut vorstellen, da er ja schon als Amateur wie ein Profi trainiert habe. Die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Sydney sei für ihn unvergeßlich: "Leider konnte ich mir meinen Goldtraum nicht erfüllen und bin im Viertelfinale ausgeschieden. Aber vielleicht klappt es dann 2016. Das wäre eine echte Motivation."

Natürlich konnten Spekulationen über eine mögliche Olympiateilnahme der Klitschkos nicht ausbleiben. Vitali Klitschko durfte 1996 in Atlanta nicht starten und machte damit seinem Bruder Wladimir den Weg zu Gold im Superschwergewicht frei. Der ältere Klitschko ist im Sommer 2016 bereits 45 Jahre alt, so daß ein Start in Rio de Janeiro für ihn nicht mehr in Frage kommt. Anders verhielte es sich hypothetisch mit Wladimir, für den sich als 40jährigen der Kreis schließen könnte. Was er selbst von solchen Gedankenspielen hält, war vorerst nicht zu erfahren, da er im Urlaub nicht gestört werden will. "Wladimir hat doch alles erreicht", sagte stellvertretend sein Manager Bernd Bönte. "Warum sollte er noch einmal losziehen?"

4. August 2011